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Der lange Weg zum Führerschein - Motivation zum Fahren fehlt bei Vielen

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Von: Rüdiger Soßdorf

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Die Durchfallquote beim Führerscheinerwerb steigt seit Jahren. Die Fahrschüler benötigen mehr Versuche. Zwei Gießener Fahrlehrer benennen Gründe.

Gießen - Vier der sechs Fahrschüler aus einer Fahrschule im Gießener Land, die dieser Tage zur theoretischen Führerscheinprüfung angetreten sind, haben auf Anhieb bestanden. Die anderen beiden nicht. Kein Beinbruch. Da gibt es eine zweite Chance. Oder auch eine dritte, wenn es sein muss.

Doch die Zahlen zeigen einen Trend auf. Laut Statistik des Kraftfahrtbundesamtes (KBA) patzen 37 Prozent der Führerschein-Prüflinge bundesweit im ersten Anlauf in der Theorie, rund 30 Prozent fallen bei der Fahrprüfung durch. Tendenz steigend. Ein Beitrag zu dem Thema in der »Hessenschau« sorgte im Januar für Aufsehen.

Gießener Fahrlehrer mit persönlicher positiver Bilanz - Drei Viertel der Prüflinge bestehen praktischen Teil im ersten Versuch

Vor ein paar Jahren lag die Durchfaller-Quote noch bei 26 Prozent, berichtet Alexander Höhn, der in Wettenberg eine Fahrschule betreibt. Wobei bei Höhn die Zahlen ohnehin besser sind, wie er mit Blick auf seine 2022er Ausbildungs-Bilanz sagt. Da haben drei Viertel der Prüflinge auf Anhieb den praktischen Teil erfolgreich absolviert, 72 Prozent waren auch in der vorgeschalteten Theorie im ersten Anlauf erfolgreich.

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Bei der praktischen Prüfung fallen im ersten Anlauf rund 30 Prozent der Kandidaten durch. © Red

Höhn erläutert: »Wir Fahrlehrer sind verpflichtet, nachzuvollziehen, ob die jungen Leute ausreichend auf die Prüfung vorbereitet sind«. Dank Online-Schulungstools können die Fahrschulen auf einen Blick sehen, welchen Lernstand eine Fahrschülerin oder ein Fahrschüler hat.

Fahrlehrer aus Gießen ohne Schuldzuweisung - Unterschiede zwischen Stadt und Land sind spürbar

Wobei Höhn niemandem die Schuld zuweisen möchte. Dafür ist das Thema zu komplex, zu vielschichtig. Heute herrscht eine viel höhere Verkehrsdichte als noch vor 40 Jahren. Dadurch sind die Anforderungen im Verkehr deutlich gestiegen. Es ist mehr Konzentration erforderlich.

Was ebenfalls in die Statistik reinspielt: Ein Stadt-Land-Gefälle. In der Stadt gibt es mehr »Umschreiber«, also Menschen mit Migrationshintergrund, die einen Führerschein aus ihrem Herkunftsland besitzen, diesen aber in Deutschland umtauschen müssen. Bei ihnen können beispielsweise Sprachprobleme eine Rolle spielen. Die Lichtzeichenanlage, also Ampel, ist so ein Beispiel, an dem der eine oder andere hängenbleibt.

Jugendliche stärker gefordert als früher: Für Gießener Fahrlehrer spielt Vorkenntnis eine große Rolle.

Hinzu kommt, so die Beobachtung von Fahrlehrer Höhn, dass junge Leute heute viel stärker gefordert sind als früher. Die Schule geht bis in den Nachmittag hinein, dann kommen vielleicht noch Nachhilfe oder der Nebenjob.

Eine nicht zu unterschätzende Rolle spielen laut Höhn auch Vorkenntnisse. Wer vorher als Fahrrad- oder Rollerfahrer am Straßenverkehr teilgenommen hat, der geht mit der Situation anders um als jemand, der nur als Passagier auf dem Rücksitz gesessen und während der Fahrt das Smartphone bedient hat.

