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Luther will Rebell und kein Gartenzwerg sein

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Von: Patrick Dehnhardt

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Luther – er wird in diesem Jahr überschwänglich gefeiert. Nicht die Person, sondern der Gedanke hinter der Reformation rückte beim Lutherspiel in Nonnenroth in den Mittelpunkt.

Laut pochten die Schläge auf der Kirchentür. Im Jahr des Reformationsjubiläums griff Martin Luther wieder zum Hammer, um Thesen anzuschlagen. »Tretet ein für eures Herzens Meinung, aber lasst den Verstand nicht außen vor« stand auf einem der Papiere. Luther will kein Werbeträger, kein Abziehbildchen sein, erklärte er. Beim »Lutherspiel« am Sonntag in Nonnenroth wollte er den Geist der Reformation anfeuern, rief er den weit über 600 Besuchern zu: »Bleibt Rebellen!«

Es war eine Mammutaufführung, welche die evangelische Kirchengemeinde Villingen und Nonnenroth am Fuße des Kirchbergs auf die improvisierte Bühne brachte. Weit über 100 Darsteller schlüpften in historische Gewänder, aber auch teils moderne Rollen. Einen großen Anteil stellten die jungen Sänger der Willi-Ziegler-Schule und der Gesangverein Liederkranz Nonnenroth, die als Chöre des Stücks im Einsatz waren, sowie die Gruppe »Querbeet«.

GZSZ-Star Meilinger als Luther

Pfarrer Hartmut Lemp übernahm die Regie, verkaufte die Aufführung des Lutherspiels als »Generalprobe für die Fernsehaufzeichnung des Hessischen Rundfunks«. Zu dieser erwartete man auch Margot Käßmann und Annette Schavan. In der »Stellprobe« wurden sie von Landrätin Anita Schneider und Dekanin Barbara Alt verkörpert und mit einigen Seitenhieben auf diese Personen gespielt. Generell kam das Stück mit viel Witz daher. Als etwa Thaddäus Meilinger, als Schauspieler aus »Gute Zeiten, schlechte Zeiten« bekannt, die Bühne betrat und sich als Luther vorstellte, riefen ihm Käßmann und Schavan zu: »Das ist das Double vom Stadtmarketing Hungen!« Und mit Blick auf die zwei Routen des Lutherwegs fiel die Bemerkung: »Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein Rebell durch Lich zieht.« Hier schritt Regisseur Lemp sofort ein, schließlich ist Lich auch schon seit Jahrhunderten evangelisch.

Luther traut lesbisches Paar

Zudem sollten diese kleinen Spielereien nicht von der Kernbotschaft ablenken: Dass die Reformation auch eine Form der Rebellion war. Sie sollte neue Gedanken entfachen, Althergebrachtes in Frage stellen, die Rolle der unfehlbaren Kirche und des Adels als von Gott gesetzte Institution erschüttern. Eine Schlüsselszene darin: die Hochzeit Martin Luthers mit Katharina von Bora. Lemp kommt aber ins Zweifeln, dass heute die Hochzeit eines Priesters noch als Akt der Rebellion verstanden wird. Da melden sich zwei Nonnen zu Wort: »Wir wollen auch gesegnet werden.« Eine lesbische Hochzeit? Was für die Kirchen bisher meist ein rotes Tuch ist, nimmt Luther in die Hand. Er traut die beiden.

Dies ist eine der vielen Stellen, in denen das Stück von der Vergangenheit in die Moderne springt, aktuelle Probleme anspricht. Nachdem Philipp der Großmütige, gespielt von Bürgermeister Rainer Wengorsch, etwa die Milde gegen alle Religionen verfügt und zur Förderung des neuen Geistes eine Universität gründen lässt, kritisiert Luther die aktuelle Situation: »Ich wollte Bildung für alle Kinder, nicht nur für die, die es sich leisten können.« Und mit Blick auf die vielfältige Vermarktung seiner Figur schimpft er: »Hört auf mit einer Verniedlichung Luthers als Schokofigur und Gartenzwerg.«

Verpflichtung zum Handeln

Dies alles mündet in der Aufforderung, selbst aktiv zu werden. Mit Bezug auf das Bibelwort »Ihr seid das Salz der Erde« reflektiert Meilinger die Figur Luthers. Für die Reformation werde er gefeiert, gleichzeitig sei er auch ein Mensch mit dunklen Seiten gewesen, etwa Antisemit. Beim Reformationsjubiläum gehe es nicht um die Person Luthers – sondern den Anstoß, den er gegeben habe.

Die Menschen sollten nicht passiv zuschauen, sondern Missstände anprangern, forderte der moderne Luther danach. Es sei etwa ein Skandal, dass in Deutschland produzierte Waffen von den Terroristen des IS verwendet würden. Dass rassistische und menschenverachtende Äußerungen toleriert würden. Oder dass man sich aus der Verantwortung, etwas gegen den Klimawandel tun zu müssen, heraus stehle. »Wenn man kann, dann muss man es auch machen«, sagte er. Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, griff Luther zum Hammer – und nagelte die eingangs erwähnte These an die Tür. Besucher folgten seinem Beispiel, schlugen weitere Thesen an. Lemp sagte dazu: »Vielleicht ermutigt uns dieses Reformationsjahr, Thesen so anzuschlagen, dass sie weiter wirken.«

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