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»Nichts Angestaubtes«

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Von: Franz Ewert

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Die Geehrten rings um den neuen Ehrenobermeister Gerhard Arnold (Mitte) anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Raumausstatter- und Sattlerinnung Gießen/Lahn-Dill. © Franz Ewert

Heuchelheim (sel). Kreishandwerksmeister Kay-Achim Becker brachte die Befindlichkeiten in seinem Grußwort auf den Punkt. »Ihre Tradition hat nichts Angestaubtes, sondern ist Basis für eine innovative Zukunft«, sagte er. Immerhin galt es, das 100-jährige Jubiläum der Raumausstatter- und Sattlerinnung Gießen/Lahn-Dill einzuordnen. »Bewahren Sie Ihre Tradition, seien Sie stolz auf das Erreichte und blicken Sie als gute Vertreter des ehrbaren Handwerks mit Zuversicht in die Zukunft«, sagte Becker bei den Feierlichkeiten in Heuchelheim.

Natürlich durfte an diesem feierlichen Abend auch ein Blick in die bewegte Historie nicht fehlen. Am 3. November 1922 kam es zur Gründung der »Sattler- und Tapezierer-Zwangsinnung für die Stadt und den Kreis Gießen«. Jeder, der sich auf diesem Handwerksfeld selbstständig machen wollte, musste der Innung beitreten und hatte die Pflicht, bei Versammlungen anwesend zu sein. Die Innung regelte damals die Abläufe rund um Gesellen- und Meisterprüfungen, legte die Löhne fest und erarbeitete Richtpreislisten für Sattler- und Tapezierarbeiten. 1931 hatte die Innung 100 Mitglieder.

Allerdings blieb die Pflichtmitgliedschaft nicht unumstritten, besonders die hohen Mitgliedsbeiträge und die beachtlichen Strafen für das Versäumen der Versammlungen lösten Proteste aus. Mit dem Ergebnis, dass im März 1932 die Zwangsinnung per Mitgliederentscheid aufgelöst wurde.

Im November des gleichen Jahres gründete sich die »Freie Sattler- und Tapezierinnung für Stadt und Kreis Gießen«. Im Juli 1933 hatte die Innung 60 Mitglieder. Doch schon im November 1934 wurde die freiwillige Innung unter den neuen politischen Verhältnissen in eine Pflichtinnung umgewandelt, wodurch die Zahl der Mitglieder auf 139 anstieg.

Derzeit 21 Mitgliedsbetriebe

Nach dem Krieg basierte die Innungsmitgliedschaft wieder auf Freiwilligkeit. 27 Jahre lang, und damit so lange wie kein anderer, führte Alfred Leyerer (Wieseck) die Innung von 1963 bis 1990. Dieser gehörten beim 50-jährigen Jubiläum 1972 64 Betriebe an. Beim 75-jährigen waren es noch 40. Seit 2021 steht Frank Kreiling aus Heuchelheim an der Spitze der aktuell 21 Mitgliedsbetriebe großen Raumausstatterinnung Gießen/Lahn-Dill - zustande gekommen 2014 durch den Zusammenschluss der ehemals selbstständigen Innung Lahn-Dill mit Gießen.

Kreiling ließ in seiner Rede zum Jubiläum nicht nur die Historie Revue passieren. Er blickte nach vorne und brachte seine Genugtuung zum Ausdruck, dass auch im Raumausstatterhandwerk die 2004 abgeschaffte Meisterqualifikation als Voraussetzung zur Führung eines Betriebes und zur Ausbildung 2020 wieder eingeführt worden ist. In den 16 Jahren ohne Meisterzwang hätte sich bundesweit die Zahl der Raumausstatterbetriebe zwar verdreifacht, die Qualität der Arbeit sei dadurch jedoch keinesfalls gestiegen, gleichzeitig aber die Zahl der Auszubildenden gesunken. Mit der Rückkehr zur Meisterpflicht werden sich laut Kreiling die Dinge wieder zum Besseren wenden, zumal das Gewerk vergleichsweise gut durch die Pandemie-Zeit gekommen sei.

Landesinnungsmeister Ulrich Thomas nahm etliche Ehrungen vor. Die goldene Ehrennadel des Landesverbandes erhielt Obermeister Kreiling, die silberne bekamen Innungsvorstandsmitglied Dörte Gast, Berufsschullehrer Roger Spies und der langjährige Lehrlingswart Thomas Morbitzer. Der Hauptgeschäftsführer der Kreishandwerkerschaft, Björn Hendrischke, und Obermeister Kreiling überreichten dem einstigen Obermeister Gerhard Arnold die Ernennungsurkunde zum Ehrenobermeister. Landesinnungsmeister Thomas würdigte Arnolds Verdienste um das Handwerk zudem mit einer historische Auszeichnung: der »Wappennadel der Tapissiers von 1630 aus Danzig und Berlin«. Weiter ehrte die Innung Rosi und Gerhard Dörmer, Rosemarie Gast, Gudula Knübel und Frank Schmidt.

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