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»Ich bin für Neues offen«

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Von: Jonas Wissner

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»Das ist wie Urlaub, wenn man nach der Arbeit den Berg hochfährt«, sagt Sebastian Schwarz, hier in seinem Garten bei den Hühnern. Der 41-jährige SPD-Bürgermeisterkandidat stammt aus Utphe, seit sieben Jahren lebt er in Winnen. © Jonas Wissner

Zurzeit arbeitet er im Magistrat mit Bürgermeister Thomas Benz zusammen, nächstes Jahr tritt er gegen ihn an: SPD-Mann Sebastian Schwarz (41) bewirbt sich um die Rathausspitze in Allendorf (Lumda). Im Interview verrät er, was er anders als Benz machen möchte, wie er bekannter werden will - und erzählt, wie er den 11. September 2011 als Marinesoldat erlebt hat.

Herr Schwarz, Sie waren vier Jahre bei der Marine. Was haben Sie dort gelernt, das Ihnen auch in der Kommunalpolitik hilft?

Da habe ich gelernt, mit vielen verschiedenen Charakteren umzugehen - und das auf sehr beengtem Raum, ohne Ausweichmöglichkeiten. Ich glaube, ich habe auch sehr viel Kompromissbereitschaft gelernt und nach einer Lösung zu suchen, nicht nach dem Problem.

Wie hat diese Zeit Sie persönlich geprägt?

Zum einen habe ich in jungen Jahren gesehen, wie gut es uns hier geht und wie schlimm anderen. Ich war viel im Mittelmeer unterwegs, aber auch rund um Afrika. Und ich war am 11. September 2001 auf See.

Wie haben Sie diesen Tag erlebt?

Man hat es erst gar nicht geglaubt. Wir waren in einem NATO-Verband nah an der Küste unterwegs und mussten uns dann kurz »verstecken«. Unser Kapitän hat die Terrorangriffe anfangs nicht für möglich gehalten - die Fernseher wurden angeschaltet, damit man ein Bild zu der Nachricht hat, es bestätigen kann. Dann wurde alles scharf geschaltet, wir waren in Gefechtsbereitschaft. Zunächst wusste keiner, wo es wirklich hingeht. Da habe ich von heute auf morgen gelernt, was Militär tatsächlich bedeutet.

Sie stammen aus Utphe, sind dann zur Marine und ins Berufsleben gestartet. Wie hat es Sie nach Winnen verschlagen?

Bauernhof mochte ich schon immer. Mein Patenonkel hatte einen, da habe ich früher viel geholfen, bin Traktor gefahren, habe Holz gemacht, Kühe gefüttert. Als Erwachsener habe ich mir überlegt, dass mir so was lieber wäre als eine Eigentumswohnung. Erst habe ich in Hungen geschaut, da war damals nicht viel zu finden. Weil ich in Gießen arbeite, habe ich mich im Umkreis umgesehen, habe mir 14, 15 Objekte angeguckt - und das hier war einfach das Schönste. Das ist wie Urlaub, wenn man nach der Arbeit den Berg hochfährt. Idyllisch, ruhig, die Menschen sind nett.

Im nächsten Jahr wollen Sie Bürgermeister von Allendorf (Lumda) werden. Gerade in Hessen ist die Macht in diesem Amt ja sehr begrenzt. Warum reizt es Sie?

Ich denke, dass man trotzdem etwas auf den Weg bringen kann. Klar: Vieles entscheidet die Stadtverordnetenversammlung, aber viele Vorlagen kommen aus der Verwaltung. Und wenn man neue, gute und kreative Impulse setzt, findet sich immer eine Mehrheit. Mir ist schon klar, dass es nicht immer jedem recht sein wird. Aber wenn man sich wirklich einsetzt, schafft man es, dass Ideen des Bürgermeisters auch umgesetzt werden.

Seit sieben Jahren wohnen Sie in Winnen, engagieren sich auch in der »Wenner Ronde«. Aber inwieweit sind Sie den Menschen in der ganzen Kommune schon bekannt?

