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Mutter sagt aus: »Beim zweiten Mal war ich dabei«

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Von: Ursula Sommerlad

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Der Starnberger See: Wurden hier die sterblichen Überreste von Daniel M. versenkt. © DPA Deutsche Presseagentur

Hungen - Seit mehr als zwei Jahren ringt das Landgericht Gießen um die Wahrheit. Doch der Tod des 39 Jahre alten Daniel M. auf einer Hofreite bei Hungenbleibt mysteriös.

Der Sohn steht mitten in der Nacht in der Haustür. Er sieht schrecklich aus. Und erzählt von einem Mord. In seinem Auto, bei voller Fahrt, habe sein Freund Olaf einen Bekannten erschossen. Die Mutter hört diese Geschichte. Sie ist »total geschockt«. Und sie tut - nichts. Sie fragt beim Sohn nicht nach, sie ruft nicht die Polizei. »Ich wollte nicht, dass das rauskommt, dass es in der Zeitung steht«, sagt die Frau, die mehr als sieben Jahre später als Zeugin in Saal 207 des Gießener Landgerichts steht. Dort, vor der 5. großen Strafkammer, muss sich seit mehr als zwei Jahren ihr Sohn Robert S. verantworten. Er und Olaf C. sollen am 17. November 2016 auf einer Hofreite bei Hungen Daniel M. ermordet haben. Die Leiche des Opfers wurde bis heute nicht gefunden. Die beiden Angeklagten beschuldigen sich gegenseitig, die tödlichen Schüsse abgegeben zu haben.

Robert S. hat bei der Polizei ausgesagt, den Leichnam zerstückelt und beseitigt zu haben. Er habe die in Eimer einbetonierten Leichenteile im Starnberger See versenkt. Ist das die Wahrheit? Oder lügt der jüngere der beiden Angeklagten? Will er nicht, dass die Leiche gefunden wird, weil Spuren daran Hinweise auf die Tatumstände geben könnten?

Verzicht auf Zeugnisverweigerungsrecht

Ursula S., die Mutter, war vor eineinhalb Jahren schon einmal als Zeugin geladen. Damals machte sie von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch. Sie hat sich nun anders entschieden. Die Anwälte ihres Sohnes hätten ihr dazu geraten, sagte sie auf Nachfrage von Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger. »Sie haben gesagt, dass es schlecht ausschaut für meinen Sohn.« Aus eigenen Stücken, so versicherte die 68-Jährige, hätte sie niemals ausgesagt.

Am Mittwoch hat sie dem Gericht drei Stunden lang Rede und Antwort gestanden. Es ging um finanzielle Deals zwischen Olaf C. und Robert S., um Falschgeld und Bordellbesuche, vor allem aber um die Beseitigung der Leiche von Daniel M. Und da unterscheiden sich die Darstellungen von Mutter und Sohn in einem Punkt ganz gravierend.

Leichenteile im 5er BMS

Robert S., der vor Gericht eisern schweigt, hat gegenüber der Polizei von einer einzigen Fahrt an den Starnberger See berichtet. Sie soll am 24. und 25. November 2016 stattgefunden haben, also eine Woche nach der Tat. Die Mutter aber behauptet, dass es eine zweite Fahrt gegeben hat. Irgendwann zwischen Weihnachten und Neujahr, vielleicht auch erst Anfang 2017. Diesmal habe sie ihren Sohn begleitet. »Weil er gesagt hat, dass er es alleine nicht mehr aushält.« Beim ersten Mal sei auf dem gemieteten Hänger nicht genügend Platz für alle Eimer gewesen.

Die Tour soll laut der Zeugin folgendermaßen vonstatten gegangen sein: Mutter und Sohn brechen im 5er BMW des Ehemanns gemeinsam auf. In Wiesbaden laden sie in einem Mietlager die übriggebliebenen Eimer mit den einbetonierten Körperteilen ein und decken sie zu.

Der ungewöhnliche Geruch wird mit Febreze übertüncht. Am Starnberger See, in Münsing, stoppen sie auf einem kleinen Parkplatz nahe der »Fischerrosl« und finden einen kleinen Bach, an dem sie die Eimer deponieren können. Man übernachtet bei Verwandten, bricht früh am Morgen wieder auf und findet die Eimer unberührt.

Keiner stört die Aktion am See

Robert S. bringt sein Kajak zu Wasser, lädt einen Teil der Fracht in ein Schlauchboot, robbt über das zugefrorene Ufer zu seinem Boot und paddelt los Richtung Seemitte. So weit, dass die Mutter ihn trotz Fernrohr aus den Augen verliert. Nach vielleicht zwei Stunden ist er zurück und packt die nächsten Eimer ein. Nach drei Fahrten sind alle Eimer versenkt. Niemand hat das Treiben beobachtet, obwohl an diesem Tag über dem See eine helle Wintersonne strahlt. Gegen Mittag treten Mutter und Sohn die Heimreise an, diesmal nicht über Landstraßen, sondern über die Autobahn. Unterwegs werfen sie die Handtücher, mit denen die Eimer abgedeckt waren, auf einer Raststätte in den Müllcontaiiner. Vielleicht auch das Schlauchboot. »Mir war’s so«, sagt die Zeugin mit bayrischem Zungenschlag. »Vielleicht irre ich mich auch.«

Die Vorsitzende Richterin traut ihren Ohren kaum. »Wir haben schon viele Aussagen gehört, bei denen man sprachlos ist«, sagt Ute Enders-Kunze. »Und so geht es mir bei Ihrer Aussage auch wieder.« Doch Ursula S. beharrt auf ihrer Darstellung: »Es hat zwei Fahrten gegeben. Und beim zweiten Mal war ich dabei.«

Strafanzeige gestellt

Der Vernehmung der Zeugin war ein Schlagabtausch der Verteidiger der beiden Angeklagten vorausgegangen. Olaf C. ließ über seine Anwälte Strafanzeige gegen Ursula S. erstatteten. Eine »Teilnahme an einem Tötungsdelikt« sei nicht auszuschließen. Die Vertreter von Robert C. werteten dies als Versuch, »die Aussage zu torpedieren.« Die Befragung der Mutter soll am Freitag fortgesetzt werden. (us)

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