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Der Rahmen passt nicht

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Von: Patrick Dehnhardt

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In Hungen hat die »Horlofftal« einst zwei Y-Häuser errichtet, eines für Sozialwohnungen. Nun startete sie in Hausen ein Neubauprojekt. Es rechnet sich nur, weil sie das Grundstück bereits besaß. F.: STADTARCHIV HUNGEN/PAD © Patrick Dehnhardt

Die Immobilienpreise sind hoch, bezahlbarer Wohnraum wird knapp. In dieser Zeit richten sich wieder mehr Blicke auf die Baugenossenschaften. Galten sie in den 1980er Jahren noch als Auslaufmodell, sollen sie nun helfen, das Problem zu entschärfen. Doch dafür müsste der Staat erstmal die Rahmenbedingungen schaffen, findet Holger Frutig von der Baugenossenschaft Horlofftal.

Als die Baugenossenschaft Horlofftal gegründet wurde, war es eine andere Zeit. »Heute würde die Genossenschaft gar kein Geld zur Gründung bekommen«, sagt Geschäftsführer Holger Frutig. Die Idee allein, Wohnraum für Menschen zu schaffen, dürfte kaum reichen, um einen Kredit zu erhalten.

Damals unterstützte die Volksbank Hungen mit 200 000 D-Mark die Anschubfinanzierung. Um dies ins Verhältnis zu setzen: Der Bau eines Einfamilienhauses kostete rund 32 000 DM. Der Bankvorstand hielt es jedoch für eine wichtige und sinnvolle Sache. Zahlreiche Vertriebene waren nach Mittelhessen gekommen. Man wollte diesen ein neues Zuhause ermöglichen.

Innerhalb kurzer Zeit entstanden zig Ein- und Mehrfamilienhäuser. »Vor 70 Jahren war Bauen möglich«, sagt Frutig. Der Staat, die Stadt und der Kreis unterstützten dies: Baugenehmigungen waren für den sozialen Wohnungsbau kostenfrei, die Genossenschaft durfte ihre Immobilien über 80 Jahre abschreiben. Baugebiete ließen sich leicht realisieren, da die Verkäufer der Wiesen- und Ackerflächen steuerliche Vorteile für ihre Erlöse erhielten. »Der Staat hat - ohne Geld in die Hand zu nehmen - günstige Rahmenbedingungen geschaffen«, sagt Frutig.

Anscheinend hat dies Deutschland mittlerweile verlernt. Zwar wird - nicht nur zu Wahlzeiten - die Bedeutung bezahlbaren Wohnraums von Politikern betont. Doch getan wird dafür wenig. Darum ist der soziale Wohnungsbau fast zum Erliegen gekommen, während gleichzeitig immer mehr Wohnungen aus der Preisbindung herausfallen - und für wesentlich höhere Mieten auf den Markt kommen.

Die Auswirkungen werden am Bauprojekt »Lutherlinde« in Pohlheim deutlich. Dort schafft die Horlofftal derzeit 16 neue Wohnungen. Die Einstiegsmiete liegt bei 6,50 Euro. In der Limesstadt ließe sich ohne Probleme ein Mietpreis für eine neue »normale Wohnung« von 10,50 Euro aufrufen, Tendenz steigend. »Die Differenz zwischen Marktmiete und sozialer Miete ist ungesund hoch«, sagt Frutig. Der Staat zahle deutlich zu wenig, weshalb Leistungsempfänger nur schwer eine Wohnung finden würden. Zudem: »Ein sozialer Wohnungsbau kostet über die Jahre hinweg das Doppelte im Vergleich zu einem Privaten.«

Eine der Folgen: Kein privater Investor betreibt sozialen Wohnungsbau, wenn er ihn nicht vorgeschrieben bekommt. Selbst für die Horlofftal-Genossenschaft rechnet sich das Projekt nur, da sie das Grundstück schon seit Jahrzehnten besitzt. Sonst wäre der Neubau trotz Ausschöpfung aller Fördermöglichkeiten ein Minusgeschäft.

Da wundert es nicht, dass die »Lutherlinde« in Pohlheim sowie die Schaffung neuer Wohnungen auf dem Dölling-Villa-Areal in Hungen die einzigen Neubauprojekte der Baugenossenschaft in den letzten Jahrzehnten sind. »Wir wollen bauen«, sagt Frutig. Nur seien Projekte unter den derzeitigen Rahmenbedingungen kaum möglich.

Das Problem hat sich über Jahrzehnte entwickelt. Wusste der Staat in den 1950ern noch um die Bedeutung der Baugenossenschaften für den Wohnungsmarkt, ließ dieses Bewusstsein in den 1980ern deutlich nach. Zudem seien deutschlandweit zahlreiche Immobilien privatisiert worden, egal ob von Bundeswehr, Post oder Bahn, schildert Frutig. »Der Staat hat dadurch sein Knowhow in Sachen Immobilien verloren. Er kennt die Probleme der Grundbesitzer und Vermieter nicht.« Gleichzeitig habe der Bund seinen Einfluss auf den Wohnungsmarkt verloren.

Wolle die Politik wirklich etwas für den sozialen Wohnungsbau tun, müsse sie die Rahmenbedingungen ändern, sagt Frutig. Überzogene Baunormen würden die Projekte unnötig verteuern, zahlreiche Gebühren ihr Übriges tun.

Bauland ist zu einen erschwinglichen Preis kaum zu bekommen. Doch selbst bei der Nachverdichtung im Bestand gibt es Probleme: Die Horlofftal würde etwa gerne viele Häuser aufstocken, somit mehr Wohnraum auf gleicher Grundfläche schaffen. Doch dem stehen Bebauungspläne im Weg - manchmal geht es nur um wenige Zentimeter Höhe.

Auch an anderen Stellen klemme es gewaltig. Wenn etwa die Genossenschaft eine Fotovoltaikanlage auf einem ihrer Gebäude errichten und den Strom an ihre Mieter verkaufen würde, würde sie dies steuerliche Vorteile im existenzbedrohenden Maße kosten. So geht so etwas nur über die Ausgründung einer Energiegenossenschaft - ein zusätzlicher Verwaltungsaufwand. »Der Fokus der Politik muss zurück auf das Wesentliche: Wohnraum für die Menschen zu schaffen.«

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