»Freiheit ist nichts für Feiglinge«

Anna Schneider gehört zu den profiliertesten, aber auch am häufigsten kritisierten journalistischen Stimmen der Gegenwart. Die 32 Jahre alte Österreicherin bezieht auch gegen Mehrheitsmeinungen pointiert Stellung. Jüngst ist ihr Buch »Freiheit beginnt beim Ich« erschienen, aus dem sie am 14. Februar in Hungen lesen wird. Im Interview spricht Schneider über Hass im Netz, Liberalismus und warum es ihr Spaß macht, rhetorisch Watschen zu verteilen.
Sie treten nachdrücklich für Freiheit und Liberalismus ein. Werte, die in der westlichen Welt selbstverständlich sein sollten. Warum erfahren Sie so viel Gegenwind, man kann schon sagen Hass?
Der Hass entlädt sich vornehmlich in den sozialen Medien - das lese ich schon überhaupt nicht mehr, weil das teilweise wirklich grauslig ist. Die Gründe dafür sind bekannt: Bei allem Segen, den die digitale Welt mit sich bringt, sind viele Menschen im Affekt schnell dabei - bisweilen aus der Anonymität heraus - Bösartiges zu äußern. Ich bin mir sicher: Würden mir diese Leute gegenüberstehen, würden von fünftausend nur fünf das wiederholen, was sie geschrieben haben.
Was machen diese Beleidigungen mit Ihnen?
Nichts, ich kann damit leben. Das Schlimme ist doch, dass heute bei kontroversen Themen schneller beleidigt oder ausgewichen wird, anstatt ernsthaft zu diskutieren. Ich bin bestimmt nicht auf ein »Dankeschön« aus, ganz im Gegenteil. Mir würde intelligenter Widerspruch wirklich Spaß machen.
Zum Kern der Kritik der Beleidigungen: Wie erklären Sie sich, dass Menschen Ihrem Begriff von Freiheit widersprechen?
Selbst seriöse Kritiker unterstellen mir bisweilen, mein Begriff von Freiheit sei verbunden mit Selbstbezogenheit und Egoismus oder bezichtigen mich des Vulgärliberalismus. Das ist zwar eine böswillige Unterstellung, aber lieber vulgär- als gar nicht liberal, denke ich mir dann. Fest steht: Für mich rangiert das Individuum immer vor dem Kollektiv. Alles andere wäre übrigens auch mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
Können Sie das erklären?
Die Freiheiten, die darin jedem Bürger gewährt werden, beziehen sich immer auf das Individuum. Mir scheint, dass der Freiheitsbegriff in der westlichen Welt teilweise regelrecht in Verruf geraten ist. Während der Corona-Pandemie gab es völlig abstruse Wort-Neuerfindungen wie etwa ›kollektive Freiheit‹. So etwas gibt es schlechterdings nicht. Weil ich vehement dagegenhalte, wenn es um die Verteidigung der individuellen Freiheit geht, bin ich vielen ein Dorn im Auge.
Sie sprechen von Corona. Welchen Einfluss hat diese Zeit nach Ihrer Beobachtung auf den Freiheitsbegriff?
Einen entscheidenden. Denn die Einschränkungen waren nicht nur physischer, sondern auch psychischer Art. Wenn Menschen wie ich, die erklärtermaßen keine Corona-Leugner und geimpft sind und mit dem rechtsextremen Lager nichts zu tun haben wollen, Kritik an Regeln und Maßnahmen äußerten oder auch nur kritische Fragen stellten, wurden sie oft in eine Ecke geschoben, in die sie nicht hineingehören, von der sie sich sogar distanzieren.
Haben Sie ein Beispiel?
Ich erinnere nur an den Begriff des Covidioten. Man braucht nicht viel Fantasie, um sich die Auswirkungen auf die Demokratie an sich auszumalen. Es ist bis heute keine gründliche Aufarbeitung der Fehler aus dieser Zeit gelungen, obwohl sehr viele darum wissen, was alles schiefgelaufen ist.
Warum erheben nicht mehr die Stimme, wenn die Freiheit bedroht scheint?
Freiheit ist nun einmal nichts für Feiglinge, sie ist anstrengend. Weil man selbst Entscheidungen treffen, Risiken eingehen und sich darüber im Klaren sein muss, dass auch Scheitern eine mögliche Option ist. Ich verstehe diese gewisse Art von Bequemlichkeit bisweilen, dieses Überantworten von Freiheit, kann es aber nicht nachvollziehen. Wir haben in diesem Punkt auch schlichtweg zu wenig Vorbilder. Es gibt zu wenige Menschen, die gegen Verbotsfolklore und Paternalismus ihr Wort erheben und sich für liberale Werte ins Zeug legen, auf denen unsere demokratische Ordnung fußt. Letztlich ist Freiheit wie ein Muskel, der ständig trainiert werden muss.
Gibt es Unterschiede zwischen Deutschland und Österreich?
Im Grunde nicht. Wobei die Österreicher etwas leiser und gemütlicher sind, die Deutschen extremer, mit mehr Dezibel und moralischer Erhabenheit in der Stimme.
Macht es Ihnen Spaß schriftlich und rhetorisch Watschen zu verteilen?
Großen Spaß! Vor allem, weil ich weder die sogenannte rechte noch die linke Seite bediene und damit manchmal unverhofft Widersprüche in den jeweiligen Lagern aufzeige.
Wie funktioniert das?
Zum Beispiel habe ich gegen eine Impflicht argumentiert, weil jeder das Recht hat, über seinen Körper zu bestimmen. Dafür habe ich heftige Kritik aus einem dieser Lager erhalten, das aber, andererseits, für die Abtreibung ist, sprich für das Recht des Menschen auf seinen Körper in diesem Fall. Dass mir vorgehalten wird, ich bekäme mitunter Beifall von der »falschen« Seite, ist Blödsinn. So etwas wie Kontaktschuld gibt es nicht. Demnach dürfte man sich eigentlich zu keiner Frage mehr äußern, bei der Rechte, Rechts- und Linksradikale zufällig oder aus Kalkül dieselbe Haltung vertreten wie ich.
Wie steht es um den Freiheitsbegriff in der nahen Zukunft?
Krisenzeiten sind Staatszeiten, und das ist bis zu einem gewissen Grad verständlich. Allerdings hat die Politik das Anspruchsdenken der Bürger darüber hinausgehend genährt. Kann der Staat diesem Anspruch nicht mehr befriedigen - und die Parteien verteilen gerne Geschenke aus ersichtlichen Gründen - gärt es in der Bevölkerung, Unmut macht sich breit. Der Staat kann nun einmal nicht alle Probleme lösen. Das würde auch meinem Begriff von Liberalismus - so wenig Staat wie möglich - widersprechen. Wenn aber der Wunsch wächst, sich noch mehr auf den Staat zu verlassen, geht das zwangsläufig zulasten der Freiheit.