1. Gießener Allgemeine
  2. Kreis Gießen
  3. Hungen

Wider den Mainstream

Erstellt:

Von: Barbara Czernek

Kommentare

ik_Hungen2_160223_4c
Anna Schneider signiert im Kulturzentrum in Hungen ihr Buch (hier mit Andreas Matlé, dem Leiter der OVAG-Öffentlichkeitsarbeit). © Barbara Czernek

Hungen (bac). Die Journalistin Anna Schneider ist eine bekennende Liberale. Sie steht für ihre Überzeugung, dass Freiheit beim eigenen Ich beginnt. Darüber hat sie ein vielbeachtetes Buch mit gleichlautendem Titel verfasst - und dafür sehr viel Widersprüche, Häme und Spott erfahren. Am Dienstagabend war sie in der OVAG-Leselandreihe im Kulturzentrum zu Gast.

Gemeinsam mit Andreas Matlé (Leiter der OVAG-Presse- und Öffentlichkeitsarbeit) diskutierte sie über ihre Streitschrift und räumte mit Fehlinterpretationen über ihre Person auf.

Über den Begriff ist viel diskutiert und geschrieben worden. Schneider bringt es klar und einfach auf den Punkt: »Freiheit ist Freiheit. So einfach ist das.« Was so einfach klingt, ist es jedoch schon lange nicht mehr, nicht nach drei Jahren der Pandemie. Doch vereinnahmen lässt sich diese Frau nicht, von keiner gesellschaftspolitischen Seite. Das macht sie unbequem, da sie sich nicht in eine Schublade stecken lässt. Denn genau gegen dieses Schubladendenken kämpft sie vehement an.

Die Chefreporterin der Zeitung »Welt« spricht sich klar für jede Form der Freiheit aus. Das beginnt beim eigenen Ich: »Nur wer sich um sich selbst kümmert, kann sich anschließend erst um andere kümmern.« Das klingt logisch und einleuchtend, ist im heutigen Mainstream unpopulär. Das »Ich« habe sich einem kollektiven »Wir« unterzuordnen. Darüber ist Schneider anderer Meinung und wird entsprechend angefeindet, vor allem aus der politisch linken Seite. Gern wird sie von Kritikern in eine rechte Ecke gedrängt - weil sie offen sagt, was andere Menschen insgeheim denken, es aber nicht offen aussprechen. »Davon bin ich weit entfernt. Solche Vorwürfe zerstreuen sich ganz schnell, wenn man sie genauer untersucht.« So sieht sie unter dem Schlagwort »diversity« eine Zergliederung der Gesellschaft. »Keiner denkt darüber nach, was dies wirklich bedeutet«, sagt sie dazu. Jeder werde heute in eine Schublade gesteckt, es werde nicht mehr auf die Person als solche geachtet. Als Beispiele nannte Schneider »unsägliche Diskussionen« über angebliche kulturelle Aneignungen, wie der intellektuelle Aufschrei einiger Gruppen über die Anmaßung einer niederländischen Übersetzerin, die das Gedicht der jungen Poetin Amanda Gorman ins Niederländische zwecks Veröffentlichung übertragen wollte, nur weil diese keine Schwarze wie die Poetin war. Ähnliche Anfeindungen habe sie durch ihr Statement gegen den Genderwahn erhalten, berichte sie. »Bitte verstehen Sie mich nicht falsch, ich habe nichts gegen das Gendern. Das soll jeder machen, wie er es will, nur möchte ich es mir nicht vorschreiben lassen, dass ich das jetzt tun muss.« Für Sätze wie diese erhielt sie spontanen Applaus. Es ist ihr radikales Verständnis von Freiheit und Liberalismus, das ihr viel Kritik einbringt.

Auch Moderator Matlé berichtete von Mails, in denen er gefragt wurde, wie man eine solche Frau zu einer Veranstaltung einladen könne. »Wir als Veranstalter st ehen dazu und sehen dies hier als einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Dialog.« Damit verwies er auf einen Fakt, den auch Schneider bemängelte: Das Fehlen einer vernünftigen Streitkultur in der heutigen Zeit. »Man spricht nicht mehr miteinander, aus Furcht einer anderen Meinung eine Bühne zu geben«, bedauerte Schneider. Am Dienstag in Hungen traf sie jedenfalls mit ihrem Buch und ihren Aussagen den Nerv der rund 50 Teilnehmer.

Anna Schneider: »Freiheit beginnt beim Ich: Liebeserklärung an den Liberalismus - Politik und Gesellschaft leiden unter dem Zwang der Mehrheit«, Verlag dtv, 12 Euro, 2022, 112 Seiten.

Auch interessant

Kommentare