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Gezüchtetes Leid

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Von: Rebecca Fulle

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Perserkatzen zählen zu den sogenannten Qualzuchten. Denn durch ihr eingedrücktes Gesicht leiden viele Tiere dieser Rasse unter Atembeschwerden. Tierschützerin Ilse Toth kommt fast täglich mit Qualzucht-Tieren in Kontakt und bittet inständig, keine Tiere bei eBay-Kleinanzeigen zu kaufen. SYMBOL © pv

Viele Tiere müssen leiden, weil Menschen eingedrückte Schnauzen süß finden. Sogenannte Qualzuchten finden sich trotz Tierschutzgesetz auch im Kreis Gießen. Was kann man tun?

Arthrose, Ohrenentzündungen, Atemprobleme, Gleichgewichtsstörungen. Hierbei handelt es sich nicht etwa um die Liste der Beschwerden für den nächsten Arztbesuch, sondern um häufige Leiden sogenannter Qualzuchten.

In Deutschland sind laut Tierschutzgesetz Züchtungen verboten, wenn den Tieren erblich bedingt Körperteile oder Organe »fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind« und dadurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten.

Das äußert sich beispielsweise in einem eingedrückten Gesicht, Haarlosigkeit, einem fehlenden Schwanz, gefalteten Ohren, Kleinwüchsigkeit und vielem mehr. Hunde und Katzen sind vermehrt betroffen, aber auch andere Haustiere und sogar Nutztiere leiden unter Qualzucht.

Dieses Gesetz ist richtig und wichtig für die Verhinderung solcher Qualzuchten. Die Formulierungen in Paragraph 11b des Tierschutzgesetzes sind allerdings für viele immer noch zu schwammig. So geht es auch dem Deutschen Tierschutzbund. »Die praktische Umsetzung lässt ganz erheblich zu wünschen übrig«, kritisiert Pressesprecherin Sarah Alice Labude.

Eine ähnliche Meinung vertritt Ilse Toth. Die 79-Jährige ist seit vielen Jahrzehnten Tierschützerin und Mitgründerin der Tieroase Heuchelheim. Sie kritisiert vor allem die Importe der Tiere nach Deutschland.

Denn die Importe sind genauso wie der Verkauf bisher nicht verboten - lediglich die Zucht ist untersagt. »Wo kein Kläger, da kein Richter«, sagt sie. Toth kommt fast täglich mit Tieren mit Qualzuchtmerkmalen in Kontakt.

Dieses Mal ist es ein Kater, Tommy. Er bereitet ihr Sorgen. Vor einigen Tagen holte ihre Kollegin Jasmin die Perserkatze bei einer Familie ab. »Sie riefen zwei Tage vor ihrer Rückkehr in ihr Heimatland bei uns an«, blickt Toth zurück. Die Zustände in der Wohnung seien schlimm gewesen, Tommys Fell war vollkommen verfilzt. »Er konnte kaum einen Schritt vor den anderen machen.« Eine Tierärztin hatte die verklebte Schicht über drei Stunden Zentimeter für Zentimeter entfernt.

Aber auch Tommys Nase ist zu kurz, das Gesicht quasi »eingedrückt«. Die Diagnose: Kurzköpfigkeit. Dadurch bekommt er schlecht Luft, und auch das Fressen ist schwierig, da seine Zähne kreuz und quer im Mund stehen.

Die Tiere leiden meist ihr Leben lang unter zahlreichen Beschwerden. Das weiß auch Laura Erb, tiermedizinische Fachangestellte in der Pohlheimer Tierarztpraxis Dr. Litzlbauer und Reiser. »Die Tiere sind deutlich angeschlagener, der Pflegeaufwand ist meist höher«, erzählt sie.

Und trotz alledem gebe es noch Menschen, die das Tier »schön und süß finden«, sagt Toth. Ihr Gesicht zeigt Unverständnis, Wut. »Ein Tier ist doch kein Designerartikel«, kritisiert sie.

Generell kommt es auch vor, dass zufällige Mutationen beim Züchten ganz bewusst weiter genutzt werden, auch wenn sie für Qualen sorgen. »Das ist bei Züchtern, die einem Verband angeschlossen sind, nicht so«, sagt Toth. Daher rät die Tierschützerin dringend dazu, sich nur mit seriösen Züchtern oder dem Tierschutz in Verbindung zu setzen, wenn man ein Tier haben möchte. »Einen seriösen Züchter erkennt man daran, dass er keine Hunde oder Katzen auf Halde liegen hat.« Besonders auf eBay-Kleinanzeigen seien größtenteils Hobbyzüchter zu finden, die nur schnelles Geld verdienen wollten: Diese Kleinanzeigen »sind ein Tummelplatz für die Tier-Mafia«, sagt Toth.

Um Qualzuchten in Deutschland zu minimieren, wünscht sich Erb aus der Pohlheimer Tierarztpraxis »ganz viel Aufklärung«. Dabei kann es darum gehen, was einen guten Züchter ausmacht und wo Qualzucht überhaupt beginnt. Denn vielen Haltern sei gar nicht bewusst, dass ihr Tier leide, sagt Erb. Ein Tierarzt in der Umgebung könne Untersuchungen übernehmen.

Außerdem fordert die Fachangestellte, dass die Vorschriften für Züchter verschärft werden. Alle drei Gesprächspartner bestehen darauf, dass die Importe von Tieren nach Deutschland stärker kontrolliert werden müssen.

Mit Blick auf das Tierschutzgesetz, das für Erb und auch viele andere noch »viel zu lapidar« ist, soll eine Konkretisierung des Paragraphen 11b her - entweder in Form einer Erweiterung des Gesetzes oder in Form eines zusätzlichen Gesetzes. Es müsse klar definiert werden, was genau als Qualzucht gilt. Denn nur dann gibt es auch die Möglichkeit für die Behörden, etwas dagegen zu unternehmen. FOTO: FUL

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