Klettern am Kirchenkamin

Heuchelheim (pm). Achterknoten knüpfen lernen, Sicherungsseile an Klettergurten einhängen und die Partner beim Fehltritt am Kletterturm vor dem Absturz bewahren. Auch das ist Teil der Konfirmandenzeit in der evangelischen Martinsgemeinde Heuchelheim-Kinzenbach.
Eigentlich ist der 12 Meter hohe Kletterturm mit Top-Rope-Sicherung der Kamin der neuen Martinskirche. 2009 wurde er vom Kirchenvorstand als Kletteranlage ausgebaut. Mehrere Routen mit Kletter-Griffen führen in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden von leicht bis mittelschwer auf drei Seiten des Turms nach oben. Ein geschultes und zertifiziertes Team, angeleitet vom Gemeindepädagogen Ulrich Berck, hilft beim Anlegen des Klettergeschirrs und beaufsichtigt den Auf- und Abstieg.
Pfarrerin Cornelia Weber, von der die Idee für den Kletterturm stammt und die selbst auch klettert, stellt das Klettern an den Beginn des Konfirmandenjahres, weil die Gruppe dabei in besonderer Weise zusammenwächst. »Am Turm lernen die Jugendlichen etwas, was man nicht im Stuhlkreis im Gemeindehaus vermitteln kann: Verantwortung für andere übernehmen und selbst spüren, dass Vertrauen tatsächlich trägt.«
Gemeindepädagoge Berck, ist seit Anfang an dabei. Er kennt Höhenangst und weiß, wie wichtig es für das Selbstvertrauen junger Menschen ist, mit Unterstützung anderer Grenzen zu überwinden. Er sieht noch einen anderen Aspekt: »Es ist gut, wenn die Jugendlichen eine herausfordernde Sportart kennenlernen, in der es nicht um Gewinnen und Verlieren geht, sondern darum, sich gegenseitig zu halten und zu ermutigen.«
Höhenangst unterscheidet nicht zwischen Geschlechtern. Beim Klettern kommt es auf Geschicklichkeit, Beweglichkeit und Vertrauen auf sich selbst und andere an, sodass Jungen und Mädchen beim Klettern gleiche Chancen haben. »Wer von 12 Metern herunterschaut, weiß, dass man mit Unterstützung der anderen über sich hinauswachsen kann«, sagt Weber.
Petra Jung-Kröck, Kirchenvorsteherin der Gemeinde, motiviert die Schüchternen, auch den Aufstieg zu wagen. Vor 13 Jahren gab es im Kirchenvorstand vor Baubeginn durchaus Skeptiker. Einer von ihnen begleitet inzwischen seine Enkel zu den offenen Kletterterminen für alle Interessierten.
Den Kletterturm hat der Kirchenvorstand 2009 zusammen mit Berck in Eigenarbeit am Kamin der Kirchenheizung angelegt, fachlich und finanziell unterstützt vom Gießener Architektenbüro Schäfer, Heuchelheimer Fachfirmen und der Volksbank Heuchelheim.
Andreas Schmidt, der als Sozialarbeiter im Diakonischen Werk Gießen arbeitet, hat als erfahrener Erlebnispädagoge das Projekt begleitet. Er schult auch regelmäßig die Kletter-Teamer der Kirchengemeinde, des Dekanats oder externer Gruppen, die dort klettern können.
»Mir gefällt es, dass wir als Kirche solche außergewöhnlichen und nicht kommerziellen Angebote machen, bei denen man sich treffen und neue Menschen und die Gemeinde kennenlernen kann«, sagt Berck.
Von April bis September können Kinder, Jugendliche und Erwachsene ohne Vorkenntnisse an einem Samstag im Monat ohne Voranmeldung zum Klettern vorbeikommen. Klettergurte, auch speziell für Kinder, werden von der Kirchengemeinde gestellt. Minderjährige brauchen die Einverständniserklärung ihrer Eltern.