Laut Fahrlehrer aus Gießen stellt die komplexe Technik der Autos eine Hürde für junge Fahrschüler dar

Eine Beobachtung, die auch Michael Noll von der gleichnamigen Fahrschule in Lich macht: Immer weniger junge Leute setzen sich aktiv mit dem Auto auseinander, bevor sie in die Fahrschule kommen. Da kann laut Höhn durchaus die Frage auftauchen, wofür welches Pedal ist. Und: Da sind ja drei - aber ich habe doch nur zwei Füße... Klingt witzig? Vielleicht. Kommt aber vor.

Apropos Technik: Autos sind heute komplexer in der Bedienung geworden mit allerlei Assistenzsystemen, die, weil vorhanden, auch beherrscht werden müssen. Das reicht vom Tempomat bis hin zum elektronischen Parklenkassistenten, der das Auto eigenständig in die Lücke manövriert, während der Autofahrer den Vorgang überwacht. Auch das will gelernt sein. Fakt ist, Führerschein-Kandidaten müssen heute ungleich mehr lernen als noch vor einer Generation.

Gießener Fahrlehrer: »Mobilität langweilt die jungen Leute« - Autofahren als »vergeudete Zeit«

Fahrlehrer Noll konstatiert zudem, dass der Umgang mit Mobilität im Alltag im Wandel ist und bringt es etwas überspitzt auf die griffige Formel: »Mobilität langweilt«. Zwar hat Mobilität für junge Leute unverändert große Bedeutung. Aber der Begriff der »Freiheit auf vier Rädern« habe an Zugkraft verloren.

Der Zugang zum Auto sei ein anderer geworden: Wurde früher nach der Leistung und der Höchstgeschwindigkeit eines Wagens gefragt, so sieht sich der Fahrlehrer heute mit der Frage nach dem CO2-Footprint des Autos konfrontiert. Noll hat gar von dem einen oder anderen Fahrschüler vernommen, dass das Selbstfahren vergeudete Zeit sei. Während man am Steuer sitze, könne man nicht Lesen, Appen oder Lernen.

Verlangen nach Führerschein auf dem Land ausgeprägter - Gießener Mobilität reicht vielen in der Stadt aus

Die Motivation, den Führerschein zu erwerben, ist übrigens ganz unterschiedlich: Viele junge Menschen möchten dieses Quäntchen Freiheit haben, weil sie nicht mehr auf Bus und Bahn oder das Elterntaxi angewiesen sein wollen.

Aber: Das ist auf dem Land stärker ausgeprägt als in eher urbanen Strukturen. Konkret: Wo alle 20 Minuten ein Bus fährt, wo man über Uber, MyTaxi & Co. Mobilität generieren kann, da sind Neigung und Ansporn zum Führerscheinerwerb tendenziell etwas geringer als beispielsweise in Bettenhausen, Nordeck oder etwa Weickartshain.

Gießener Fahrlehrer: »Stellenwert des Selberfahrens ist nicht mehr so hoch wie früher«

Noll sagt, der Stellenwert des Selberfahrens ist nicht mehr so hoch wie früher. Auch das wirkt sich auf den Führerscheinwerb aus. So berichtet er von Fahrschülern, die erst mit Anfang/Mitte 20 zu ihm kommen und die sich gegebenenfalls Zeit lassen. Dass es von der Anmeldung bis zur Prüfung in dem einen oder anderen Fall bis zu einem Jahr dauern kann, das ist durchaus möglich. Und wer zwischen den Fahrstunden Wochen verstreichen lässt, der erwirbt mangels Übung nicht so schnell die nötigen Fertigkeiten. (Rüdiger Soßdorf)

Menschen, bei denen die Führerscheinprüfung schon lange zurückliegt, müssen ihren alten Lappen umtauschen. Am 10. Februar bekommt man an der Außenstelle der Kfz-Zulassungsbehörde in Grünberg (Gießener Straße 45) eine zusätzliche Gelegenheit.

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