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Kreis Gießen: Legendäres Gasthaus mit Disco „Day and Night“ schließt für immer

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Von: Stefan Schaal

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So sah es aus, wenn das „Day and Night“ in Garbenteich voll war.
So sah es aus, wenn das „Day and Night“ in Garbenteich voll war. © srs/Archiv

Das Lokal und Hotel „Zum grünen Baum“ in Pohlheim-Garbenteich (Kreis Gießen) schließt. Bekannt ist es im Kreis Gießen vor allem durch Disco-Abende im alten Kartoffelkeller.

Pohlheim – Irgendwann im Morgengrauen wird Cornelia Maid die schmale Treppe vor dem einstigen Kartoffelkeller nach oben steigen. Die letzten donnernden Klänge aus den Lautsprechern der Diskothek werden ihr noch minutenlang in den Ohren wummern. Die letzten Gäste werden sich verabschieden. Und dann wird das »Day and Night«, die legendäre Garbenteicher Disco, endgültig Geschichte sein.

Maid wird zum Ende des Monats auch ihren Landgasthof und das Hotel „Zum grünen Baum“ in dem Stadtteil von Pohlheim (Kreis Gießen) für immer schließen. Es ist das Ende einer Institution in Garbenteich, die Dorfkneipe existiert immerhin seit rund 300 Jahren. Der Abschied werde »nicht einfach«, sagt die 64 Jahre alte Cornelia Maid. Viel Herzblut hänge an der Gaststätte. »Ich war noch keine 18, als wir damals unten in der Disco angefangen haben.«

Kreis Gießen: „Grüner Baum“ in Garbenteich weicht Wohnbebauung

Die Entscheidung, aufzuhören, steht allerdings bereits seit zwei, drei Jahren fest. »Ohne Corona wäre es vielleicht noch ein bisschen länger gegangen«, sagt sie. Die Gaststätte im Kreis Gießen ist in die Jahre gekommen. Die Stammgäste auch. Sie habe Nachmieter für die Gastronomie gesucht. »Aber man müsste sehr viel investieren.« Das Haus sei schlicht zu groß, sagt Tochter Nadine. »Alles müsste neu gemacht werden.« Das Gebäude sei inzwischen verkauft, erzählt Cornelia Maid. Wohnraum werde an der Stelle des »Grünen Baums« zukünftig entstehen.

Die Stunden der Gaststätte „Zum Grünen Baum“ sind gezählt.
Die Stunden der Gaststätte „Zum Grünen Baum“ sind gezählt. © Stefan Schaal

Für die Vereine in Garbenteich bricht ein zentraler Ort, ja, die Heimat, weg. Burschen- und Mädchenschaft, die Jagdgenossenschaft, der Gesangverein, Parteiverbände und die Sportvereine haben sich hier getroffen, haben hier gefeiert. Viele Garbenteicher haben in dem Lokal Hochzeiten und Trauerfeiern begangen.

Für Maid indes waren die vergangenen Jahre nach dem Tod des Mannes Hartmut 2016 immer wieder auch Kraftakte. Es war maßgeblich er, der ab Mitte der 70er Jahre der Gaststätte zu einem Legendenstatus verhalf, der bis heute nachwirkt. Tochter Nadine bringt es auf den Punkt: »Die Legende ist der Papa.« Sie fügt hinzu: »Die Leute kommen nicht wegen uns. Sondern wegen ihm. Da unten lebt der Papa irgendwie weiter.«

Kreis Gießen: Unzählige Paare lernten sich in der Disco „Day and Night“ kennen

Da unten, in einem alten Kartoffelkeller der Gaststätte, planten Hartmut Maid und sein Bruder Mitte der 70er Jahre zunächst nur, einen Partyraum einzurichten, während die Eltern das Lokal »Zum grünen Baum« und das Hotel mit 20 Betten betrieben. Die Idee schlug indes voll ein. Hartmut Maid, damals Anfang 20 und Lehramtsstudent, baute den Keller mehrfach um - und lockte bisweilen mehr als 800 Menschen in das »Day and Night«.

