1. Gießener Allgemeine
  2. Kreis Gießen
  3. Hungen

Frieden, Freiheit, Selbstbestimmung

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Ursula Sommerlad

Kommentare

us_hunge_040322_4c
Mahnwache auf dem Marktplatz in Hungen. © Ursula Sommerlad

Hungen/Lich (us). Über 200 Teilnehmer auf dem Marktplatz in Hungen, schätzungsweise ebenso viele vor dem Rathaus in Lich: Nicht nur in großen Städten versammeln sich die Menschen, um bei Kundgebungen und Mahnwachen ihrer Erschütterung über den Angriff auf die Ukraine Ausdruck zu verleihen, den Bruch des Völkerrechts zu verurteilen und sich solidarisch mit den Menschen zu zeigen, die im Kriegsgebiet um ihr Leben fürchten müssen.

In Hungen hatten sich auf Initiative der SPD alle demokratischen Parteien, Kirchengemeinden und Religionsgemeinschaften sowie Vereine dem Aufruf zur Mahnwache angeschlossen. Die Veranstalter hatten mit etwa 50 Teilnehmern gerechnet. Mehr als viermal so viel waren am Mittwochabend gekommen. »Seit einer Woche führt Putin einen grausamen Krieg gegen das ukrainische Volk. Näher war uns ein Kriegsgeschehen nie seit dem Zweiten Weltkrieg«, sagte SPD-Ortsvereinsvorsitzende Sabine Fellner von Feldegg bei ihrer Begrüßung auf dem von Kerzen erleuchteten Marktplatz. »Auch hier in Hungen sind wir fassungslos, wütend, haben Angst und fühlen uns ohnmächtig.« Mit der Mahnwache wolle man nicht nur allen vom Krieg bedrohten Menschen ein Zeichen der Solidarität senden, sondern auch zu dringend benötigter Hilfe aufrufen: »Spenden Sie, was Ihnen möglich ist, oder bringen sie Ihre persönliche Hilfe ein«, lautete Sabine Fellners Appell. Das anschließende Friedensgebet sprach Pfarrer Marcus Kleinert auch im Namen der katholischen Christen, der Neuapostolischen Gemeinde und der Moscheegemeinde. Die Mahnwache endete nach einem stillen Gedenken mit dem gemeinsam gesungenen Friedenslied »Shalom chaverim«.

Der Preis der Freiheit

Deutlich politischer geprägt war die Kundgebung, die keine 24 Stunden später vor dem Rathaus in Lich stattfand. Der Angriff auf die Ukraine sei ein ungeheures Kriegsverbrechen, das man nicht hinnehmen könne, sagte Dr. Hermann Otto Solms. Die russische Erzählung vom Verzicht des Westens auf die NATO-Osterweiterung bezeichnete er als Legende. »Das stimmt nicht. Ich war dabei«, betonte der frühere Bundestagsvizepräsident, der von 1991 bis 1998 Vorsitzender der FDP-Bundestagsfraktion war. Die Schlussakte von Helsinki, auf die sich auch die Sowjetunion verpflichtet habe, garantiere die Bündnisfreiheit und das Selbstbestimmungsrecht der Völker. Solms warf aber auch einen Blick nach vorn. Die Politik müsse nun dafür Sorge tragen, dass sich Deutschland aus der Abhängigkeit von Russland löse. »Das werden wir mitbezahlen müssen. Das ist der Preis der Freiheit.«

Auch Erster Stadtrat Burkhard Neumann und Bürgermeister Dr. Julien Neubert verurteilten Putins Angriffskrieg und riefen dazu auf, die Menschen in der Ukraine nicht alleinezulassen. Neubert verwies auf die große Hilfsbereitschaft, die die Einwohner von Lich bereits an den Tag gelegt haben. Die ergreifendste Rede aber hielt Vitalina Pucci. Als Pianistin von »Belle Mélange« und »Bittersüß« kennt man sie von der lustigen Seite. An diesem Abend war es der gebürtigen Ukrainerin bitterernst. Ihrer Mutter und der Familie ihres Bruders ist in letzter Sekunde die Flucht gelungen. Der Vater aber ist in Tschernihiw an der Grenze zu Weißrussland geblieben. »Ich habe mit ihm telefoniert. Er hat erzählt, was in der Stadt alles zerstört wurde. Auch ein Kinderkrankenhaus.«

Im Anschluss an die Kundgebung lud Pfarrerin Sylvia Grohmann zu einem Friedensgebet ein. Etwa zur selben Zeit kam die Nachricht, dass sich Russland und die Ukraine in Gesprächen nicht auf einen Waffenstillstand einigen konnten.

us_vita_040322_4c
Kundgebung in Lich mit Pfarrerin Sylvia Grohmann, Bürgermeister Dr. Julien Neubert, Dr. Hermann Otto Solms, Erstem Stadtrat Burkhard Neumann und Vitalina Pucci. © Ursula Sommerlad

Auch interessant

Kommentare