Am Bahnhof Inheiden wartet man seit Jahren auf den nächsten Zug

125 Jahre ist es her, dass in Inheiden erstmals die Horlofftalbahn hielt. In den letzten fast 20 Jahren ist es am Bahnhof jedoch still geworden. Jedoch gibt es Hoffnung für diesen vergessenen Ort.
Hungen – Es war ein Festtag, als am 1. Oktober 1897 erstmals die Horlofftalbahn von Friedberg nach Hungen fuhr. Alle Bahnhöfe an der Strecke waren prachtvoll geschmückt, als der Sonderzug einrollte. An jedem Ort wurden Reden gehalten, sangen Chöre. Der Glanz dieser Tage ist seit langer Zeit vergangen - besonders am Bahnhof Inheiden. Seit 19 Jahren zerfällt das zuvor schon keinesfalls Sehenswürdigkeit zu nennende Areal.
Dürres Gras steht meterhoch, im Gleisbett liegen zwischen den zwei rostenden Eisensträngen Scherben, im Gebüsch ein lilafarbener Rucksack. Das alte Bahnhofsschild scheint bei Mäharbeiten zersägt worden zu sein. Im vergangenen Oktober demontierte der Hungener Bauhof die Reste der Signalanlagen am nahen Bahnübergang. Im Betonwartehäuschen treffen sich hin und wieder Jugendliche, um unbeobachtet zu sein. Es ist ein trostloser Ort.
Horlofftalbahn bedeutete Anschluss an die große Welt
Vor 125 Jahren war dies anders. Da stand der Bahnhof für Hoffnung. Die Gleise bedeuteten den Anschluss an die große, weite Welt. Reisen und vor allen Dingen der Handel mit Gütern und Lebensmitteln wurden deutlich leichter. Zwischen Inheiden und Hungen, direkt neben der Brücke der vor einigen Jahren gebauten Umgehungsstraße, lag die große Erzwaschstation mit Verladenmöglichkeiten für die Gruben Vereinigter Wilhelm und Feldheim. Zigtausende Tonnen Erz gingen von dort aus auf die Reise in die Hochöfen.
Zuckerrüben wurden über Jahrzehnte hinweg über die Horlofftalbahn zur Zuckerfabrik in Friedberg transportiert. Wie auf einer Info-Tafel am Friedberger Bahnhof zu lesen ist, hatte ein Großteil der Gütergleise in Friedberg allein den Zweck, den Ansturm der Waggons mit Zuckerrüben zu bewältigen.
Horlofftalbahn: »Das Obst hat ganze Familien ernährt. Das ist heute unvorstellbar.«
Aber auch andere Lebensmittel gingen auf die Reise. Stephan Kannwischer von der AG Horlofftalbahn berichtet, dass früher auch in Inheiden zur Erntezeit Waggons mit Kirschen, Zwetschgen, Birnen und Äpfeln gefüllt und in die Ferne geschickt wurden. »Das Obst hat ganze Familien ernährt. Das ist heute unvorstellbar.«

Sowohl nach dem Ersten als auch nach dem Zweiten Weltkrieg diente die Horlofftalbahn allerdings noch einer anderen Art der Versorgung: Die hungrigen Stadtbewohner fuhren in Scharen aufs Land, um Holz und Lebensmittel zu hamstern. Nach dem Ersten Weltkrieg standen darum auf den Bahnhöfen teils sogar Soldaten, »um die Gewalttätigkeit der teilweise auf den Feldern räubernden Hamsterfahrer zu unterdrücken«, wie in der Hungener Stadtchronik festgehalten ist.
Horlofftalbahn: Tiere auf den Gleisen als Nahrungsbeschaffung
Brunhilde Schröder und Karin Engels haben die Hochzeiten der Bahn in Inheiden noch erlebt. Von 1946 bis 1957 lebten sie im Bahnhofsvorsteherhaus. Ihr Vater Friedrich Weber - im Dorf »Jule Fritz« genannt - war der letzte Inheidener Bahnhofsvorsteher. Viele Male am Tag gab er die Züge zur Abfahrt frei. Sie erlebten die Hamsterfahrten nach dem Zweiten Weltkrieg mit, sahen aber auch jeden Morgen die Pendler nach Friedberg und Richtung Rhein-Main am Bahngleis stehen und auf den Zug warten.
Die Bahn ernährte die Familie zudem auf eine weitere Weise: Hin und wieder kam es vor, dass ein nicht besonders schlauer Hase oder ein Reh auf den Gleisen stehen blieb, wenn der Zug kam. Die Zugführer gab dann beim »Jule Fritz« Bescheid. Dessen Frau Anne machte sich sodann mit dem Bollerwagen auf den Weg, um das überfahrene Tier einzusammeln und zu verwerten. So sorgte die Bahn öfters mal für einen Sonntagsbraten. Nachdem »Jule Fritz« in den Ruhestand gegangen war, wurde als Unterstand für die Wartenden ein schmuckloses Betonhäuschen errichtet. Den Ticketverkauf übernahm ein Automat.
Stephan Kannwischer ist sich sicher, dass die Horlofftalbahn und der Bahnhof zusammen mit dem See, dem Braunkohletagebau sowie dem Wasserwerk einen Großteil zum Wachstum von Inheiden beigetragen hat. Er hofft darum auf eine zeitnahe Reaktivierung der Bahnstrecke: »Ich bin absolut guter Dinge, dass dies gelingt«.
Horlofftalbahn: Hoffnungslos veraltete Stellwerktechnik
In die Amtszeit des hessischen Verkehrsministers Dieter Posch (FDP) fiel der Entschluss, die Horlofftalbahn stillzulegen. Nur aufgrund des Widerstands der Kommunen und eigener Initiative, das Gleis zu sichern, ist die Strecke heute in einem Zustand, der eine Wieder-Aufnahme des Bahnbetriebs leicht möglich macht.
Probleme der Reaktivierung waren lange Zeit der weitere Anschluss an das Rhein-Main-Gebiet, da die Bahnstrecke Friedberg-Frankfurt schon heute an ihrer Kapazitätsgrenze angelangt ist, sowie eine hoffnungslos veraltete Stellwerkstechnik. Mit dem Bau neuer Stellwerke sowie dem derzeit laufenden Gleisausbau zwischen Friedberg und Frankfurt soll dies .kein Hindernis mehr sein.
Der Bahndamm der Horlofftalbahn wird derzeit zudem darauf untersucht, ob dort Tiere leben. Denn wenn die Strecke instandgesetzt wird, bleibt erstmal kein Stein auf dem anderen liegen: Ein Bauzug wird den alten Schotter aufnehmen, reinigen und aufgefüllt mit neuem Material wieder ins Gleisbett einbauen. Kannwischer ist guter Dinge, dass dieser Bauzug 2025 anrückt. Ein Jahr später könnte der Zug wieder planmäßig in Inheiden halten. (pad)
Die Reaktivierung des Betriebs der Horlofftalbahn könnte noch Jahre dauern.