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»Ideologie trifft auf Wirklichkeit«

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Von: Thomas Brückner

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Wolfgang Bosbach © Thomas Brueckner

Grünberg (tb). Mit einem prominenten Gast konnten Grünbergs Unionschristen bei ihrem Frühlingsempfang aufwarten. Ein Politiker, der von 1994 bis 2017 im Bundestag saß und für seine Integrität über die Grenzen der CDU hinaus geachtet wurde - und wird. »Einer, der zu seinem Wort stand, auch wenn der Wind mal von vorne wehte«, wie Lucas Schmitz, Wahlkreiskandidat der CDU für die Landtagswahl, den Ehrengast einführte:

Wolfgang Bosbach.

Der 70-Jährige sollte die Erwartungen der 150 Gäste in der Gallushalle nicht enttäuschen. Denn nicht nur an seinem reichen Wissens- und Erfahrungsschatz, die er in 52 Jahren politischer Arbeit gesammelt hat, ließ er sie teilhaben. Vielmehr nahm er sie mit seinem hochstehenden rhetorischen Vermögen und - nicht zuletzt - mit seiner rheinischen Frohnatur für sich ein. Stehende Ovationen waren der Lohn eines »Polit-Rentners«, der von Vortrag zu Vortrag eilt: »Meine Frau fragte mich neulich, ob ich nicht wieder für den Bundestag kandidieren wolle. ›Da warst du wenigstens ab und zu Hause‹.«

Eingangs seiner Rede ein Rat an Schmitz und andere Wahlkämpfer: »Überzeugen kann man nur mit guten Argumenten und indem man seiner Überzeugung treu bleibt. Wer den Zeitgeist heiratet, wird schnell Witwer.«

Es folgte ein Parforceritt durch die jüngere Geschichte. So erinnerte er daran, dass im Krisenjahr 1973 der Preis für ein Barrel Öl von drei auf fünf Dollar explodierte. »Das würden wir uns heute wünschen, da das Fass auf 85 Dollar kommt.« Und er vergaß auch nicht den Hinweis auf den 90. Jahrestag des Ermächtigungsgesetzes. Die Weimarer Republik, so Bosbachs Mahnung, sei nicht an ihren Feinden zugrunde gegangen, sondern daran, dass sie von zu wenigen Freunden verteidigt worden sei. Keine Staatsform benötige so sehr die Mitarbeit der Bürger wie die Demokratie. Gerade vor Kommunalwahlen aber werde es immer schwieriger, Kandidaten zu finden. Dass heute nur jeder Zweite politisch interessiert sei, ist für ihn Anlass zur Sorge. - Ein Thema, das auch in die Kompetenz des neu zu wählenden Landtags fällt, griff er als Nächstes auf: Innere Sicherheit. Mit Hinweis auf die »Flüchtlingskrise« 2015 oder die Silvesterkrawalle in Berlin fragte er sich, warum man sich heute so schwertue, die Dinge beim Namen zu nennen. Die CDU nahm er dabei nicht aus. »Ich ahne, warum: Weil wir inzwischen Angst davor haben, gleich in die rechte Ecke gestellt zu werden, auch wenn sachlich alles stimmt.« Zuwanderung gebe es schon lange und werde es immer geben. Doch wie in jedem anderen Land dürfe man von Mi-granten verlangen, dass sie die Werte und kulturelle Traditionen achteten.

»Ich bin bei der Lieferung schwerer Waffen hin- und hergerissen - verkürzen wir den Krieg oder verlängern wir das Leiden?«, kam er auf den Krieg in der Ukraine zu sprechen. In der Folge erlebe Deutschland nun den radikalsten Politikwechsel seit jeher.

»Wer hätte denn vor einem Jahr gedacht, dass die stolzesten Kriegsgegner bei den Grünen nach schweren Waffen rufen? Und ein grüner Minister nach Katar fährt, um fossile Brennstoffe zu sichern? Nur, dass wir uns verstehen: Ich halte beides für richtig.«

Weiter: »Immer, wenn wir gesagt haben, wir müssen mehr in die Bundeswehr investieren, hagelte es Kritik: Militarisierung der Außenpolitik. Wenn Scholz heute das Gleiche sagt, ist es aktive Friedenspolitik.« Für Bosbach ein klarer Fall von »Ideologie trifft auf Wirklichkeit«.

Dass eine die Sozialsysteme gefährdende Staatsverschuldung mit Worten wie »Sondervermögen« verbrämt werde. Dass die letzten AKW abgeschaltet werden, Deutschland aber immer mehr Kohle in Kolumbien kaufe und wie das dem Klima helfen solle. Dass die Auflösung der Familienstrukturen und die Folgen für die Pflegekassen nicht ins Blickfeld genommen werden - nicht die einzigen Fehler, die er der Ampel-Koalition ankreidete und auch dafür kräftigen Applaus erhielt.

Noch lauter wurde es freilich bei seinen Bonmots, wenn er etwa feststellte: »Die Arbeitgeber kriegen es langsam mit: Die Jüngeren können zwar schneller laufen, die Alten aber kennen die Abkürzung.« Noch eine letzte Kostprobe gefällig: »Der Börsenwert von Amazon hängt wesentlich von meinen drei Töchtern ab.«

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