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Fluchtziel »Pestburg«

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Von: Thomas Brückner

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Wo dereinst die Engelsburg stand: Karl-Heinz Hartmann (r.) weiß viel zu erzählen von dem Ort nahe Laubach, an dem die gräfliche Familie Anfang des 17. Jahrhunderts vor der Pest Zuflucht suchte. Und um den sich so manche Sage und Geschichte rankt, am bekanntesten wohl jene vom »Vogelbärbchen«. © Thomas Brueckner

Unweit von Laubach, im gräflichen Revier »Tiergarten«, finden sich Zeugnisse des wüst gefallenen Weilers Engelhausen. Im »kollektiven Gedächtnis« der alten Residenzstadt wie der umliegenden Orte noch sehr präsent ist vor allem die gleichnamige Burg. Im Volksmund ist sie eher als »Pestburg« bekannt. Eine Wanderung zu einem sagenumwobenen, fast vergessenen Ort.

Die Mythen, Sagen und Geschichten seiner Heimat haben Karl-Heinz Hartmann schon immer fasziniert - und inspiriert. So hat er sie auch in seinem kreativen Schaffen - der Weickartshainer hatte an der Kunsthochschule Kassel studiert, war später Berufsschullehrer für Schauwerbegestalter geworden - zum Thema gemacht.

Erinnert sei dazu an seine Land-Art-Projekte in der alten Eisenkaute Weickartshain oder an das »Labyrinth, mit dem er an alte, mystische Symbolformen wie Kreis, Dreieck, Quadrat anknüpfte.

Besonders angetan war und ist der 70-Jährige von der teils historisch belegten Geschichte vom »Vögelbärbchen, die sich im 30-jährigen Krieg unweit von Weickartshain, nahe besagter Engelsburg, zugetragen haben soll: Als die Frau des Försters, mit Vornamen Barbara, eines Tages nach Hause kommt, findet sie ihren Mann erschlagen vor. Damit nicht genug, haben die Wilddiebe auch ihr Kind entführt.

Völlig verarmt, begibt sich das »Bärbchen« auf die Suche, um erst in der Stunde ihres Todes das Kind wieder in ihre Arme schließen zu dürfen.

Als Theaterstück inszenierte der Kulturring Weickartshain, damals von Hartmann geleitet, in der 1990ern die Erzählung am »Originalschauplatz«, an der Engelsburg.

Erdwälle und Signaltürme

Deren Überreste, nicht zuletzt dank der Führungen Hartmanns ein nur fast vergessener Ort, sind an diesem Nachmittag Ziel einer Wanderung durch den frühlingshaften Wald. Von der alten Eisenkaute geht es rund zwei Kilometer weit in Richtung des Forstreviers »Tiergarten«.

Auf dem Weg, gesäumt vom frischen Laub der Buchen, doch auch von großen Kahlflächen als Zeugnissen des Fichtensterbens, erzählt Hartmann von dem Ort, der in der Umgegend vielen wohlbekannt ist.

Ein Verdienst nicht nur des Weickartshainers: Der Laubacher Hubertus Ackermann hat sie ebenso aufgearbeitet, Hat dafür auch historische Quellen wie die »Wetterfelder Chronik« ausgewertet, in der Pfarrer Cervinus (1579-1658) die Zeit des 30-jährigen Krieges im Raum Grünberg-Laubach-Hungen beschrieben hat. Nicht zu vergessen: Bei Themenführungen in der Residenzstadt wird gerne auf die Geschichte(n) verwiesen.

Engelhausen, 1289 erstmals urkundlich erwähn, ist danach eines von mehreren ausgegangenen Dörfern rund um Laubach. Von 1316 bis 1416 werden Ritter von Engelhausen als Burgmannen in Grünberg gelistet; jenem namens Oswald überträgt 1406 Philipp von Falkenstein den Besitz als Lehen. Zwölf Jahre später fallen Dorf und Burg durch Erbgang an die Solmser Grafen - doch bereits 1432 wird Engelhausen als Wüstung bezeichnet.

Am Ziel der Wanderung angelangt, zeigt Hartmann zunächst auf deutlich auszumachende Erhebungen - Reste alter, die Burg umgebender Erdwälle. Wie die vier Signaltürme zum Schutz vor Feinden errichtet. Eine Quelle aus 1558, führt er nun aus, verweise auf eine Zollstation auf dem Weg von Alsfeld nach Laubach, gelgen bei der (befestigten) Landwehr Engelhausen. Womit das »Vogelbärbchen« wieder in den Sinn kommt: Ihr Heim, das gräfliche Forsthaus, war zuvor Zollhaus gewesen.

Die einstige Burg - nach alten Quellen und Ansichten wohl als massiv gemauertes Erdgeschoss mit zwei Fachwerkobergeschossen errichtet - ist heute von mächtigen Buchen umgeben. Einige Jahrhunderte sind sie alt.

»Immer wieder mal«, weiß Hartmann, »finden sich unter den Wurzelballen umgestürzter Bäume Ofenkacheln oder Glasscherben.« Verborgene Zeugnisse dörflichen Lebens im Hochmittelalter.

Trotz der üppigen Vegetation sind auch die Reste der Fundamente eines Signalturms sowie ein versumpfter Teich zu erkennen. Wenige Schritte entfernt entdeckt selbst der unbedarfte Gast die Mauern eines Ziehbrunnens - könnten sie doch erzählen, wie sich hier in uralter Zeit die Menschen, mag sein auch die Frau des Försters, trafen...

Ein Drittel der Bevölkerung starb

Was aber hat es mit der Bezeichnung »Pestburg« auf sich? Anfang des 17. Jahrhunderts wütete auch im Raum Laubach/Grünberg der »Schwarze Tod«, ein Drittel der Bevölkerung starb. In dieser Zeit sei die gräfliche Familie mehrfach vor der Pest nach Engelhausen geflohen, wo noch Forsthaus und die Burg als Hofgut erhalten geblieben waren. Nachdem Letztere eine Zeitlang noch als Jagdhaus gedient hatte, sollen die Obergeschosse Mitte des 18. Jahrhunderts abgetragen worden sein. Dass heute wenigstens Reste der Grundmauern auszumachen sind, dürften die Nachgeborenen nicht zuletzt Prof. Dr. August Roeschen zu verdanken haben. »Von 1882 bis 1887«, fährt Hartmann fort, »erforschte er die Anlage. Die Mauern des Erdgeschosses dürften da noch gestanden haben.« Auch Grabungen sollen seinerzeit erfolgt sein. Wenig später aber, um 1903, seien dann auch die Steine zweckentfremdet worden - »zum Schottern der Seentalbahn«.

Unterirdischer Fluchtweg?

Am Ende der Wanderung kommt die Rede auf den ebenso sagenumwobenen geheimen Gang, der Burg und Schloss verbunden haben soll. Als Beweis seiner Existenz wird gern auf das Ungemach eines Bauern verwiesen, der mit seinem Kuhfuhrwerk eingebrochen sein soll. Der 87-jährige Laubacher Bernhard Momberger berichtete dieser Zeitung davon. Ereignet habe sich das wohl in den 1940ern. Er zeigte sich überzeugt, dass es die unterirdischen Fluchtwege gegeben hat. Auch für Hartmann allerdings schwer zu glauben: »Der Boden hier besteht aus massivem Basalt…«

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