Was hat Luther mit Grünberg zu tun?

Anno 2022, da die Gallusstadt mit einem attraktiven Programm 800-jähriges Jubiläum feiert, wird besonders gern an einen berühmten Gast namens Luther erinnert. Bei einem Themenspaziergang mit Birgit Kurmis, ausgebildete Pilgerführerin für den Lutherweg 1521, gibt es interessante Antworten auf die Frage »Was hat der Reformator eigentlich mit Grünberg zu tun?
«
Nicht überliefert ist, ob sich Grünbergs Ratsherren Anfang des 16. Jahrhunderts auch einen Kopf übers anstehende, damals 300-jährige Stadtjubiläum gemacht haben: Soll es einen Festabend geben, und wenn ja, wen laden wir ein, etwa auch die Laubacher? Was gibt’s zu essen, doch was anderes als Biersuppe und Getreidebrei! Und: Sollen schon wieder die Brummtopf-Musikanten aufspielen?
Wo der Reformator nächtigte
Sicher aber ist, dass im April dieses Jahres ein Martin Luther in der Gallusstadt weilte. Auf seiner gefahrvollen Reise von Wittenberg zum Reichstag nach Worms und zurück zur Wartburg soll er in einem Gasthaus am Marktplatz genächtigt haben.
Davon und von vielem mehr weiß die Pilgerführerin Birgit Kurmis kompetent und kurzweilig Auskunft zu geben.
Mit Blick auf das Modell besagten Gasthauses, späterhin Luther-Haus getauft, bringt sie zunächst die historischen Hintergründe in Erinnerung: Die Ladung Luthers auf den Reichstag, um seine kirchenkritischen Thesen - Ausgangspunkt der Reformation - zu widerrufen. Was der Augustinermönch bekanntlich nicht tat, da auch nicht widerlegt. Unterwegs auf einem Rollwagen, wurde er unter anderem vom kaiserlichen Reichsherold Kaspar Sturm begleitet. Kurmis: »Das sorgte natürlich für Publicity pur.«
Anders als für den Hinweg gibt es nach ihren Worten für die Rückreise Belege, dass er die kurzen Hessen - ein Abschnitt der Handelsroute von Frankfurt via Grünberg nach Leipzig - gewählt hatte. Die Stadtführerin verwies nun auf den Brief, den der Reformator am 29. April in Friedberg an seinen Freund Spalatin geschrieben hat: »Heute reisen wir nach Grünberg.« Eine fast alternativlose Station, stand doch als nächstes Alsfeld auf dem Plan. Dass es freilich keine Zeugnisse für den Aufenthalt gebe, alles nur auf mündlichen Überlieferungen beruhe, räumte sie ein.
Was aber nicht verwundern müsse: »Grünberg war damals ziemlich katholisch.« Und dass der Kirchenkritiker nicht in einem der Klöster übernachtete, liegt auf der Hand. »Das war ein wenig lebensgefährlich.« Also bettete er sein Haupt im Gasthaus, das sich auf dem Marktplatz (heute Freifläche neben Neusehland) befand. Und wo dank der Wirtschaften und Handelshäuser reger Betrieb herrschte, was mehr Sicherheit versprach.
Wenige Jahre später lutherisch
Hätte der Mönch vor dem Nachtgebet einen Spaziergang gemacht, so hätte er bereits die »Eisdiele« gesehen, kam Kurmis auf die Baugeschichte zu sprechen (gemeint war natürlich das Fachwerkgebäude mit den überragenden Obergeschossen). Dieses sowie das Doppelhaus eingangs der Alsfelder Straße, erbaut 1447, seien die einzigen aus dieser Zeit erhaltenen Gebäude am Marktplatz.
Bereits drei Jahre nach seiner Stippvisite wäre es für den Kirchenkritiker am grünen Berge weniger gefährlich gewesen: Zwischen 1524 und 1527 nämlich wurde die Stadt lutherisch, löste der Landgraf die Klöster auf. Jenes der Antoniter ließ er als Witwensitz umbauen (heute Schloss), jenes der Augustinerinnen wurde städtisches Hospital, jenes der Franziskaner verfiel, bis auf das Wohnhaus der Mönche wurden die Gebäude im 16. Jahrhundert abgebrochen.