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»Ich bin unschlagbar«

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Von: Jonas Wissner

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Auch die öffentliche Sicherheit und Ordnung und ein sauberes Stadtbild sind für Selda Demirel-Kocar wichtige Themen. © Jonas Wissner

Ihre Kandidatur hat viele überrascht: Selda Demirel-Kocar, Juristin und CDU-Gemeindevertreterin in Heuchelheim, bewirbt sich im September um das Bürgermeisteramt in Lollar. Im Interview spricht die 47-Jährige über ihren Bezug zu Lollar, gelebtes Miteinander und ihre Vision von der »Aufstiegsstadt«.

Frau Demirel-Kocar, Sie wollen Bürgermeisterin in Lollar werden. Inwieweit sind Sie hier schon bekannt?

Ich bin in Lollar durchaus bekannt, weil ich hier Anwältin war - und auch noch Scheidungsanwältin. Da lernen Sie nicht nur eine Person kennen, sondern die gesamte Verwandtschaft. Ich bin auch einfach mal in die Stadtverwaltung gegangen, habe mich bekannt gemacht. Ich habe hier viele Menschen kennengelernt und auch vertreten. Die Stimme von dem oder der einen oder anderen habe ich also bestimmt - aber bei der anderen Seite kann es natürlich sein, dass ich die Stimme nicht bekomme, weil die mich noch als »böse« Anwältin kennen.

Das ist aber nicht Ihr einziger Bezug zu Lollar ...

Als ich klein war, sind wir alle zwei, drei Wochen nach Lollar gefahren. Ich habe hier viele Bekannte und Verwandte. Mein Onkel hat lange bei Buderus in Lollar gearbeitet, mein Vater vor allem in Wetzlar. Ich kenne viele alteingesessene Familien, die in den 60er- bis 70er-Jahren hergekommen sind. In den Ortsteilen haben wir einige Freunde - mir ist die Kommune also wirklich nicht unbekannt.

Trotzdem sind Sie eine Überraschungskandidatin. Wieso treten Sie gerade hier an?

Ich wohne in Heuchelheim, Lollar ist nur ein paar Kilometer entfernt. Ich gehe öfter hier einkaufen oder bin zu Besuch. Lollar reizt mich, weil die Gestaltungmöglichkeit hier groß ist. Es ist eine Lahn-Stadt, eine Industrie-Stadt, es hat malerische Ortsteile und eine unglaublich gute Verkehrsanbindung. Lollar hat so viele Potenziale, die es gilt, noch weiter auszuschöpfen als bisher. Wenn ich Bürgermeisterin bin, werden wir mit meiner Familie nach Lollar ziehen.

Was macht die Stadt aus?

Es ist keine Großstadt, keine ganz kleine Stadt, sondern eine Mischung zwischen Kernstadt und Ortsteilen mit einem aktiven Vereinsleben. Aber auch eine Stadt, die viele Herausforderungen bietet, gerade denen will ich mich stellen. Ich sehe das nicht durch eine rosarote Brille.

An welche Herausforderungen denken Sie?

Ich finde die öffentliche Sicherheit und Ordnung sehr wichtig. Es gibt, gerade in der Kernstadt, wiederkehrende Probleme wie Lärmbelästigung oder Vermüllung - das muss konsequent geahndet werden. Wenn der Verursacher immer wieder derselbe ist, muss man tatsächlich mal durchgreifen. Es geht nicht, dass man tatenlos zuschaut oder solche Probleme nur im Einzelnen angeht. Ich möchte für Lollar, dass die Leute sich hier sicher fühlen. Als dreifache Mutter möchte ich, dass meine Kinder vor die Haustür gehen können, ohne dass sie oder ich Angst haben. Und ich möchte, dass sich ein sauberes Stadtbild bietet. Ich glaube, das ist wichtig - egal, welcher Herkunft man ist. Da geht es um das Wohlbefinden des einzelnen Bürgers.

Fehlt das in Lollar ihrem Eindruck nach?

