Freispruch oder mehrjährige Haftstrafe?
Gießen (jwr). Hat ein ehemaliger Parkour-Trainer 2015 einen seiner Schüler mehrfach vergewaltigt? Aktuell sitzt der mittlerweile 37-Jährige aus dem Kreis Gießen in Haft, das Amtsgericht hatte ihn 2019 wegen sieben Fällen von sexuellem Missbrauch an einem anderen Jugendlichen verurteilt. Im nun laufenden Prozess bestreitet er die diesmal noch gravierenderen Vorwürfe.
Am Dienstag haben Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Plädoyers gehalten.
Staatsanwältin Jessica Schröder sah den Tatvorwurf als erwiesen an. Daran gebe es keinen vernünftigen Zweifel, wenngleich sich die genaue Reihenfolge der Taten nicht mehr habe klären lassen. In seiner ausgebauten Scheune habe der Angeklagte mit den Jugendlichen »Trinkspiele mit obszönen Aufgaben« veranstaltet, es sei »bis zur Besinnungslosigkeit« getrunken worden.
Aussage gegen Aussage
Der damals 15-Jährige habe berichtet, der Angeklagte sei an drei solchen Abenden bis zum Samenerguss in ihn eingedrungen. Der andere Hauptzeuge habe eine weitere Vergewaltigung des 15-Jährigen beobachtet, während dieser geschlafen habe.
Zwar liege eine »Aussage-gegen-Aussage-Situation« vor, so Schröder. Allerdings habe der Geschädigte zweimal bei der Polizei und einmal vor Gericht »in konstanter Weise« und detailreich beschrieben, wie der schwere Missbrauch abgelaufen sei. Auch der vierte Fall ist aus Sicht der Anklage hinreichend belegt. Nicht zuletzt könne man bei keinem der beiden Zeugen einen Belastungseifer erkennen. Für den Angeklagten spricht laut Staatsanwältin unter anderem, dass er aufgrund des Alkoholkonsums enthemmt, womöglich nur vermindert schuldfähig gewesen sei. Auch habe er damals mit »vielen Schicksalsschlägen« zu kämpfen gehabt und nun eine Therapie für Sexualstraftäter begonnen. Andererseits schlage die »sehr perfide Vorgehensweise« zu Buche, der 37-Jährige habe seine Tätigkeit als Trainer ausgenutzt und die »Widerstandsunfähigkeit« des Opfers gezielt hergestellt. Schröder: »Der Zeuge wurde zum Lustobjekt degradiert.«
Die Staatsanwältin beantragte eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren unter Einbeziehung der Haftstrafe des Amtsgerichts (drei Jahre) sowie ein erneuertes fünfjähriges Berufsverbot.
Verteidiger Philipp Kleiner verwies darauf, dass die beiden damaligen Schüler als Zeugen unterschiedliche und teils vage Angaben gemacht hätten, auch zur Frage, an welchen und wie vielen Abenden es zu Vergewaltigungen gekommen sei. Etliche Aspekte der Aussagen seien »nicht nachvollziehbar« - etwa, dass das vermeintliche Opfer den Angeklagten nicht auf die Taten angesprochen habe. Bei den Aussagen dieses Zeugen seien »Detailarmut und Emotionslosigkeit« aufgefallen. Wenn schließlich Aussage gegen Aussage stehe, müsse die Glaubwürdigkeit von Belastungszeugen besonders unter die Lupe genommen werden. Und dieser Betrachtung, so Kleiner, hielten die Vorwürfe nicht stand. Unterm Strich sei ein Freispruch unumgänglich.
Wie die Siebte Große Strafkammer das sieht, bleibt abzuwarten: Am 1. Oktober hat der Angeklagte Gelegenheit für ein letztes Wort, danach soll das Urteil gesprochen werden.