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»Ich werfe nicht mit Dreck«

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Von: Jonas Wissner

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»Ich bin offen, ehrlich, bürgernah, kommunikativ, manchmal ungeduldig«, sagt Allendorfs Bürgermeister Thomas Benz, hier vor dem Rathaus, über sich selbst. Im Frühjahr tritt er für eine zweite Amtszeit an. © Jonas Wissner

Seit 2017 ist Thomas Benz Bürgermeister von Allendorf (Lumda), nun bewirbt er sich um eine zweite Amtszeit. Im Interview spricht der 55-Jährige über seine Bilanz, Kritik an seiner Person, die Energiewende - und äußert sich zum Verhältnis zu seinem Herausforderer.

Herr Benz, neuerdings informieren Sie unter dem Stichwort »Neues aus dem Rathaus« regelmäßig bei Facebook und im Mitteilungsblättchen. Wieso kommt diese Transparenzoffensive erst jetzt im Wahlkampf?

Weil der Gegner nicht schläft (lacht). Bei Facebook bin ich ja schon länger aktiv. Dann dachte ich: Stell dich mal ein bisschen breiter auf. Das hat natürlich auch etwas mit dem Wahlkampf zu tun, aber prinzipiell geht es darum, die Menschen besser zu informieren.

Ihre Nominierung wurde im Juni fast gleichzeitig mit der von SPD-Kandidat Sebastian Schwarz verkündet. Hat seine Kandidatur Sie überrascht?

Überhaupt nicht. Es hatte sich durch seine Tätigkeit als Stadtrat abgezeichnet. Man überlegt sich im Vorfeld: Wer kommt aus dem anderen Lager infrage? Da hatte ich zwei auf dem Schirm. Ich war gerade auf dem Feuerwehr-Verbandsfest und habe es dann per WhatsApp erfahren.

Wie würden Sie Ihr Verhältnis zu Herrn Schwarz beschreiben?

Wir haben ein gutes Verhältnis. Im Tagesgeschäft des Magistrats fällt es teilweise schwer, daran zu denken, dass er mein Gegenkandidat ist. Die Arbeit mit ihm ist harmonisch, funktioniert gut, wir sind oft einer Meinung. Ab und zu differiert es in Kleinigkeiten. Aber ich schätze ihn.

Wie wollen Sie verhindern, dass es trotzdem ein so harter Wahlkampf wie vor sechs Jahren wird?

Ich habe keinen so harten Wahlkampf geführt. Da wurde viel von außen reingetragen. Menschen von beiden Seiten haben Dinge geschrieben, die sich nicht gehören. Das ist mit mir nicht zu machen. Ich wasche keine dreckige Wäsche, werfe nicht mit Dreck, das habe ich noch nie getan. Ich lege Wert auf einen fairen Wahlkampf, möchte Herrn Schwarz auch darüber hinaus noch in die Augen schauen können. Mir geht es um Sachthemen. Ich werde mich auch nicht verstellen und zum Beispiel anfangen, Leute plötzlich zu siezen oder zu duzen, weil wir im Wahlkampf sind. Ich habe mein Konzept, das ich bis zum 12. Februar fahren werde.

Wie haben Sie die Zeit im Amt erlebt - auch im Vergleich zu Ihren Erwartungen?

Schwierig. Wenn man, wie ich, mit einem Einspruch gegen die Wahl anfängt, hat man erst mal Gegenwind. Dann versucht man, da irgendwie ein bisschen Harmonie herzustellen, sucht sich Mehrheiten - ich bin ja nicht als Unabhängiger angetreten, sondern habe mich klar zu den Freien Wählern bekannt. Die Kommunalwahl war zwischendrin, da haben sich die Mehrheiten noch mal verschoben. Ich muss aber auch sagen: Bei Sachthemen gibt es im Parlament oft einstimmige Beschlüsse.

Haben Sie ein Beispiel?

Nehmen wir die Windkraft: Vor vier Jahren hätte ich mich nicht getraut, das Thema anzufassen. Es hat in Allendorf keiner angefasst. Aber die Akzeptanz in der Bevölkerung hat sich durch diesen unsäglichen Ukrainekrieg gedreht. Die Bereitschaft, auf Windräder zu schauen, ist größer geworden. Vielleicht auch, weil man Angst vor Energie-Engpässen ab Herbst hat. Auch bei mir hat ein Umdenken stattgefunden, jetzt sage ich: Es wird sowieso mehr Windräder geben - bevor ich sechs fremde vor der Haustür habe, schaue ich lieber auf drei eigene und habe auch monetär etwas davon.

