Wie alt ist das Schriftstück?
Hungen/Gießen (bac). Der Indizienprozess um den sogenannten Mord ohne Leiche in einer Hofreite in Hungen geht nur mühsam voran. Den beiden Angeklagten wird vorgeworfen, ihren einstigen Freund Daniel M. am 16. November 2016 unter einem Vorwand nach Hungen gelockt und dort zu erschossen zu haben. M. galt lange Zeit als vermisst, bis einer der Angeklagten, Olaf C.
, zur Polizei ging und den Vorgang anzeigte. Allerdings beschuldigen sich die beiden Angeklagten nun gegenseitig der Tat. Die Leiche ist bis heute nicht gefunden worden.
Der jüngste Prozesstag drehte sich um ein Dokument, das Olaf C. in das Verfahren eingeführt hat. In jenem Schriftstück habe er einen Vorfall aus dem Jahr 2014, als zwei Jahre vor der Tat, aufgeschrieben, behauptet. So steht in dem Dokument, dass der Mitangeklagte Robert S. eine Entführung samt Mord plane. Zudem hätte S. eines Abends vor einem Schnellimbiss versucht, ihn - Olaf C. - zu entführen. Der Versuch scheiterte. Das alles habe er aufgeschrieben, um sich gegenüber S. abzusichern, falls ihm etwas zustoße.
Das Dokument hatte Olaf C. einer unbeteiligten Person übergeben. Bei der Befragung dieser Person konnte diese zwar das Schriftstück vorlegen, aber nicht mehr genau sagen, ob sie es vor dem Verschwinden von Daniel M., wie es der Angeklagte behauptet, oder erst später erhalten hat. Die Intention von M. liegt auf der Hand: Er will damit seine Glaubwürdigkeit untermauern und zugleich die kriminelle Energie seines Mitangeklagten offenlegen.
Das Gericht ging nun der Frage nach, ob das Datum, mit dem der Brief versehen wurde, also der 19. Januar 2014, mit dem Alter des Papiers übereinstimmt und beauftragte ein entsprechendes Gutachten. Sachverständiger Enrico Pigorsch von der papiertechnischen Stiftung aus Heidenau präsentierte am Mittwoch nun das Ergebnis.
Die Altersbestimmung von Papier basiere vor allem auf der Untersuchung der im Papier vorhandenen Stärke und der Papierfasern. »Nur wenn beide Werte zueinander passen, dann können wir eine gesicherte Aussage zum Produktionszeitraum treffen«, sagte Pigorsch.
Erneute Untersuchung
Demnach deutet der Wert der Stärkekonzentration auf ein Herstellungsjahr zwischen 2010 bis 2013 hin. Jedoch spricht der Wert, der sich aus der Untersuchung der Papierfasern ergeben hat, für eine Produktion um das Jahr 2018. Der größte Widerspruch besteht für den Experte allerdings darin, dass der Wert der Papierfasern unter dem Wert der Stärke liegt. Das könne nicht sein, sagte er. »Der Wert der Papierfasern muss über dem der Stärke liegen.« Aufgrund von Referenzenwerten und seinen bisherigen Erfahrungen sei das für ihn nicht erklärbar. »Dieses Ergebnis widerspricht allen bisherigen Erfahrungen. Wir müssen das Papier daher erneut untersuchen, um diesen Widerspruch aufzulösen«, sagte Pigorsch. Dies werde weitere zwei Monate in Anspruch nehmen. Die Datierung des Schriftstücks konnte Pigorsch am Mittwoch damit weder bestätigen noch verneinen.