Grünberg: Gruppe bringt Hilfsgüter in die Ukraine und nimmt Geflüchtete mit

»Ich fahre dorthin«, hat Tim Senftinger beim Anblick der Bilder des Krieges in der Ukraine entschieden. Mit Lehrer-Kollegen, auch aus Grünberg, und Bekannten fuhr er an die rumänische Grenze – zum Helfen.
Grünberg – Zehn Helfer. Fünf Autos. 3800 Kilometer. 74 Stunden Einsatz. Und 30 Mal neue Hoffnung - so lässt sich der Einsatz der »Lehrerinnen und Lehrer für die Ukraine« (LuL) zusammenfassen. Tim Senftinger und Torsten Sawalies, Lehrer am Internat Lucius Echzell, und Alice Müller, Lehrerin an der Theo-Koch-Schule Grünberg, haben die Aktion organisiert. Von Beginn an hatten die drei, neben dem Liefern von Hilfsgütern, ein weiteres Ziel: so viele ukrainische Geflüchtete wie möglich von Siret - an der rumänischen Grenze - nach Deutschland zu bringen. Gesagt, getan: 19 Frauen, elf Kinder, drei Katzen und ein Hund haben seit Montagabend ein neues Leben.
Angefangen hatte alles auf dem Sofa von Tim Senftinger. »Ich habe die Nachrichten geschaut und zu meiner Partnerin gesagt: Ich fahre dorthin.« Der Entschluss sei aus einem Impuls heraus entstanden, aber auch aus einer Art Ohnmacht. »Der Krieg beschäftigt mich natürlich.« Es würden viele Gebäude angestrahlt und etliche Schweigeminuten abgehalten - Senftinger aber wollte anpacken.
Grünberg (Kreis Gießen): Spendenaktion für Ukraine über PayPal
Er sprach seinen Kollegen Sawalies sowie Studienfreundin Müller an. Beide waren sofort dabei. Was dann kam, sei überwältigend gewesen. Die drei hatten eine Spendenaktion per PayPal gestartet und die Info an private Kontakte geschickt. Zwei Tage später waren 6000 Euro zusammengekommen. Es folgten Aufrufe auf Facebook und Instagram sowie ein Brief an die Eltern der Schülerschaft. Das Mücker Unternehmen Toynamics Europe und das Landestheater in Marburg stellten je einen Neunsitzer zur Verfügung, die Gießener Firma SSW Sicherheit drei. Der Aufruf zu Geld- und Sachspenden und zu Unterkunftsangeboten sei viral gegangen - innerhalb einer Woche hätten fertig gepackte und beschriftete Kisten mit Artikeln für Babys, Kinder und Frauen bereitgestanden.
Der Spendenbetrag sei auf 20 000 Euro gewachsen. Davon habe die Gruppe für 2500 Euro haltbare Lebensmittel und Medikamente im Wert von 3000 Euro gekauft. Auch Angebote für Wohnungen und erste Unterkünfte gab es: Die Mutter eines Lucius-Schülers stellte einer Frau mit zwei Kindern beispielsweise eine Wohnung in Bad Nauheim zur Verfügung.
Grünberg (Kreis Gießen): Lehrerin der Theo-Koch-Schule hat Kontakte
Die Aktion machte auch in den Wohngruppen des Echzeller Internats die Runde. Die Kinder sammelten Geld und kauften mit ihren Erziehern Lebensmittel und Hygieneprodukte ein. Mittlerweile hatten sich neben den Lehrern und Lehrerinnen beider Schulen auch Freunde und Bekannte angeschlossen. Der Name »LuL für die Ukraine« war geboren.
Vergangenen Freitag ging es dann nach Rumänien. »In den Medien ist immer nur von der polnischen Grenze zur Ukraine die Rede«, sagt Senftinger. Sie hätten gehört, dass an der rumänischen Grenze zwar weniger Geflüchtete ankommen, es dort aber unkoordinierter sei und ein größerer Bedarf an Hilfsgütern herrsche. Außerdem habe Alice Müller, die in Siebenbürgen geboren wurde, dort Kontakte. »Im Endeffekt war es goldrichtig, da hinzufahren«, sagt der Lehrer.
Grünberg (Kreis Gießen): 1900 Kilometer Fahrt an rumänische Grenze
Über Instagram hielten die Helfer ihre Follower während der rund 1900 Kilometer langen Fahrt auf dem Laufenden: Von Deutschland ging es nach Österreich, über Ungarn und die schneebedeckten Karpaten ins rumänische Suceava und von dort an den Grenzübergang in Siret. Dort seien die Hilfsgüter an die ukrainische Landwirtin Lily gegeben worden. »Sie betreibt mit Freiwilligen eine Logistik, um diese in der ganzen Ukraine zu verteilen«, erklärt Senftinger.
Danach verfolgten die »LuL« ihr zweites Ziel: Geflüchtete aus dem Grenzgebiet zu bringen. Sie verteilten Schilder in mehreren Sprachen, auf denen sie ihre Mission vorstellten. Auch mit Listen, die sie von Kontaktleuten oder der Polizei bekamen, hätten sie die Busse füllen können.
Grünberg (Kreis Gießen): Geflüchtete aus der Ukraine erzählen Dramatisches
Mitunter hätten sie dramatische Geschichten gehört. Ein Junge habe kurz vorm 18. Geburtstag gestanden. Für ihn sei es die letzte Chance gewesen - danach hätte er nicht mehr ausreisen dürfen. Einige der Geflüchteten hätten sie auf dem Weg zurück bei Verwandten oder am Flughafen abgesetzt. Drei Familien hätten sie privat, in den angebotenen Wohnungen, untergebracht: Zwei davon im Vogelsberg, eine in Bad Nauheim. »Wir betreuen die Geflüchteten auch weiterhin«, sagt Senftinger.
Nachdem die Helfer wieder zu Hause waren, erhielten sie eine Sprachnachricht von Stanislav, einem ihrer Kontaktpersonen. Er habe Nachrichten von den Männern der Geflüchteten erhalten: »Ich wollte Danke dafür sagen, wie gut ihr die Frauen und Kinder behandelt.« Er habe Tränen in den Augen ob der »unheimlichen Hilfe«, die sie leisteten. »Ihr seid einmalig, super.«

Info: Nächste Fahrt geplant
Die »LuL für die Ukraine« planen, am Donnerstag, 31. März, erneut an die rumänische Grenze zu fahren - da von den 20 000 Euro Spenden noch ein Teil übriggeblieben ist. »Wir möchten es wieder so machen, dass wir Geflüchtete mitnehmen und ihnen je 100 Euro geben«, sagt Tim Senftinger. Von Personen, die sie auf ihrer ersten Tour mitgenommen hätten, sei die Bitte gekommen, weitere Angehörige abzuholen. Auf Instagram (lul_fuer_die_ukraine) informiert die Gruppe regelmäßig über ihre Arbeit und bittet um Spenden: paypal.com/pools/c/8I5bkZjggL oder an Torsten Sawalies (IBAN DE49 5185 0079 1028 5166 70). Zudem sei das Weitersagen und Teilen der Aktion ausdrücklich erwünscht, damit mehr Reichweite generiert werden könne. Eine weitere Hilfe sei das Bereitstellen von Fahrzeugen für die nächste Tour. (red)
Auch eine Hilfsorganisation aus Gießen fährt mehrfach in die Ukraine.