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Brot und Wasser, um die Raten zu zahlen: Schuldnerberatung rechnet mit Ansturm

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Von: Lena Karber

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Durch Kurzarbeit und Co. haben viele Menschen weniger Geld zur Verfügung als sonst und können Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Beim Aufstellen eines Haushaltsplans kann die Schuldnerberatung helfen. (Symbolfoto)
Durch Kurzarbeit und Co. haben viele Menschen weniger Geld zur Verfügung als sonst und können Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Beim Aufstellen eines Haushaltsplans kann die Schuldnerberatung helfen. (Symbolfoto) © Jochen Lübke/dpa

Im ersten Quartal 2021 wurden wegen einer Gesetzesänderung etliche Privatinsolvenzen angemeldet. Nun rechnet man bei der Schuldnerberatung in Grünberg mit einem pandemiebedingten Ansturm.

Seit Anfang des Jahres hat die Schuldner- und Insolvenzberatung in Grünberg alle Hände voll zu tun. Kein Wunder, wurden doch im ersten Quartal in Deutschland 31 821 Privatinsolvenzen erfasst - und damit gut 56 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. Diese Zahlen hat die Wirtschaftsauskunftei Crifbürgel kürzlich veröffentlicht. Doch anders als man vielleicht vermuten könnte, hat das bislang nur bedingt mit Corona zu tun. »Die Fälle, die eine Folge der Pandemie sind, kommen jetzt erst so langsam auf uns zu«, sagt Aura Modrock, die seit 2017 für die Grünberger Schuldner- und Insolvenzberatung zuständig ist.

Vielmehr ist die hohe Zahl der Privatinsolvenzen auf eine Gesetzesänderung zurückzuführen, die zwar durch Corona forciert wurde, aber ohnehin geplant war: die Herabsetzung des Verfahrens auf drei Jahre. Seit das im Sommer absehbar gewesen sei, habe man bundesweit kaum noch Privatinsolvenzen beantragt, damit für die Klienten kein Nachteil entsteht, sagt Modrock. »Dadurch hat sich natürlich einiges angesammelt.«

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Im Umkehrschluss sollte die niedrige Zahl der Privatinsolvenzen des Vorjahres laut Experten auch nicht fälschlicherweise als Signal der Entspannung verstanden werden. Finanzhilfen und Kurzarbeitergeld haben diese wohl zum Teil nur verzögert.

Laut Statistischem Bundesamt ist vor allem die Gruppe der 25 bis 44-Jährigen mit einer überdurchschnittlichen Quote von Alleinerziehenden und Alleinstehenden von Überschuldung betroffen. Erfahrungen, die Modrock im Großen und Ganzen für die letzten Jahre bestätigen kann. Insbesondere Zeitarbeit sei ein Risikofaktor, fügt sie an. Allerdings geraten durch Corona eben auch vermehrt Menschen in die Überschuldung, die sich das vor zwei Jahren nicht hätten vorstellen können. Das ,macht sich langsam auch in Grünberg bemerkbar.

Häufig sind es laut Modrock »Selbstständige, die jetzt merken: Ich schaffe das nicht mehr«. Oder aber Menschen, die durch Jobverlust oder Kurzarbeit deutlich weniger Geld zur Verfügung haben und deshalb Zahlungsverpflichtungen, die jahrelang kein Problem waren, plötzlich nicht mehr nachkommen können - oder nur schwerlich. »Teilweise habe ich Klienten, die monatelang Wasser getrunken und Brot gegessen haben, um ihre Raten weiter zahlen zu können«, erzählt die Diplom-Sozialarbeiterin. Diese seien zeitweise trotz Kurzarbeitergeld über den Tafel-Notfallbezug mit dem Lebensnotwendigsten versorgt worden. »Aber das soll natürlich nicht die Regel sein, damit die Tafel denen zugute kommt, die generell sehr wenig zum Leben haben.«

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Präventiv kommt zu Modrocks Bedauern kaum jemand zur Beratung. »Über Geld redet man immer noch nicht, leider«, sagt sie. »Meistens kommen die Leute daher erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist.«

Anders als früher als sich die Menschen meist für eine größere Investition verschuldet haben, sind es heute oftmals viele kleinere Beträge bei unterschiedlichen Gläubigern, die den Betroffenen zum Verhängnis werden. Ein Faktor ist dabei das Online-Shopping, das Einkaufen - noch dazu per Ratenzahlung und Co. - so unkompliziert macht. »Unsere Kunden haben oft den Überblick über ihre finanzielle Situation verloren«, sagt Modrick. »Meist geht es um Kleinstkredite.«

Sofern noch keiner vorhanden ist, wird bei der Beratung daher zunächst ein ganzjähriger Haushaltsplan aufgestellt, der alle Verbindlichkeiten umfasst. »Wir schauen: was bleibt überhaupt zum Leben übrig? Und das ist bei vielen einfach viel zu wenig«, sagt Modrock. »Oft bleiben nach einen Haushaltscheck bei einem Erwachsenen weniger als 200 Euro zum Leben übrig.«

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Doch wo lässt sich Geld einsparen? So pauschal kann man das laut Modrock nicht beantworten. »Aber wenn man so wenig hat, dass kaum etwas zum Essen übrig bleibt, sind Versicherungen im Großen und Ganzen erst einmal ein Luxus«, sagt sie. »Außerdem muss man schauen, ob es Sinn ergibt, sich das Geld für die Kredite vom Mund abzusparen oder ob man in die Insolvenz geht, damit da ein Licht am Ende des Tunnels ist und man nach drei Jahren neu anfangen kann.«

Die Grenze, ab wann eine Privatinsolvenz sinnvoll ist, ist laut Modrock individuell sehr unterschiedlich und hängt unter anderem davon ab, ob die Chance besteht, dass sich das Einkommen in den kommenden Jahren erhöht. Aber nicht nur: »Wenn es psychisch so belastend ist für die Person, kann es auch bei einer Schuldenhöhe von 2500 Euro Sinn ergeben, in die Insolvenz zu gehen.«

Gerade bei jüngeren Menschen gibt es jedoch oftmals auch andere Lösungen. Diese werden individuell in den Beratungstellen wie in der in Grünberg erarbeitet. Bislang könne man trotz Wartelisten noch recht zeitnah an einen Termin kommen, sagt Expertin Modrock. Vermutlich sei das jedoch gerade noch die Ruhe vor dem Sturm.

Diakonisches Werk Gießen: Schuldner- und Insolvenzberatung in Grünberg

Das Diakonische Werk Gießen betreibt in Grünberg eine Beratungsstelle, zu der unter anderem eine Schuldner- und Insolvenzberatung gehört. Für diese ist Diplom-Sozialarbeiterin Aura Modrock seit 2017 tätig. Die Beratung ist kostenlos.

Die Kontaktaufnahme erfolgt in der Regel telefonisch (06 41/ 93 22 8-0 oder -48 1). Es gibt auch eine offene Notfallsprechstunde.

Mehr Infos zur Grünberger Beratungsstelle gibt es online unter www.diakonie-giessen.de/beratungsstelle-gruenberg.

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