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Kreis Gießen: Investor sichert sich „konkurrenzlose“ Firma für 120 Millionen Euro

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Von: Stefan Schaal

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Ein Unternehmen aus Schweden kaufe eine Digitalfirma aus dem Kreis Gießen. (Symbolbild)
Ein Unternehmen aus Schweden kaufe eine Digitalfirma aus dem Kreis Gießen. (Symbolbild) © Oliver Berg / dpa

Obwohl der offizielle Firmensitz der Firma FinTecSystems in München ist, arbeitet der Großteil der Beschäftigten am Standort Großen-Linden (Kreis Gießen).

Großen-Linden - Das Unternehmen FinTecSystems analysiert Bankkontendaten akribisch nach 230 Kategorien: Wie hoch ist das Gehalt? Fallen Alimente an? Gibt es Kindergeld? Läuft der Handy-Vertrag bei der Telekom oder bei blau.de? Wird Tierfutter bei Fressnapf oder im Baumarkt gekauft? Die Lindener sind in diesem Bereich unangefochtener Marktführer in Deutschland, zu ihren Kunden zählen vor allem Banken und Kreditgeber. Nun ist das Unternehmen für eine beträchtliche Summe gekauft worden.

Hoher Besuch aus Stockholm war am vergangenen Mittwoch in Großen-Linden (Kreis Gießen) zu Gast. Teile der Führungsriege des schwedischen Unternehmens Tink waren angereist, um sich mit der Geschäftsführung von FinTecSystems zu treffen. Es war die erste persönliche Begegnung nachdem die Schweden das Lindener Unternehmen gekauft haben. Ende Januar hatten die Kartellbehörden der Übernahme zugestimmt.

Übernahme von Unternehmen in Linden (Kreis Gießen): Die Sprache hat sich geändert

Durch den Kauf, der Branchenkennern zufolge für rund 120 Millionen Euro über die Bühne gegangen sein soll, rückt ein Unternehmen aus dem Kreis Gießen in den Fokus, das ähnlich wie andere Unternehmen im Kreis Gießen bisher eher abseits der breiten öffentlichen Aufmerksamkeit erregte. Tink bezeichnet die Lindener als »konkurrenzlos« auf dem deutschen Markt. Tatsächlich ist FinTecSystems, das knapp 80 Menschen beschäftigt, hierzulande Marktführer in der Analyse von Bankkonten. Zu ihren etwa 150 Kunden zählen vor allem Kreditgeber und Banken, beispielsweise DKB, Santander, Solarisbank und Vergleichsportale wie Check24. Das Finanztechnologie-Unternehmen ist auf starkem Wachstumskurs.

Hannes Rogall, Prokurist von FinTecSystems, führt durch die hellen Büroräume im Gewerbegebiet Lückebachtal, sie liegen im Obergeschoss über einem Hotel und einer Bäckerei. Er öffnet Türen, grüßt Mitarbeiter, die vor Monitoren sitzen, die meisten von ihnen sind zwischen 20 und 30. Die Büros sind schlicht möbliert, quer gestellte Holzpaletten dienen als Pflanzenkübel. Rogall trägt ein dunkelblaues Shirt mit dem Logo von FinTecSystems, darüber einen Kapuzenpulli, auf dem der Name Tink zu lesen ist. »Was sich schlagartig nach dem Kauf geändert hat, ist die Sprache in der wir E-Mails verfassen«, erzählt er. »Wir schreiben nur noch auf Englisch.«

„Darf man das?“: Frage des Datenschutzes

Zur Frage des Datenschutzes erklärt Hannes Rogall: »Es gibt keinen Tag, an dem bei Kunden nicht die Frage aufkommt: »Darf man das?« Man habe die Genehmigung durch die Finanzdienstleistungsaufsicht BAFIN, erklärt Rogall. Kunden würden außerdem ausdrücklich um Erlaubnis gefragt, dass ihre Daten analysieren werden, und man bewege sich im regulierten Rahmen. »Wir werden scharf kontrolliert.« Sicherheit stehe im Vordergrund, betont Rogall. »Ein Vertrauensverlust wäre für uns der größte Schaden.«

Unabhängige Firma in schwedischer Gruppe: So geht es bei FinTecSystems in Linden (Kreis Gießen) weiter