So manche Familie in Pohlheim und im Kreis Gießen existiert nur, weil es das »Day and Night« im Zentrum Garbenteichs gab. Unzählige Paare haben sich in der Diskothek kennengelernt, die später auch die Namen »Zick Zack« und »Fun« trug. Und der ein oder andere Nachwuchs wurde gleich an Ort und Stelle gezeugt - hinter einem alten Vorhang oder im Dunklen neben dem DJ-Pult.

Hartmut Maid (l., mit Frau Cornelia) rief die Diskothek Mitte der 70er ins Leben.
Hartmut Maid (l., mit Frau Cornelia) rief die Diskothek Mitte der 70er ins Leben. © Red

Wenn Cornelia Maid und ihre beiden Töchter Nadine und Christina am Samstag kommender Woche in der Diskothek zur großen »Abrissparty« einladen, werden sich die Gäste wieder dicht gedrängt auf der Tanzfläche vor einer Spiegelwand bewegen. »Unvergessliche Abende habe ich hier erlebt«, sagt Henni, ein alter Stammgast. Bilder an Schlammcatchen, Busenwiegen und Wettsaufen werden wach. »Einmal hat Hartmut, der Gastwirt, beim Wetttrinken Milch statt Bier in die Drei-Liter-Gläser gefüllt. Ich habe noch nie so viele Leute kotzen sehen.«

Kreis Gießen: Viele Legenden ranken sich um Disco in Garbenteich

Viele Legenden ranken um die Diskothek, als Asbach-Cola eine Mark kostete. Gäste bretterten mit dem Moped über die Treppe nach unten und sausten über die Tanzfläche. Eine Gruppe klaute das Pferd vom Bauern nebenan, schaffte es aber mit dem Tier nicht in den Keller, weil der Gaul nicht durch den Eingang passte Drohte es bei Streitigkeiten zu einer Schlägerei zu kommen, schüttete der Gastwirt kurzerhand auch mal einen Eimer Wasser über die Köpfe der sich zoffenden Besucher

Bei allen Geschichten scheint immer wieder durch: Deftig ging es bisweilen zu und wild. Die Atmosphäre war indes immer familiär. Das lag vor allem an Hartmut Maid. Gebeugt stand er oft am Tresen, die Hände gekreuzt auf dem Zapfhahn gelehnt. Mit großem Geschäftssinn führte er die Geschicke der Diskothek - und gleichzeitig freundschaftlich, aufgeschlossen und herzlich gegenüber den Gästen. Und die letzte halbe Stunde jeden Abend gehörte ihm. Der DJ legte dann Hardrock für ihn auf - AC/DC oder Van Halens »Jump« röhrten durch den alten Kartoffelkeller. Er sei geduldig, ehrlich, ein Familienmensch gewesen, erzählt Christina Maid über ihren Vater. »Er war der in Garbenteich, der zugehört hat.« Als Jugendliche sei sie manchmal spätabends nach Hause gekommen, dann habe sie sich zu ihm an den Schreibtisch gesetzt, »wir haben uns zwei, drei Stunden unterhalten.«

Eines späten Abends, im September 1981 spricht in der Diskothek die 17 Jahre alte Hausenerin, Petra, den Steinbacher Uwe Balser an, den damals alle nur »Ewu« nennen. »Ich will nach Hause«, sagt sie. »Aber ich habe keinen Bock zu laufen.« Er nimmt sie in seinem Auto mit, sie unterhalten sich, lernen sich kennen - und lieben. Anfang dieses Monats haben die beiden ihren 40. Hochzeitstag gefeiert, das Paar hat drei Kinder.

