Hungens Hauch von Hollywood

Hungen (pad). Wer heute in Hungen ins Kino möchte, hat die Wahl, nach Grünberg, Lich oder Nidda zu fahren. Ein eigenes Lichtspielhaus besitzt die Schäferstadt nicht (mehr). Wie die neue Ausstellung »Kinogeschichten im Landkreis Gießen« zeigt, war dies früher anders. Heute eröffnet sie um 11 Uhr im Hungener Rathaus.
Es war um das Jahr 1924 - so dokumentiert es die Stadtchronik - als erstmals nachweislich ein Film in Hungen vorgeführt wurde. Das »Reisekino Diefenbach« gastierte.
Dieses rief vor Ort so viel Begeisterung hervor, dass August Konrad der Stadt vorschlag, in der Turnhalle ein »gutes Kino« einzurichten. Die Stadt sicherte ihre Unterstützung zu, hielt die Turnhalle jedoch als Spielort für ungeeignet.
Ein Jahr später beantragten Hermann Stein und Adolf Faber die Erlaubnis für den Bau eines Kinos. Nachdem sie eine Prüfung als Filmvorführer abgelegt hatten, gab es ab 1927 alle 14 Tage Vorführungen des »Lichtspieltheaters« im »Darmstädter Hof«.
Nach der anfänglichen Begeisterung gab es auch Durststrecken - so gab es von Juni bis September 1930 mangels Interesse keine Vorführungen. Ab 1950 betrieb Adolphine Neurath aus Inheiden die »Hungener Lichtspiele« im »Darmstäder Hof«.
Für das Kino in Hungen und der Region sollte jedoch Wilhelm Vogt prägend werden. Der am 25. Januar 1915 in der Schäferstadt Geborene stieg nach dem Krieg in das Kinogeschäft ein. Am 17. April 1954 öffnete das »Rex-Filmtheater« in Hungen mit 368 Sitzplätzen.
3D-geeignete Projektoren
Die »Gießener Allgemeine Zeitung«, damals noch »Freie Presse«, berichtete: »Betritt man die neuen Rex-Lichtspiele durch die große eloxierte Flügeltür, die als Visitenkarte des Hauses einen vorzüglichen Eindruck macht, so ist man zunächst überrascht von der Wirkung der gelblich braunen Kunststofffußbodenplatten, dem dezenten Anstrich und den farbenfrohen Vitrinen.« Die Projektoren waren auch auf 3D-Vorführungen mit Brillen ausgelegt, Süd-Ton erstellte die gesamte bild- und tontechnische Einrichtung.
Das Programm bot etwas für alle Altersklassen, von Kinderfilmen über Heimatspielfilmen bis hin zu erotischen Streifen, die zur späten Stunde über die Leinwand flimmerten und daher von den Hungener Jugendlichen »Nacktvorführung« getauft wurden. Viele Hungener hatten ein Abonnement und nahmen jeden Samstag im Kinosessel Platz.
Es war ein beliebter Ort. »1,50 DM kostete der Eintritt«, erinnerte sich 2014 Hermann Moll (†) im Gespräch mit dieser Zeitung. Er führte seine spätere Frau regelmäßig zum Rendezvous ins »Rex-Filmtheater«. Wie groß die Kinobegeisterung war, zeigt sich daran, dass selbst für einen Werbefilm Schlange gestanden wurde. »Da wurde gezeigt, wie mit Persil richtig gewaschen wird«, erinnerte sich Moll. »Wir mussten zuerst warten. Dann waren aber doch noch sechs Plätze frei und wir durften hinein.«
Kinobetreiber Vogt besaß neben dem Kino in Hungen noch Filialen in Langgöns und Großen-Linden, eröffnete 1955 einen Kinoneubau in Watzenborn-Steinberg. Zudem übernahm er das Laubacher »Apollo« und machte daraus ein weiteres »Rex«-Kino.
Das kleine Kino-Imperium währte nur kurz. 1960 waren die Filialen in Langgöns und Großen-Linden bereits Geschichte. Die Pläne für einen Kino-Neubau in Laubach musste Vogt aufgrund von Geldmangel beerdigen. Am 31. Dezember 1965 war für die Rex-Filmtheaterbetriebe dann endgültig Schluss. Das Unternehmen war überschuldet und konnte im Wettbewerb zum Fernsehen nicht mehr bestehen. Das Hungener Kino dient heute der Firma Jackl als Lagerhaus, das Watzenborn-Steinberger wurde zur Werkstatt.
Die Ausstellung »Kinogeschite(n)« ist bis 28. Februar im Hungener Rathaus zu den Öffnungszeiten für Besucher geöffnet.