Es geht um eine städtische Fläche in Richtung Treis.

Genau. Es gab einen Grundsatzbeschluss im Parlament, alle Fraktionen haben gesagt: Jawoll, die Stadt möchte auf ihrer Windvorrangfläche Anlagen errichten. Es könnten bis zu vier werden, das wird die Politik entscheiden. Das ist ein Beispiel, wo wir alle in eine Richtung gehen.

Bleiben wir bei dieser Fläche: Sie gehört der Stadt, die daher selbst entscheiden kann, was dort geschieht - und das schon länger. 2018 hat ein Projektierer im Parlament seine Pläne vorgestellt. Auf GAZ-Nachfrage hieß es dort ein Jahr später, man habe nie wieder etwas aus dem Allendorfer Rathaus gehört.

Weil wir es nicht angepackt haben.

Es hätte ja Alternativen zu dem Unternehmen gegeben, Staufenberg macht es mit dem Windpark vor. Hat Allendorf die Energiewende während Ihrer Amtszeit verschlafen?

Das glaube ich nicht, sondern dass damals der Wille nicht da war, Windräder im Wald zu bauen. Das hat sich eben geändert. Wir wollten es damals nicht, wussten aber schon, dass 26 Windräder von Rabenau bis Ebsdorfergrund in Planung sind. Vielleicht hat man auch deshalb gesagt: Jetzt ist es mal gut, sonst sieht es hier aus wie im Hunsrück.

Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit dem bisher Erreichten?

Zufrieden sollte man nie sein, weil man sich dann zurücklehnt und sagt: Ich habe alles gepackt. Mit dem Baugebiet Hege II bin ich zufrieden, weil es trotz aller Widrigkeiten relativ zügig vonstattenging. Auch die Kinderbetreuung steht in Allendorf auf soliden Füßen. Durch den An- und Umbau im Kindergarten sind wir hier für die Zukunft gut aufgestellt. Und auch bei der Interkommunalen Zusammenarbeit mit Rabenau sind wir auf einem gutem Weg. Ich habe mir vor sechs Jahren auch Dinge vorgenommen, die ich nicht gleich umsetzen konnte, die sich dann aber ergeben haben - zum Beispiel den Bürgerbus, das machen wir jetzt zusammen mit Rabenau. Ich habe noch lange nicht alles erreicht, bin noch lange nicht fertig. Und ich habe ein paar gute Dinge im Köcher, die ich gern noch umsetzen möchte.

Was denn zum Beispiel?

Ganz wichtig ist - und das Thema liegt schon länger in der Schublade: Die Menschen werden heute generell älter, darauf muss man reagieren. Ich habe mir schon vor Jahren überlegt, dass ich in Allendorf gern eine Seniorenresidenz hätte, wo man hingeht, wenn man noch kann, und dann bei Pflegebedürftigkeit Stufe für Stufe quasi weitergeht - bis zur Rundumpflege.

Wer soll das machen und wo wäre Platz dafür?

Einen Platz müssen wir uns noch ausgucken, ich werde demnächst dazu etwas präsentieren. Und es geht nur über einen Investor, man braucht jemanden, der es baut. Am Ende muss dann auch der Betreiber hierher passen.

Das könnte gerade für Senioren interessant sein, die in größeren, nicht barrierefreien Gebäuden wohnen. Gleichzeitig haben auch junge Familien Probleme, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Wie könnte eine Lösung aussehen?

Das regelt ja der Markt. Was zurzeit an Preisen gezahlt wird, ist unglaublich. Alles, was Substanz hat, geht ohne Makler für horrende Preise weg. Es gibt Beispiele, wo Senioren versterben, Angehörige kommen von der Beerdigung und es liegen schon Schreiben im Briefkasten: Verkaufen Sie Ihr Haus? Natürlich wäre es toll, wenn junge Familien in solche Häuser ziehen - aber ich habe keine Einfluss darauf.

Manche Kommunen haben ein Leerstandskataster, um zumindest einen Überblick zu erhalten. Herr Schwarz hat das auch für Allendorf angeregt.

Das haben wir versucht, es ist aber wegen des Datenschutzes ganz schwierig. Die Daten öffentlich zu machen, geht schon mal gar nicht. Ich kann ja nicht sagen: Der Besitzer dieses Hauses hat schon seit fünf Jahren nicht vermietet. Mit Einverständnis der Eigentümer könnte man höchstens eine Art Wohnungsbörse machen, aber das ist sehr schwierig. Und bei unbebauten Grundstücken geht die Verkaufsbereitschaft gegen Null.