Klar ist das der Vorteil von jemandem, der schon immer hier lebt. Aber seit zwei Jahren bin ich in der Allendorfer Kommunalpolitik, manche haben mich vielleicht bei der Kommunalwahl schon mal wahrgenommen und bei Veranstaltungen. Beim Tennis-Ortspokal in Allendorf habe ich neulich im Doppel mit Sven Henneberg von den Grünen gespielt. Auch über meine Tochter und den Kindergarten habe ich Kontakte. Und ich bin mit meinen Hühnern beim Geflügelzuchtverein unterwegs. Es gibt also Berührungspunkte, aber machen wir uns nichts vor: Mich kennt sicher noch nicht jeder.

Bis zur Wahl bleibt gut ein halbes Jahr. Die eigene Bekanntheit zu steigern - wie geht man das an?

Tja, wie macht man das? (lacht). Das Zauberwort heißt Kontakte. Ich werde in den nächsten Monaten bis zur Wahl gezielt die Bürgerinnen und Bürger persönlich oder über die unterschiedlichsten Kanäle ansprechen, damit sie sich ein umfassendes Bild von mir machen können. Darüber hinaus werden wir zum Beispiel ein Boule-Turnier in Climbach veranstalten, angelehnt an die tolle Ortspokal-Idee des Tennisvereins. Weitere Aktionen und Maßnahmen sind in Vorbereitung. Soweit es die Pandemie zulässt, werden mich die Allendörfer natürlich auch an ihrer Haustür kennenlernen.

Sie kennen Bürgermeister Thomas Benz aus dem Magistrat, er wohnt auch nur ein paar Hundert Meter von Ihnen entfernt. Wie ist Ihr Verhältnis?

Ich denke, das ist kollegial, freundlich. Natürlich sind wir nicht immer einer Meinung. Aber ich glaube, keiner von uns möchte, dass es ein ähnlich harter Wahlkampf wie beim letzten Mal wird. Wir gehen uns nicht aus dem Weg, grüßen uns, das passt.

Was würden Sie konkret gern anders oder besser machen als Herr Benz?

Mit »besser« ist es immer so eine Sache - einigen wir uns lieber auf »anders«. Was ich auf der Tour bei Gewerbetreibenden merke: Ich würde gern wiederkehrende Gespräche führen. Wo drückt der Schuh? Was braucht ihr, was brauchen wir? Wo können wir als Kommune unterstützen - sei es beim Breitband-Internet oder bei Grundstücken?

Gibt es einen weiteren Punkt?

Ich würde gern mindestens einen Azubi für die Verwaltung einstellen. Da merkt man den Fachkräftemangel ganz deutlich, wir sind durch personelle Wechsel etwas gebeutelt. Wenn wir es schaffen, Leute aus der Region zu bekommen, kann das für mehr Konstanz sorgen. Man muss auch den eigenen Nachwuchs aufbauen.

Sie waren SPD-Fraktionsvorsitzender in Hungen, haben also eine gute Vergleichsmöglichkeit. Wie ist bisher Ihr Eindruck von der Allendorfer Kommunalpolitik?

Es läuft schon anders als in anderen Kommunen, gerade bei den Abläufen: In Hungen gibt es jede Woche eine Magistratssitzung - die haben aber auch fast zehntausend Einwohner mehr. Da waren außerdem alle Ausschusssitzungen in einer Woche, und in der Stadtverordnetensitzung wurde nicht noch mal so viel diskutiert wie in Allendorf. Das ist ein phänomenaler Unterschied.

Sprechen wir über Allendorfer Themen: In der gesamten Kommune gibt es größere, aber nicht barrierefreie Häuser, die von ein bis zwei Personen bewohnt werden. Zugleich ist es gerade für Geringverdiener auch hier schwierig, bezahlbaren Wohnraum zu finden. Wie lässt sich dieses Dilemma auflösen?

Ein Punkt muss sein, dass man mit dem Amt für Denkmalschutz mehr in Gespräche geht. Mein Haus steht auch unter Ensembleschutz, auch ich muss mit dem Denkmalschutz diskutieren - und die Vorstellungen gehen teils weit auseinander. Wenn wir es nicht schaffen, diese Barrieren abzubauen - damit man auch eine Scheune relativ unkompliziert zu Wohnraum ausbauen, auch bezahlbare Materialien einsetzen kann - dann werden die Ortskerne aussterben und irgendwann verfallen.

Es gibt ein Modellprojekt: die »Neue Altstadt«, eine Initiative, die alte Wohngebäude und Scheunen in einem Allendorfer Quartier in eine Genossenschaft überführen will.