Cornelia Maid (M.) führte die Tradition weiter, unterstützt von ihren Töchtern Christina  und Nadine.
Cornelia Maid (M.) führte die Tradition weiter, unterstützt von ihren Töchtern Christina und Nadine. © Red

Kreis Gießen: Ein letzter Tanz in der Disco für die Landeier

Das »Day and Night« sei eben im näheren Umkreis die Disco für die Landeier gewesen, erzählen sie. Dort sei neben Disco-Musik auch Rock gelaufen. Das Paar kommt freilich auch auf Hartmut Maid zu sprechen. »Er war locker«, berichten sie. »Wenn die Polizei zu einer Razzia im Anmarsch war, um zum Beispiel das Alter der Gäste zu kontrollieren, hat Hartmut gleich Alarm gemacht. Jeder wusste dann, wohin er zu laufen hatte.«

Einmal hätten sie »Wetten dass..?« nachgespielt, erzählt unterdessen Henni. Er habe gewettet, eine Ziege in der Disco zu melken. »Plötzlich stand da aber ein Ziegenbock auf der Tanzfläche.« Anfangs, erzählt ein weiterer Stammgast, hätten die Menschen im »Day and Night« auch klassisch Discofox und Foxtrott getanzt. »Viele US-Amerikaner waren unter den Besuchern.« Die US-Militärpolizei habe bisweilen auch Razzien unter den Amerikanern durchgeführt, die GIs mussten sich dann draußen aufstellen.

Susanne Wächter hat in der Disco früher gekellnert, »Und ich habe hier auch meinen Mann kennengelernt.« Sie schmunzelt. »Ich habe ihm immer den besseren Cognac gegeben.« Die beiden sind noch heute glücklich verheiratet, haben zwei erwachsene Söhne. Wächter erinnert sich an eine Oben-ohne-Party. »Drei Mädels waren auf der Tanzfläche. Ich habe nie wieder so viele Männer hier gesehen.«

Kreis Gießen: Inhaberin freut sich nach Disco-Aus auf die freie Zeit

Dorfdiskotheken sind inzwischen nicht nur im Kreis Gießen sondern bundesweit nahezu ausgestorben, große Partytempel begannen sie bereits während der 80er Jahre abzulösen. Das Ende des »Fun«, wie die Garbenteicher Disco zuletzt hieß, läutete Hartmut Maid selbst ein. Ende der 90er Jahre übernahm er von seinen Eltern den Familienbetrieb »Zum grünen Baum«. Beides gleichzeitig zu führen war nicht zu leisten.

Auf Drängen früherer Stammgäste führte Hartmut Maid bald darauf aber wieder Revival-Abende ein. Das Herzblut steckte seine Frau nach seinem Tod in seinem Geist weiterhin in den Gasthof und in die Diskothek. Wer sie und ihre beiden Töchter beobachtet, wie sie an den Disco-Abenden am Tresen und am Rand der Tanzfläche mit den Gästen plaudern, erkennt schnell: Ganz so deftig wie einst geht es dort nicht mehr zu. Aber genauso herzlich.

Noch zweimal feiern

Am heutigen Samstag ab 20 Uhr steigt zum Finale in der Diskothek eine Mallorcaparty. Es gilt die 2G-Plus-Regel, ein Impfnachweis plus Personalausweis sind erforderlich, eine Maske ist bis zum Platz zu tragen. Kommende Woche, am 26. März ab 20 Uhr, empfangen die Maids zur »Abrissparty« mit DJ Carsten Naval.

Sie sei am Umziehen, sagt Cornelia Maid. Nur ein paar Meter vom »Grünen Baum« entfernt werde sie wohnen. Die Garbenteicherin hat bewegte Jahre hinter sich, in der Gaststätte hat sie an manchen Tagen 15, 16 Stunden verbracht. Für Gäste im Hotel, in dem in den vergangenen Jahren auch Frauen aus dem naheliegenden »FKK World« übernachteten, bereitete sie bisweilen das Frühstück um 5.30 Uhr zu. Maid, die einst 15 Jahre lang einen Geschenkeladen im Gießener Seltersweg betrieben hat, sagt: »Ich freue mich darauf, Zeit zu haben.« (Stefan Schaal)

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