Vereinzelt schon, das habe ich selbst in der Kernstadt wahrgenommen. Es läuft ja was schief, da ist nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen. Wichtig ist, dass man die Angelegenheiten direkt angeht. Lollar ist nun dem Programm Kompass der Polizei beigetreten, da ist auch eine Bürgerbefragung zum Sicherheitsempfinden angedacht. Ich möchte diese Erkenntnisse, abgestimmt mit Polizei und Ordnungsamt, nutzen, konkrete Maßnahmen daraus entwickeln und etwa auch Kontrollen von Wohnungen mit prekären Wohnverhältnissen forcieren.

Es gibt zu dem Thema einen Runden Tisch mit vielen Akteuren - würden Sie das weiter verfolgen?

Es gibt viele Ansätze, die durchaus gut sind. Ich denke aber, ich werde eher nicht sehr lange reden. Ich bin Juristin, schaue mir den Sachverhalt an - und dann werde ich die notwendigen Maßnahmen konsequent durchsetzen. Ich werde neue Wege gehen, aber natürlich in einem Team. Auch die Gremien und die Mitarbeiter muss man wertschätzen, das ist mir immer wichtig. Die bisherigen Bemühungen des Runden Tisches schätze ich hoch ein, das ist ja nicht umsonst gemacht worden. Aber ich bin von der Art etwas strikter.

Warum sind Sie eigentlich in die CDU eingetreten?

Weil die Familien- und Werteordnung, die sie vertritt, meinem Familienleben sehr ähnlich ist. Ich fühle mich da sehr wohl. Als ich in Heuchelheim schon sechs Jahre Integrationsbeauftragte war, wurde ich angesprochen, ob ich mir vorstellen könnte, mich in der CDU zu engagieren. Da habe ich Ja gesagt. Und dann bin ich auch gleich auf die Kommunalwahlliste gekommen und von Platz 13 auf sieben in die Gemeindevertretung gewählt worden.

Welche Erfahrungen als Integrationsbeauftragte in Heuchelheim lassen sich auf Lollar übertragen?

Die Strukturen sind natürlich anders. Der Begriff Integration an sich ist auch nicht mehr so erwünscht - weil die Menschen hier teilweise seit 60 Jahren leben. Das Wort ist veraltet, die Menschen sind Deutsche. Ich bin auch deutsche Staatsangehörige, mit den türkischen Wurzeln meiner Eltern. Ich bin mit vier Jahren nach Deutschland gekommen. Die Türkei ist für mich ein schönes Urlaubsland - aber viel mehr an Verbindung habe ich da nicht.

Auch Lollar hat eine Integrationsbeauftragte. Sollte man diesen Posten also aus Ihrer Sicht abschaffen - oder umbenennen?

Nein. Ich will es nicht an diesem Begriff festmachen - ist ja besser als »Ausländerbeauftragte«, das war in den 80ern der Fall. Aber ich finde, der Ansatz muss anders sein. In die Richtung, dass man ein Miteinander, kein Nebeneinander lebt. So habe ich es mit meiner Familie auch immer gemacht. Mir ist die Sichtweise wichtig: Da ist in erster Linie ein Mensch, das hängt ja nicht von der Herkunft oder Religion ab. Da setzen junge Menschen heute an - und das finde ich sehr gut.

Wenn Sie gewählt würden, wären Sie aktuell die zweite Bürgermeisterin im Kreis und die erste mit Migrationshintergrund. Wie erstaunlich finden Sie das?

Ich wäre, soweit ich weiß, sogar im ganzen Bundesgebiet eine der ersten Bürgermeisterinnen mit Migrationshintergrund. Es ist eine Besonderheit, aber ich bin deutsche Staatsbürgerin. Diese Diskussion um die Herkunft sollte gar nicht mehr geführt werden - schon gar nicht, wenn man seit Jahrzehnten hier lebt. Wenn ich gewählt werde, würde ich gern als Vorbild dienen, das habe ich eigentlich immer schon. Für mich ist es ganz normal, aber natürlich ist die Beteiligung von Menschen mit Migrationsgeschichte und Frauen in der Politik noch sehr gering. Es muss dahin gehen, dass man sagt: Das ist Selda. Sie ist Volljuristin, hat kommunalpolitische Erfahrung, Verwaltungs- und Führungserfahrung. Diese Kompetenzen sind den Menschen wichtig.

In Lollar leben viele Communities zusammen. Worauf kommt es an, um den Zusammenhalt zu stärken?

