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»Greensill? Bei uns undenkbar«

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Von: Stefan Schaal

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Anlagegeschäfte wie im Fall Greensill kämen für Lichs Bürgermeister Dr. Julien Neubert nicht infrage. »Das ist nicht unsere Philosophie«, sagt er. © Red

Zehn Millionen Euro - ein Verlust in dieser Höhe droht der Stadt Gießen durch Anlagen bei der insolventen Greensill-Bank. Eine Umfrage unter Bürgermeistern im Gießener Land verdeutlicht: Ein derartiger Schaden wäre in den übrigen Kreiskommunen ausgeschlossen.

Es ist eine ungewohnte Situation: Die Stadt Lich, die sich in den vergangenen Jahren eher darauf konzentriert hat, den Haushalt zu sanieren und nun wieder in soliden finanziellen Fahrwassern unterwegs ist, denkt über Anlagegeschäfte nach. Drei Millionen Euro will Bürgermeister Dr. Julien Neubert anlegen, noch in diesem Monat soll im Magistrat die Entscheidung fallen. Doch kann er das guten Gewissens - vor dem Hintergrund der Greensill-Affäre, in der die Stadt Gießen durch Anlagen möglicherweise zehn Millionen Euro verloren hat?

Neubert betont: Anlagegeschäfte wie im Fall Greensill kämen für ihn und die Kollegen im Magistrat nicht infrage. »Das ist nicht unsere Philosophie«, sagt er. »Unsere Anlage ist die Investition.« Die nun geplanten Anleihen beim Wertpapierhaus der Sparkassen-Finanzgruppe, der DekaBank, aber seien solide, die Idee sei in Gesprächen mit der Sparkasse entstanden, mit der man seit Jahrzehnten vertrauensvoll zusammenarbeite.

»Wir würden damit nicht viel Geld machen«, erklärt der Bürgermeister. Es gebe die Aussicht auf einen Zinssatz von 0,01 Prozent in den ersten sieben Jahren. Die Anlage habe ein Rating von AAA. »Wir kämen im Notfall zudem schnell wieder an das Geld heran.« Und für die Idee spreche vor allem eines: Würde die Stadt die drei Millionen Euro auf Konten lagern, »müssten wir stattdessen Negativzinsen zahlen«.

Eine Umfrage unter mehreren Kommunen im Kreisgebiet macht deutlich: Anlagen sind in einer Mehrheit der Gemeinden im Gießener Land eher die Ausnahme. Die Frage, ob Geschäfte mit der Greensill-Bank auch in Linden möglich gewesen wären, beantwortet Florian Jochim, Leiter der Finanzverwaltung der Stadt, mit einem klaren Nein. »Weil wir uns an die Gesetze halten«, fügte er hinzu. Durch den Gesetzgeber sei es schlicht nicht erlaubt, kommunale Finanzmittel »risikobehaftet oder spekulativ anzulegen.«

Sämtliche liquiden Mittel der Stadt Linden würden auf Standard-Bankkonten bei der Sparkasse und der Volksbank verwaltet. Zum jetzigen Zeitpunkt, vor dem Hintergrund der Greensill-Affäre, wären Anlagegeschäfte ohnehin »nicht vermittelbar«.

Ähnlich äußert sich Heuchelheims Bürgermeister Lars Burkhard Steinz. »Solide eben«, sagt er. Finanzielle Geschäfte mit anderen, fremden Banken räumt unterdessen Grünbergs Rathauschef Frank Ide ein. »Im Frühjahr dieses Jahres haben wir einen Kredit über eine Million Euro bei einem Geldhaus in Norddeutschland aufgenommen«, die Bank sei ihm vorher unbekannt gewesen. »Angelegt hätten wir dort sicher nichts.«

Grünberg hat momentan 4,5 Millionen Euro an Geldern angelegt, bei Volksbank, Sparkasse und der Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen, überwiegend in Form von Termin- und Kündigungsgeldern. Die Stadt hat außerdem einen Bausparvertrag über eine Million Euro abgeschlossen, zahlt jährlich 40 000 Euro ein. Für Straßensanierungen beispielsweise sei dies eine gute Möglichkeit, sagt Ide.

Im Nachhinein sei es sicher leicht, zu sagen, dass eine Anlage wie in die Greensill-Bank in der eigenen Kommune nicht hätte passieren können, gesteht Staufenbergs Bürgermeister Peter Gefeller. »Aber wir haben den Vorteil der kleineren Kommune.« Hierarchien seien flacher, alle Abteilungen und damit eben auch die Finanzverwaltung seien enger unter einem Dach, die Entscheidungen stünden im Blick des Bürgermeisters.

Derzeit sind die Kreiskommunen dabei, die Richtlinien für Geldanlagen anzupassen. Lich hat bereits Änderungen verabschiedet. So ist demnach zumindest ein Rating von BBB+ notwendig. Über Anlagen entscheidet außerdem der Magistrat und nicht mehr nur der Bürgermeister. Für das Vorhaben der Anlage von drei Millionen Euro würden Einnahmen und keine Rücklagen eingesetzt, versichert Neubert.

Lich und Laubach teilen sich interkommunal die Finanzverwaltung. Während die Ostkreiskommune bekanntlich bis Spätsommer 2020 zwei Millionen Euro bei der Greensill Bank AG festgelegt hatte, gab es eine solche Investition in Lich nicht, berichtet Jakob Fischer, seit Januar 2021 Leiter der Finanzabteilungen der beiden Städte. Dass in Laubach der Vertrag mit der Greensill-Bank vor Herabstufung deren Bonität ausgelaufen sei, da habe man auch Glück gehabt.

So manche Kommune, wie im Lumdatal, ist indes durch einen weiteren Umstand vor Pleiten wie im Fall Greensill geschützt: durch fehlende Mittel für Anlagen. »Das Thema stellt sich zurzeit nicht«, sagt Lollars Bürgermeister Dr. Bernd Wieczorek. Staufenbergs Rathauschef Gefeller erklärt mit einem Schmunzeln. »Armut ist manchmal sexy.«

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