»Hier steckt viel Arbeit drin«

Es könnte ein Projekt mit Leuchtturmcharakter werden: Mehrgenerationenwohnen, Begegnungsstätte, bezahlbare Appartements , Tagespflege, Nahversorgung, Dienstleistung. Und das alles auf einem Gelände. Kreative Köpfe sollen dazu in den kommenden Monaten ein Konzept entwickeln.
Durch zwei große Fenster fällt Licht auf eine meterlange Werkbank aus grobem Holz. Massive Schraubstöcke sind daran befestigt. Auf dem Tisch liegen Schere, Zange, Hammer und weitere Arbeitshilfen. Diverse Schraubendreher und Feilen stecken ordentlich aufgereiht in einer Halterung Marke Eigenbau. In dem großen Raum, in dem der Blick an Eisenträgern und Holzgebälk vorbei bis in den Giebel möglich ist, findet sich darüber hinaus allerlei großes Gerät zur Metallverarbeitung, im Séparée nebenan eine alte Schmiede. Das Gebäude und sein Inventar haben musealen Charakter. Hier, in der Bessinger Straße 7 in Langsdorf, legte Jean Thörner vor rund 120 Jahren den Grundstein eines Familienbetriebes, der bis in die 1990er Jahre Bestand hatte. Seitdem schlummert die ehemalige Arbeitsstätte im Dornröschenschlaf. Lediglich das Haus nebenan wurde noch genutzt.
Seit Dezember gehört die alte Schlosserei in Langsdorf der Stadt Lich. Die Kommune hat das 2600 Quadratmeter große Areal samt Werkstatt, Wohngebäude und Halle gekauft, mit dem Ziel, dort eine Mehrgenerationenwohn- und -begegnungsstätte zu etablieren. Wie das konkrete Nutzungs- und Raumkonzept aussehen wird, soll im Laufe dieses Jahres erarbeitet werden: von einer Projektentwicklungsgruppe, für die derzeit interessierte Ideengeber und potenzielle Betreiber gesucht werden, wie Bürgermeister Dr. Julien Neubert vor Ort erläuterte.
Ein Antrag auf Fördermittel aus dem LEADER-Programm für diesen Prozess, der via Moderation professionell begleitet und von einer Lenkungsgruppe gesteuert wird, wurde bereits gestellt und vom Verein Giessener Land positiv beschieden. Rund 65 000 der insgesamt 115 000 Euro teuren Projektentwicklungsphase werden übernommen. Neubert rechnet täglich mit dem offiziellen Förderbescheid. Liegt der vor, kann es losgehen. Bereits im Mai soll das erste Treffen der Projektentwickler stattfinden, zuvor die Lenkungsgruppe tagen, die aus dem Bürgermeister, Vertretern der Stadtverordnetenversammlung und der Ortsvorsteherin besteht. Sie bereiten die Treffen der Ideenschmieder vor.
Eine Projektskizze zum Vorhaben existiert bereits. Erstellt im vergangenen Frühjahr, wurde sie den städtischen Gremien vor der Beschlussfassung über den Grundstücksankauf vorgelegt. Demnach könnte in der früheren Schlosserei die Mehrgenerationenwerkstatt mit Begegnungscafé entstehen, dort, wo einst Landmaschinen repariert, schmiedeeiserne Tore gefertigt wurden und Traktoren den TÜV-Stempel bekamen. Inmitten der Historie, die es zu erhalten gilt, wie im Kaufvertrag vereinbart. Gut erreichbar, weil zum einen am Rande des alten Ortskerns gelegen, zum anderen nur wenige Meter vom Bahnhaltepunkt entfernt.
»Ich bin froh, dass wir das Gelände gefunden und erworben haben«, sagt Neubert. »Hier steckt viel Arbeit drin, aber es ist ein Riesenglücksfall für Langsdorf.« Nicht nur wegen der zentralen Lage und der guten Anbindung. Auch wegen der Grundstücksgröße und möglichen Bebaubarkeit. Denn laut Projektskizze sollen Werkstatt und Wohnhaus bestehen bleiben, die Halle durch einen Neubau ersetzt und ein zusätzliches Gebäude errichtet werden.
Mögliche Themen, die sich auf dem Areal realisieren ließen: bezahlbare Wohnungen für Jung und Alt, eine Tagespflege, Sprechstunden der Gemeindeschwestern und eines Hausarztes, ein kleiner Dorfladen, ein Kindertagespflegenest, ein Coworking-Space - soweit die bisherigen Vorschläge. In jedem Fall wäre dies eine Bereicherung für das 1450-Seelendorf, wo solche Angebote derzeit Mangelware sind. Zudem wohl ein Projekt mit Leuchtturmcharakter.
Ob für den vom Ortsbeirat gewünschten Coworking-Space, der bereits für das alte Rathaus in Langsdorf angedacht war, aber nicht realisiert wurde, Bedarf besteht, gelte es parallel zur Projektentwicklungsphase zu klären, sagt Neubert, ebenso müssten in den kommenden Monaten Kosten kalkuliert, eine Finanzierung auf die Beine gestellt, das Vorhaben visualisiert, Projektbeteiligte aquiriert und mögliche Gesellschaftsformen geprüft werden. Das sportliche Ziel: Bis Ende des Jahres soll das Nutzungs- und Raumkonzept stehen, ein Finanzierungsplan vorliegen und die Auswahl der Projektbeteiligten getroffen sein, damit in 2023 das erste von vier möglichen Modulen in die Umsetzung gehen kann. Für das gesamte Vorhaben, in dem laut Neubert »eigentlich alle Fragen dieser Zeit den ländlichen Raum betreffend eingefangen sind«, rechnet er mit einer Realisierungsdauer von mindestens drei bis fünf Jahren.
Die Gesamtkosten belaufen sich nach einer ersten Kalkulation auf rund 7,65 Millionen Euro. Ob das angesichts der aktuellen Preisentwicklungen zu halten ist, scheint fraglich. Aber auch hier will Neubert Fördermittel locker machen, Programme von Land, Kreis und der EU anzapfen und bis zu 4,8 Millionen Euro generieren, dazu ein zinsloses Darlehen über 1,8 Millionen Euro in Anspruch nehmen. Ob es bei diesen Zahlen bleibt, wird ebenfalls im Laufe des Prozesses zu eruieren sein.
Nun sind aber erst einmal kreative Köpfe gefragt. Sie müssen sich überlegen, wie sie die alte Schlosserei samt Hammer, Amboss und Co. wachküssen wollen.