Die Schlüsselqualifikation ist die deutsche Sprache als gemeinsame Grundlage. Diese Voraussetzung müssen wir schaffen. Es ist mir ganz wichtig, dass alle gut Deutsch sprechen und sich an das Grundgesetz und deutsche Gesetze halten - nicht nur, weil ich Juristin bin. Es gibt eine Werteordnung, die es im Zusammenleben zu bewahren gilt. Das geht im Kleinen los, dem Nachbarn gegenüber. Dass ich in meiner Straße versuche, mich so zu verhalten, wie ich es auch von anderen wünsche. Das ist ein Geben und Nehmen. Ich habe es ja selbst erlebt: Deutschland bietet so viele Bildungs- und Aufstiegschancen. Ich bin eine Verfechterin von Bildung und Sprache, aber auch vom Grundgesetz - meine Kinder können es nicht mehr hören (lacht).

Kommen wir zurück zum Wahlkampf: Welches Thema wollen Sie besonders herausstellen?

Allem voran möchte ich, dass Lollar für Jung und Alt eine lebens- und liebenswerte Stadt ist, in der sich der Einzelne wohlfühlt und ein naturnahes Wohnen und Arbeiten für Familien möglich ist. Weiterhin werde ich bereits ansässige Unternehmen bei gewünschter Erweiterung unterstützen, wenn es möglich und im Sinne aller Beteiligten ist.

Können Sie ein Beispiel nennen, bei dem Sie schon konkretere Ideen haben?

Die Digitalisierung ist einer der Kernpunkte, die ich angehen möchte. Die digitale Verwaltung wird kommen, aber es gibt viele weitere Ideen: etwa Co-Working-Spaces oder die Ansiedelung von Startups. Lollar hat Leerstände, dort gilt es, zu schauen: Was kann man ansiedeln, das auch für die Stadt einen Vorteil hat? Da bietet die Digitalisierung viele Möglichkeiten, auf kleinstem Raum etwas Großes zu schaffen. Gerade bei jungen Menschen wächst das Bedürfnis, auf dem Land zu wohnen und trotzdem gut vernetzt zu sein. Solche Potenziale für die jüngere Generation bereitzuhalten, wäre eine schöne Aufgabe als Bürgermeisterin.

Sie werben damit, dass Sie Lollar zur »Aufstiegsstadt« machen wollen. Was soll das heißen?

Ich finde wichtig, dass Lollar eine Vision hat, um zu zeigen: Da müssen wir hin! Es geht darum, Ideen zu teilen und Mitstreiter zu finden. Das sollte man positiv besetzen. Ich glaube, es wurden hier viele Schritte gemacht, aber nicht alle Chancen ausgeschöpft. Daher auch die Idee, einen Masterplan für Lollar zu erarbeiten.

Nun starten Sie Ihre Kampagne. Wie viel Lust haben Sie auf Haustürwahlkampf?

Unglaublich viel! Das ist das A und O. Aufgrund der Pandemie sind die Möglichkeiten des Präsenzwahlkampfes etwas eingeschränkt, deswegen ist es natürlich gut, dass man diese Möglichkeit hat. Aber auch von der Pandemie abgesehen finde ich es wirklich wichtig, dass sich jeder Bürger, jede Bürgerin mitgenommen fühlt - das kann man an der Haustür auf direkte Art machen.

Bei gut 10 000 Einwohnern in vier Stadtteilen - wo fängt man da an?

Ich habe mir eine riesen Excel-Liste erstellt, sehr strukturiert (lacht). Ich bin sehr planmäßig, sonst würde ich mein Leben mit Familie, Beruf und Ehrenamt gar nicht auf die Reihe bekommen.

Sie haben als erste Ihre Kandidatur erklärt, der Amtsinhaber hört auf. Hätten Sie lieber schon vorher gewusst, mit wem Sie es im Wahlkampf zu tun haben?

Ich bin unschlagbar (lacht). Aber ich habe Respekt vor einem Bürgermeister, der hier 18 Jahre tätig war. Wir haben uns jetzt aufgestellt, das Ziel ist der 18. September. Ich habe ein tolles Team und meine Familie hinter mir. Da bin ich straight.

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