Parasit gefährdet Streuobstwiesen im Kreis Gießen – Klimawandel treibt Verbreitung an

Ein erhöhtes Aufkommen von Misteln im Kreis Gießen gefährdet Streuobstbäume. Der Parasit entzieht seinem Wirt Wasser und wichtige Nährstoffe.
Gießen – Das Ärgernis mit Namen Laubholz-Mistel hat einen starken Verbündeten: Den Klimawandel. Mit den wärmeren Temperaturen breitet sich der Parasit in Richtung Norden aus. Vor allem im Osten und Süden des Kreises Gießen bedroht er zunehmend die geschützten Streuobstbestände. Die Zweige schneiden, um sich darunter zu küssen? Kein probates Rezept, zumal es ja nicht schon wieder Weihnachten ist.
Auch in Laubach, der größten Flächengemeinde im Landkreis, gibt es noch viele Streuobstwiesen. Mal abgesehen davon, dass ihre Bedeutung als regionaler Lieferant von Äpfeln, Zwetschgen oder Mirabellen noch immer zu wenig geschätzt wird - die Bestände sind wertvolle Biotope.
Mistelzweigen im Kreis Gießen: Sie entziehen den Streuobstbäumen Wasser und Nährstoffe
Damit sie es bleiben, bedarf es allerdings der Pflege, regelmäßiger Schnitte. Eine Arbeit, die von einzelnen privaten Besitzern oder Vereinen geleistet wird. Letztere stehen auch für Lehrgänge bereit, ihre Mitglieder erklären den Erziehungsschnitt am noch jungen Baum oder den Sommerschnitt, also das Auslichten der Kronen für mehr und süßere Früchte.
Seit vielen Jahren bietet der Laubacher Horst Wagner seine Dienste an. Als ausgebildeter Obstbaumwart weiß er um das buchstäblich wachsende Ärgernis in der Region. Die Wurzeln der Misteln drängen sehr tief in den Baum ein, bedienten sich so bei ihrem Wirt mit Wasser und Nährstoffen. Gerade alte Bäume mit geringeren Abwehrkräften nähmen daran Schaden, erklärt Wagner. Das Ende des langsamen Sterbens konnte er mehr als einmal selbst erleben: „Plötzlich lag der Baum um.“
Plage in Gießen: Bäume müssen regelmäßig von den Misteln befreit werden
Als einzig wirksame Vorkehrung rät der Fachwart zum großzügigen Schnitt, entsprechend der Wurzeltiefe des Schmarotzers, „Uns ist bekannt, dass sich die Mistel vor allem im Ost- und Südkreis zunehmend verbreitet und für viele Streuobstbestände zur Bedrohung wird“, bestätigt die Untere Naturschutzbehörde (UNB) auf GAZ-Anfrage die Beobachtungen aus Laubach. Regional verschieden, trete die Verwandte aus der Familie der Sandelholzgewächse hierzulande immer häufiger auf.
Die Mistel, stellt die Kreisbehörde klar, stehe nicht unter Schutz, einzig das gewerbsmäßig Sammeln sei – wie bei allen wildlebenden Pflanzen – genehmigungspflichtig. Selbst ein Zurückdrängen in Streuobstbeständen würde die Art nicht gefährden. Könne sie doch auch auf Weiden, Pappeln, Linden, Ahorn, Robinien, Birken und einigen anderen Wirtsbäumen leben. Dass die Art jedoch im Winter eine wichtige Nahrungsquelle für einige heimische Vogelarten darstelle, darauf machen die Fachleute auch aufmerksam.
Klimawandel als Auslöser für erhöhtes Wachstum der Mispeln
Als Gründe für die stärkere Vermehrung dieser Pflanzen macht die UNB neben dem wärmeren Klima aber auch die „heute häufige Vernachlässigung“ der Streuobstbestände verantwortlich, also der fehlende Schnitt. So könnten Misteln über lange Zeit dem Wirtsbaum Wasser entziehen, »Entziehen sie zu viel, wird er geschwächt und stirbt ab.«

Der längerfristige Erhalt und die Pflege infizierter Bäume gestalte sich extrem aufwendig, da massiv eingegriffen werden müsse. »Überschreitet der Befall eine gewisse Größenordnung, ist eine Sanierung gar nicht mehr möglich.« Mit anderen Worten: Je früher die Säge also sägen darf, desto besser. Die behördlichen Naturschützer warnen zudem vor den Folgen unterlassener Pflege für „Artgenossen“: Gesunde Bäume im Umfeld stark befallener Bäume seien durch Übertragung der Früchte sehr gefährdet. „Besitzer solcher Bäume, die nicht handeln, nehmen damit auch die Schädigung der Bäume ihrer Nachbarn in Kauf.“
Misteln müssen entfernt werden: Streuobstbäume im Kreis Gießen regelmäßig überprüfen
Wie bereits der Obstbaumwart Horst Wagner rät die UNB zum „beherzten“ Schnitt: Misteln müssten so weit aus dem Obstbaumholz ausgeschnitten werden, dass auch ihre bis zu 50 Zentimeter weit reichenden Wurzeln mit entfernt werden. Blieben diese zurück, könnten neue Mistelpflanzen daraus austreiben. Wo ein Ausschneiden nicht möglich sei, sollten die Zweige regelmäßig abgebrochen werden, um die Samenbildung zu unterdrücken. Angeraten wird ferner die jährliche Kontrolle von Beständen, die von dem Halb-Parasiten - anders als Voll-Parasiten betreiben diese immerhin selbstständig Photosynthese - befallen sind.
Für die Pflege aber braucht es eben noch rüstige Besitzer, die sich des „Patienten“ annehmen können. Zunehmend ein Problem. Glücklich dürfen sich da jene Gemeinden schätzen, in denen es noch Naturschutz- oder Obst- und Gartenbauvereine gibt - was aber längst nicht mehr überall der Fall ist. (Thomas Brückner)
Es ist nicht das erste Mal, dass Streuobstwiesen im Kreis Gießen besonders von dem Parasiten betroffen ist. Bereits 2019 schlugen Obst- und Gartenbauvereine Alarm, da sich Mispeln immer mehr in Streuobstbäumen ausbreiteten.