Die Übernahme wird für das Lindener Unternehmen freilich weitere Auswirkungen nach sich ziehen, auch wenn Tink versichert, dass FinTecSystems zukünftig weiterhin als unabhängige Firma innerhalb der schwedischen Gruppe tätig sein soll. Bammel habe man »vor gar nichts«, betont Rogall. Man wisse um die eigene Stärke. »Wir sind übernomen worden«, fügt er hinzu, »weil wir in der Kategorisierung von Kontendaten unter Einsatz modernster Machine-Learning-Technologien der eindeutige Marktführer in Deutschland sind.«

Das schwedische Unternehmen sei zehnmal größer und im Gegensatz zu FinTecSystems international tätig, wolle sich nun die Kompetenz aus Linden im Feld der Kontenanalyse hinzuholen. Man ergänze sich gegenseitig, ist Rogall überzeugt. Der bisherige Wachstum von FinTecSystems werde eher noch angekurbelt. Man habe sich ohnehin nach strategischen Partnern umgeschaut, um selbst zu expandieren. »Jetzt haben wir eben eine Abkürzung genommen.«

FinTecSystems vermittelt zwischen Verbraucher und Kreditgeber. Nun übernimmt Tink aus Schweden das Lindener Finanztechnologie-Unternehmen.
FinTecSystems vermittelt zwischen Verbraucher und Kreditgeber. Nun übernimmt Tink aus Schweden das Lindener Finanztechnologie-Unternehmen. © dpa

FinTecSytems in Linden (Kreis GIeßen) wird zu Tink: Zweiter schwedischer Finanzdienstleister im Kreis Gießen nieder

Klar sei, ergänzt der Prokurist, dass der Name FinTecSytems irgendwann verschwinden und durch Tink ersetzt werde. Die Reise müsse weitergehen, sagt Rogall. Er deutet auf sein Shirt und seinen Pullover, dann fügt er hinzu: »Egal, unter welchem Logo wir arbeiten.« Nach Klarna lässt sich somit ein weiterer großer schwedischer Finanzdienstleister im Kreisgebiet nieder. In Konkurrenz stehe man aber nicht, betont Rogall. Klarna wende sich vor allem an Endkunden, »wir an Geschäftskunden. Ihre Kompetenz ist das digitale Bezahlen. Wir dagegen sind stark im Analysieren von Kontendaten.«

Und doch konkurriert FinTecSystems auf anderer Ebene mit Klarna, zum Teil auch mit Alternate: wenn es darum geht, Arbeitskräfte zu gewinnen. Das Kreisgebiet entwickelt sich zunehmend zu einem Standort für Programmierer, Informatiker und Wirtschaftsinformatiker. »Klarna zieht in schöne Räumlichkeiten in die Alte Post und bietet 300 bis 500 Arbeitsplätze«, sagt Rogall. Auch die Geschäftsleitung von FinTecSystems mache sich zunehmend Gedanken, für Studenten und Bewerber noch attraktiver als Arbeitsplatz zu werden. »Man muss mit Speck Mäuse fangen«, sagt Rogall und lässt durchblicken, dass das Unternehmen bald wohl umziehen wird, auch aus Platzgründen.

Nach Übernahme von FinTecSystems in Linden: Firma bleibt im Gießener Raum

Derzeit arbeite ein Großteil noch im Homeoffice. »Kehren sie zurück, stoßen wir schnell an unsere Grenzen.« Den Gießener Raum werde man auf keinen Fall verlassen, betont Rogall. Dies liege am guten Hochschulstandort. »Und weil viele unserer Mitarbeiter den ländlichen Raum bevorzugen und ungern anderthalb Stunden nach Frankfurt pendeln.«

Ständig feilen die Mitarbeiter an der Analyse von Bankkonten, die nach 230 Kategorien verläuft: In die Kategorisierung stecke man viel Arbeit, sagt Rogall. Eine Wertung nehme man nicht vor. »Wir bestücken Entscheidungsmaschinen, treffen selbst keine Entscheidungen.«

Seit 2019 hat das Unternehmen eine Lizenz der Finanzdienstleistungsaufsicht BAFIN inne. Vor knapp acht Jahren wurde FinTecSystems gegründet. Der Firmen- und Vertriebssitz ist in München, der Großteil der Mitarbeiter allerdings ist in Großen-Linden tätig. Es ist eine Branche, die einem schnelllebigem Wandel unterzogen ist. Die Übernahme durch Tink ist noch frisch, da steht bereits der nächste Kauf bevor: Das Kreditkartenunternehmen Visa will Tink kaufen, wartet auf eine Genehmigung des Deals. Damit beschäftige man sich noch nicht allzu sehr, sagt Rogall. »Das ist für uns noch sehr weit weg.« (dpa)

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