Das ist ein tolles Projekt, das weiter unterstützt werden muss. So haben wir Chancen, dass aus alten Scheunen oder Fachwerkhäusern moderner Wohnraum entsteht. Ein weiterer Punkt sind Leerstandskataster, die es in anderen Kommunen gibt. Auch wir sollten uns auf den Weg machen und schauen, ob sich Akteure zusammenbringen lassen. Aber wie bei Baulücken kann man auch da leider nicht jeden Eigentümer bewegen.

Wo sehen Sie Möglichkeiten, um die Finanzen zu konsolidieren - und so auch Freiräume für einzelne Projekte zu schaffen?

Als Finanzfachmann ist das natürlich mein Metier. Als Erstes würde ich mir den Haushalt vornehmen und nach Einsparungsmöglichkeiten durchforsten. Das wird aber bei Weitem nicht ausreichen. Kreativität und clevere Investitionen sind mehr denn je gefragt, um Einnahmen zu generieren. Das traue ich mir aufgrund von meinem beruflichen Hintergrund zu. Ein Beispiel: Das Parlament hat einen Grundsatzbeschluss für die Prüfung von Windkraft auf einer städtischen Fläche gefasst. Das muss man in Erwägung ziehen, aber dann noch einen Schritt weiter gehen. Nicht nur die Fläche verpachten, sondern auch schauen, wie man sich oben am Rotor beteiligen kann. Denn da wird das Geld verdient, nicht unten am Betonklotz.

Die Energiewende ist eines der drängendsten Themen, auch die Kommunen sind gefordert. Wie wollen Sie das in Allendorf stärker vorantreiben?

Es muss auf jeden Fall geprüft werden, warum nicht auf jedem städtischen Gebäude Fotovoltaik für Stromerzeugung oder Warmwasser genutzt wird. Auch da haben wir gemerkt: Hätten wir früher investiert, hätte es sich schon gelohnt. Da muss man nach dem gesunden Menschenverstand handeln und nicht ideologiegeleitet. Entscheidend ist nicht, wer es vorschlägt, sondern ob es unserer Kommune etwas bringt.

Können Sie ein Thema nennen, auf das Sie im Wahlkampf setzen werden?

Bei der Infrastruktur haben wir in den letzten Jahren teils von der Substanz gelebt, da muss investiert und das ein oder andere erneuert werden. Ich sehe das Problem bei etlichen Straßen. Eine Firma hat uns ja zur Zustandserfassung etwas vorgestellt - vor ein oder zwei Jahren, aber viel ist bislang nicht passiert. Da muss etwas gemacht werden. Ich kenne es aus Hungen so, dass es einen Plan gibt: Welche Straße machen wir in welchem Jahr. Da will ich gern hin.

Was macht aus Ihrer Sicht einen guten Bürgermeister aus?

Dass er kommunikativ ist - und gut vernetzt. Er muss aber auch zielstrebig und beharrlich bleiben. So haben wir zum Beispiel die eine oder andere Landstraße in schlechtem Zustand. Da muss man die in Wiesbaden, die nicht so nah an uns dran sind, auch mal davon überzeugen, dass jetzt unsere Straße an der Reihe ist. Ich würde es so machen: Die kriegen bei jedem Rohrbruch von mir ein Foto und eine Kostenangabe per E-Mail - und wenn dreimal nichts passiert, fahren wir nach Wiesbaden und klären es vor Ort.

Bringt das wirklich was?

Ja. In Hungen haben wir damit gute Erfahrungen gemacht. Das ist wie überall: Wenn ich Sie zehnmal anrufe, blockieren Sie entweder meine Nummer - oder Sie hören mir irgendwann zu. Deswegen muss beim Vernetzen wirklich Gas gegeben werden.

Die Allendorfer dürfte auch interessieren, wie Sie als Mensch ticken. Wie würden Sie sich beschreiben?

Ich bin für Neues offen, bin, wenn ich von der Arbeit ausgehe, hartnäckig und zielstrebig, aber auch kompromissbereit, wenn andere gute Ideen haben. Und ich möchte der Gemeinschaft etwas zurückgeben. Jeder sollte sich ehrenamtlich engagieren, ich habe das schon immer über Vereine und Kommunalpolitik gemacht. Und jetzt möchte ich gern noch mal eine Schippe drauflegen.

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