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»Tempo 30« schwer zu kriegen

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Von: Patrick Dehnhardt

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In Lang-Göns wartet man trotz kaputter Fahrbahndecke in der Ortsdurchfahrt vergebens auf Tempo 30. © Alexander Geck

Wenn auf einer überörtlichen Straße Tempolimits verhängt oder Schilder aufgestellt werden sollen, dann fällt dies nicht in die Zuständigkeit des jeweiligen Bürgermeisters. Stattdessen prüft die Hauptverkehrsschau, ob dies verkehrsrechtlich überhaupt möglich ist. Die Entscheidungen des Gremiums sind nicht unumstritten, wie drei Beispiele aus Lang-Göns, Nonnenroth und Winnen zeigen.

Der Ortseingang von Nonnenroth im Morgengrauen. Kinder queren die Landesstraße, um zur Bushaltestelle zu kommen. Sie müssen genau auf den Verkehr achten - denn einige Auto- und Lasterfahrer nehmen den Schwung aus der Gefällstrecke mit und kommen mit deutlich mehr als den erlaubten 50 km/h angerauscht. Eltern und Ortsbeirat fordern deshalb seit Jahren mehr Sicherheit an der Bushaltestelle.

Gefahrenstellen erkennen

Gefahrenstellen erkennen und entschärfen - das ist ein Auftrag der Hauptverkehrsschau. Diese muss auf allen »Straßen von erheblicher Bedeutung« alle zwei Jahre stattfinden - »erforderlichenfalls auch bei Nacht«. Dabei wird nicht nur angeschaut, ob Schilder noch gut lesbar sind, sondern auch, ob Gefahrenquellen am Fahrbahnrand lauern und wie sich gefährliche Stellen entschärfen lassen.

Der Landkreis Gießen organisiert die Schauen vorrangig für die Bundesstraßen, die Kommunen sind für Orts- sowie Kreis- und Landesstraßen zuständig. Zudem gibt es thematische Verkehrsschauen, die sich etwa auf das Thema Radverkehr fokussieren. »Spätestens nach vier Jahren soll jede Verkehrsfläche einer umfassenden Verkehrsschau unterzogen werden sein«, teilt die Pressestelle des Landkreises auf Anfrage mit.

Doch in Nonnenroth ist man mit dem Ergebnis der Hauptverkehrsschauen nicht zufrieden. Ein Kritikpunkt: Bei den Terminen ist kein Vertreter vom Dorf vor Ort, der dem Gremium das Problem schildern könnte.

»Die optimale Teilnehmerzahl sollte aus Gründen der Effizienz nicht mehr als acht Personen betragen. Es ist nachteilig, wenn an Verkehrsschauen zu viele Personen beteiligt sind«, erläutert die Kreispressestelle. Teilnehmen dürfen Vertreter des ADAC, des ADFC, der Verkehrsgesellschaft Oberhessen, des Regierungspräsidiums, der Polizei, der Straßenverkehrsbehörde des Landkreises und von Hessen Mobil sowie ein Vertreter der Kommune - entweder der Bürgermeister oder das Ordnungsamt.

Ortsvorsteher oder der Ortsbeirat sind dabei erst einmal nicht vorgesehen, sondern sollen ihre Probleme oder Fragen beim Ortstermin über die kommunale Vertretung übermitteln lassen.

Wenn die Schau zu einem Zeitpunkt stattfindet, an dem das Problem nicht auftritt - etwa gerade kein Berufsverkehr herrscht oder die Kinder schon in der Schule sind - könne das Problem nicht bewertet werden, so ein weiterer Kritikpunkt.

