Freiwillige vor

Viele Vereine aber auch karitative Einrichtungen sind auf Menschen angewiesen, die ihr Freiwilliges Soziales Jahr bei ihnen absolvieren. In diesem Jahr aber mangelt es an Bewerbungen. Etliche FSJ-Träger fürchten daher, dass sie ihre Angebote nicht aufrecht erhalten können und sowohl Kinder als auch zu pflegende Menschen unter den Folgen leiden.
Kerstin Grölz ist sichtlich ratlos. Die Stelle für das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) sollte schon zum 1. September besetzt sein. Grölz, die Jugendkoordinatorin beim TV 1905 Mainzlar, kümmert sich auch um die FSJ-Betreuung. Doch zu betreuen hat sie momentan wenig. Denn sie und der Verein sind immer noch auf der Suche nach einem jungen Erwachsenen.
Die Situation in Mainzlar ist keine Ausnahme, auch andere Vereine stehen blank da. Nun hat gar die Sportjugend Hessen auf die aktuelle Lage reagiert. Die Frist zur Anmeldung für ein Freiwilliges Soziales Jahr wurde bis zum 1. Oktober ausgeweitet. Man hofft so, noch Kurzentschlossene für die Vereine gewinnen zu können.
»In den vergangenen Jahren war das komplett anders«, erzählt Grölz. Damals sei die Nachfrage sogar so groß gewesen, dass der Verein einen Bewerbungsprozess mit Vorstellungsgesprächen und anschließender Entscheidungsfindung durchführen musste. »In diesem Jahr würden wir uns über jede Zusendung freuen.«
Neben den karitativen Einrichtungen wie dem Deutschen Roten Kreuz, den Malteser oder der Lebenshilfe bieten auch Sportvereine den Freiwilligendienst für junge Erwachsene an. Und auch bei den Vereinen ist die FSJ-Stelle kein netter Zusatz, sondern ein essenzieller Posten. »Ohne FSJler können wir unsere Kooperationen mit den Schulen nicht aufrechterhalten«, sagt Grölz. »Am Ende leiden die Kinder unter der aktuellen Lage.«
In Mainzlar begleitet der Freiwilligendienst beispielsweise die Schüler von der Schule zur Turnhalle. Gegebenenfalls unterstützt er außerdem in Sportunterricht und bereitet in der Turnhalle alle Geräte vor, damit die Kinder direkt anfangen können.
Die derzeitige Misere ist aber nicht nur auf Vereine beschränkt. Auf Nachfrage dieser Zeitung bestätigen mehrere FSJ-Träger, dass viele Stellen nicht besetzt werden können.
So erklärt die Sprecherin der Lebenshilfe Gießen, dass »zwischen 20 und 25 Stellen noch frei sind und die Bewerbungen stark rückläufig sind«. Auch die Volunta, eine Gesellschaft des DRK in Hessen, zieht für Gießen eine ernüchternde Zwischenbilanz: »Wir haben in diesem Jahr deutlich weniger Bewerber als im letzten Jahr.« Laut der FSJ-Abteilung des DRK haben sich während der vergangenen Corona-Jahre mehr junge Menschen für ein FSJ entschieden, »da es ein verlässliches Angebot gewesen war«.
Jugendkoordinatorin Grölz sieht darin ebenso einen der vielen Faktoren für den starken Rückgang des Interesses am FSJ. Durch das Wegfallen der Corona- und Reisebeschränkungen stünden den jungen Erwachsenen und Abiturienten mehr Möglichkeiten zur Verfügung. »Es ist verständlich, dass die jungen Menschen vieles nachholen wollen«, sagt Grölz, »dabei sollten aber nicht die lokalen Einrichtungen auf der Strecke bleiben.«
Obendrein sei es für die Träger schwierig gewesen, junge Menschen zu erreichen. Ausbildungsbörsen und Informationsveranstaltungen finden weiterhin oftmals online statt. Es fehlt das persönliche Gespräch und das authentische Erleben, erklären die Verantwortlichen von Volunta. Zudem komme es erschwerend hinzu, dass viele Jugendliche die Entscheidung für ihre Zukunft herauszögern und »wir als Träger schlechter planen können«, erklärt die Sportjugend Hessen.
Dass der Sozialdienst aber auch den FSJlern viel in der Persönlichkeitsentwicklung und im Berufsfindungsprozess bringt, zeigt das Beispiel in Mainzlar. Marek Machava, der letztjährige FSJler, sagt, für ihn sei es ein Rätsel, warum das FSJ an Strahlkraft verloren habe. Er sehe darin eine hervorragende Möglichkeit, neue Blickwinkel zu erhalten und ein Gefühl dafür zu bekommen, ob einem ein Beruf in der Pädagogik gefalle. »Durch das FSJ ist mir klar geworden, dass mir die Arbeit mit Kindern Spaß macht«, erzählt der 20-Jährige. »Nun habe ich eine Ausbildung zum Erzieher angefangen.«
