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Versöhner und Schlossvater

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Von: Ursula Sommerlad

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Am 24. Juli 2021 wurde Prof. Adolf Hampel als Hungener Ehrenbürger ausgezeichnet. Jetzt ist der Theologe, Osteuropa-Experte und »Schlossvater« gestorben. ARCHIV © Ursula Sommerlad

Hungen (us). Das letzte Foto von Prof. Adolf Hampel im Zeitungsarchiv spricht Bände. Fröhlich gestikuliert der damals 87-Jährige im Garten des Hungener Schlosses, verstrickt in ein lebhaftes Gespräch, vor ihm das Goldene Buch der Stadt Hungen. Entstanden ist die Aufnahme am 24. Juli 2021, an diesem Tage wurde Hampel zum Ehrenbürger seiner Wahlheimat ernannt.

Weitere Fotos von ihm wird es nicht geben. In der Nacht zum Sonntag ist Adolf Hampel gestorben.

Faszination fürs Russische

Sein reiches Leben hat er vor bald zehn Jahren selbst beschrieben. »Mein langer Weg nach Moskau« lautet der Titel der 2013 erschienenen Erinnerungen, in denen Hampel vor allem auf seine Erlebnisse in Osteuropa zurückblickt. Der 1933 geborene Sohn eines Freibauern aus Mährisch-Schlesien war Priester und Diplomat, Hochschullehrer und Osteuropa-Kenner, WG-Gründer und Schlosseigentümer. Vor allem aber war er ein unermüdlicher Kämpfer für die Völkerverständigung. Hampel hatte in seiner Jugend erlebt, wohin Hass, Rassismus und Nationalismus führen können. Sein Leben lang setzte er sich mit aller Kraft und Elan dafür ein, dass anderen Menschen solches Leid erspart bleibt.

Mit seiner Familie war Hampel 1946 vertrieben worden. Auf dem Gymnasium in Passau entdeckte er seine religiöse Neigung und seine Faszination fürs Russische. Heimlich begann er, die Sprache zu lernen. Sein Ziel: Er wollte sich als Theologe für die unterdrückte Kirche im sowjetischen Machtbereich einsetzen. So studierte er von 1953 bis 1958 Theologie in Königstein und am Collegium Russicum im Vatikan und wurde nach byzantinischem Ritus zum Priester geweiht. Es folgten die Promotion und schließlich 1969 der Ruf an die Gießener Universität als Professor für katholische Kirchengeschichte und Moraltheologie. Viele Jahre stand er dem Institut als Dekan vor und machte sich als ausgewiesener Ostexperte einen Namen.

Priester war er schon lange nicht mehr. Nach der Begegnung mit seiner späteren Frau Renate hatte er den Papst 1971 gebeten, ihn zu laisieren und vom Zölibat zu entbinden. Zeitlebens blieb er ein Kritiker der von der katholischen Kirche geforderten Ehelosigkeit von Priestern.

Hampel ging seinen eigenen Weg. Er gründete eine Familie und zog in den Torbau des Hungener Schlosses. Als ihm der damalige Eigentümer Graf Oppersdorff das heruntergekommene Baudenkmal anbot, griff er zu. Der Professor wurde zum »Schlossvater«. Mit einer Gruppe von Freunden und Studierenden wagte er sich 1974 an die Sanierung. Herausgekommen ist ein bis heute außergewöhnliches Wohnprojekt, das zugleich Dreh- und Angelpunkt des kulturellen Lebens in Hungen ist. Auch für den gebürtigen Schlesier wurde die Stadt ein wichtiger Bezugspunkt. »Hungen war mein Anker, an dem ich Kraft schöpfen konnte, wenn ich aus Rom, Moskau oder Tiflis zurückkam.«

Die Aussöhnung mit den Menschen im Osten Europas blieb die Konstante in seinem Leben. Hampel setzte sich nicht nur in seiner wissenschaftlichen Arbeit dafür ein. Er pflegte viele Kontakte ins Ausland, organisierte und begleitete Hilfstransporte nach Ost- und Südosteuropa, auch während der Kriege auf dem Balkan. Und er half Zuwanderern und Geflüchteten, in Deutschland ein neues Zuhause zu finden. Dass er vor unorthodoxen Methoden nicht zurückschreckte, hat er bei der Verleihung der Ehrenbürgerwürde freimütig bekannt. So habe er zu Zeiten des Eisernen Vorhangs immer wieder Menschen zu Veranstaltungen und Symposien eingeladen, um ihnen ein Visum für Deutschland zu verschaffen.

Auch vor Ort war er aktiv. Gemeinsam mit seiner Frau half er Fremden, in Deutschland Fuß zu fassen. Ohne die Hausaufgabenhilfe im Hause Hampel wäre wohl mancher Lebensweg anders verlaufen.

Wie wichtig der Blick auf andere ist, hat der nun Verstorbene allen Begleitern im vergangenen Juli noch einmal eindringlich ans Herz gelegt: »Deutschland hat kulturell viel zu bieten - aber das haben andere Länder auch. Wir sollten viel mehr über fremde Kulturen erfahren wollen - es sollte ein Austausch sein. Wer sich heute auf einen deutschen Nationalismus beruft, der ist unser Gegner.«

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