In Nonnenroth etwa wurde die Bushaltestelle zunächst außerhalb des Schülerverkehrs begutachtet und daher nur wenige Nutzer festgestellt. Darum setzte sich nun Landrätin Anita Schneider für eine eigene Verkehrsschau an, bei der Ortsvorsteher Werner Leipold dabei sein und dem Gremium unter anderem die Situation an der Bushaltestelle schildern konnte. Das Ergebnis blieb jedoch gleich: Die vorhandenen Regelungen seien ausreichend, um für Sicherheit zu sorgen, teilt der Landkreis mit. »In der Heerstraße existieren keine Anknüpfungspunkte für weitergehende Maßnahmen.«

Das Problem ist dabei nicht das Gremium selbst: Gesetzliche Vorgaben und die Straßenverkehrsordnung lassen keine anderen Maßnahmen zu. »Man hat das Gefühl, dass noch immer der Autoverkehr im Vordergrund steht«, sagte Ortsvorsteher Leipold.

Auch in Allendorf/Lumda kann man die Regelungen nicht ganz nachvollziehen. Zwischen den Ortsteilen Nordeck und Winnen verläuft die Straße nur wenige Hundert Meter außerorts - jedoch ohne Tempolimit. Als das hessische Verkehrsministerium vor einigen Jahren medienwirksam ankündigte, dass auf kurzen Abschnitten zwischen zwei Ortsteilen auch Tempo 70 angeordnet werden könnte, wuchsen in den Stadtteilen die Hoffnungen auf eine Geschwindigkeitsbegrenzung.

Doch diese zerschlugen sich. Weniger medienwirksam wurde ein weiterer Erlass veröffentlicht, dass die Tempo-70-Regelung nur in Einzelfällen angewendet werden dürfe. »Die Behörden haben demnach zu prüfen, ob die vorgesehene Regelung zwingend erforderlich ist«, teilt die Pressestelle des Kreises mit. »Nötig ist eine sogenannte qualifizierte Gefahrenlage.«

Diese sei jedoch vor Ort nicht erkennbar gewesen. Schnelles Fahren sei auf der Straße nicht möglich, besonders viele Raser nicht zu verzeichnen. Zudem habe die angrenzende Kita ihren Ausgang in Richtung Seitenstraße, sodass dort auch keine Gefahr drohe. »Die rechtlichen Vorgaben werden umgesetzt«, teilt der Landkreis mit.

Besonders verwundert sind die Anwohner der Lang-Gönser Durchgangsstraße über die Entscheidungen des Gremiums. Dort ist die Straße in einem miserablen Zustand. Autos und Laster rollen mit viel Lärm über die Schlaglöcher und Bodenwellen in der engen Ortsdurchfahrt. Mit Verweis auf den Lärmschutz wollte die Gemeinde darum Tempo 30 verhängen. Doch dies wurde abgelehnt.

Wie die Kreispressestelle erklärt, habe der Lärmaktionsplan des Regierungspräsidiums in Lang-Göns keine besondere Belastung ausgemacht. »Ob durch den baulichen Zustand eine erhöhte Lärmbelastung mit Handlungsbedarf vorliegt, kann derzeit mangels belastbarer Daten von der Straßenverkehrsbehörde nicht beurteilt werden.«

Die Lang-Gönser sind vor allen Dingen deshalb verwundert, weil Watzenborn-Steinberg ein nächtliches Tempolimit in der Ortsdurchfahrt genehmigt bekam - mit dem Unterschied, dass die dortige Ludwigstraße erst vor ein paar Jahren saniert wurde. Die Gemeinde Langgöns hat darum ein Lärmgutachten in Auftrag gegeben, um den von den Anwohnern festgestellten Krach wissenschaftlich belegen zu können.

Die ausgewählten Beispiele zeigen, dass es an einigen Stellen klemmt. Jedoch nicht überall im Landkreis. Aus dem Lindener Rathaus etwa hieß es, dass man bislang mit den Ergebnissen der Hauptverkehrsschau stets zufrieden gewesen sei.

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Außerhalb der Schulzeiten lässt sich schwer beurteilen, wie viele Schüler die Bushaltestelle nutzen. Ein Ortstermin in den Morgenstunden war zunächst mit Verweis auf die Arbeitszeiten abgelehnt worden. © Patrick Dehnhardt

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