Immer mal wieder gab es während Ihrer Amtszeit Kritik, dass es an der Rathausspitze an Visionen mangele und vieles zu langsam umgesetzt werde. Wie sehen Sie das?

Damit kann ich wenig anfangen. Die Menschen, die hier in der Verwaltung arbeiten, sind sehr engagiert, arbeiten eher mehr als 100 Prozent. Wir versuchen, alles so schnell umzusetzen, wie es nur geht, aber manche Dinge funktionieren einfach nicht schneller.

Es gab seit Ihrem Amtsantritt viel Fluktuation. Zum Oktober wird die Hauptamtsleitung neu besetzt, Sie haben in fünf Jahren vier Bauamtsleiter beschäftigt. Woran liegt das?

Einer hat sich woanders beworben, einer die Probezeit nicht überstanden, weil wir uns schnell einig waren, dass er nicht geeignet war. Und einer hat woanders einen neuen Lebensmittelpunkt gefunden. Jetzt hoffen wir, dass mit Herrn Jung im Bauamt etwas Ruhe einkehrt. Auch bei der Hauptamtsleitung war es die logische Konsequenz, weil die Leiterin ihren Lebensmittelpunkt verlegt und dort einen Job gesucht hat. Das hat überhaupt nichts mit persönlichen Sachen zu tun.

Die Allendorfer Finanzen sind chronisch angespannt. Welche Möglichkeiten sehen Sie, um Spielräume zu schaffen?

Wir haben das gemeinsame Gewerbegebiet mit Grünberg an der A5, um mehr Gewerbesteuereinnahmen zu generieren. Ich hoffe, dass es bald zur Erschließung kommt und dass wir es irgendwann vermarkten können. Ansonsten müssen wir die Gewerbesteuerzahler, die wir haben, hegen und pflegen und zusehen, dass wir als Standort so attraktiv bleiben, wie wir sind. Beim Kleingewerbe sehe ich einen leicht positiven Trend.

In den letzten Monaten konnte man teils den Eindruck gewinnen, dass Sie in Sitzungen ziemlich genervt von Kritik sind.

Ja, unsachgemäße Kritik nervt mich grundsätzlich. Und davon kam einiges. Aber dahinter steckt ja Methode, das ist nicht überraschend, sondern hat Gründe.

Welche sind das aus Ihrer Sicht?

Dass man mich weghaben will, das ist doch logisch.

Haben Sie schon Gespräche zwecks Unterstützung mit Parteien geführt?

Nein, noch nicht. Ich glaube eher nicht, dass andere Parteien mich aktiv unterstützen werden - aber vielleicht verhalten sie sich einfach neutral. Nur bei den Grünen, die mich damals unterstützt haben, bin ich eher pessimistisch. Die machen mit mir jetzt das, was sie vor sechs Jahren mit Annette Bergen-Krause gemacht haben. Weil ich aus deren Sicht nicht so funktioniere, wie sie sich das gewünscht haben. Es ist nicht schön, was da zurzeit läuft. Aber ich sehe es sportlich und halte es aus.

Das klingt recht verbittert. Was meinen Sie konkret?

Ich meine diese permanenten Angriffe gegen meine Person, die teilweise auch unsachlich sind. Da wird durch ständiges Wiederholen versucht, mich in ein schlechtes Licht zu stellen. Warum muss ich mich zum Beispiel in einer Stadtverordnetenversammlung fragen lassen, weshalb Punkte nicht auf der Tagesordnung sind? Das ist überhaupt nicht mein Beritt.

Wie würden Sie sich selbst beschreiben?

Ich bin offen, ehrlich, bürgernah, kommunikativ, manchmal ungeduldig. Und ich bin ein kleiner Gerechtigkeitsfanatiker. Ich reagiere mitunter sehr ungehalten auf Ungerechtigkeit. Wenn ich merke, dass jemand ungerecht behandelt wird, werde ich mich immer für ihn einsetzen. Das ist in mir drin, auch privat. Vielleicht bin ich deshalb Handball-Schiedsrichter geworden. Man braucht schon eine leicht masochistische Ader, um sich 60 Minuten beschimpfen zu lassen.

Wie optimistisch sind Sie, dass es mit der Wiederwahl klappt?

Pessimismus zieht dich runter, ich bin immer optimistisch. »Alles wird gut«, den Spruch haue ich öfter mal raus, auch wenn mir der Rasierpinsel ins Klo gefallen ist. Du darfst deinen Humor nicht verlieren. Ich habe die innere Einstellung, Optimismus zu verbreiten.

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