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Ferienspiele als Auslaufmodell?

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Von: Jonas Wissner

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Der Lollarer Jugendpfleger Martin Eichler hält eine Rückkehr zu umfangreichen Ferienspielen für wenig sinnvoll - auch wegen sinkender Nachfrage. © Jonas Wissner

Über Jahrzehnte haben viele junge Menschen im Kreis Gießen an Ferienspielen teilgenommen. Lollar geht inzwischen einen anderen Weg, hat das Format eingedampft. Jugendpfleger Martin Eichler berichtet von sinkender Nachfrage - und außergewöhnlichem Bedarf in der Stadt.

Sich in verschiedensten Sportarten bei Vereinen ausprobieren, Ausflüge zu spannenden Orten in der Region unternehmen, bei der Feuerwehr reinschnuppern: Ferienspiele sind auch im Kreis Gießen über Jahrzehnte zu einer festen Größe geworden, die Kindern und Jugendlichen Abwechslung in schulfreien Zeiten bietet. Aber passt das Format noch in die Zeit?

Zumindest in Lollar hat im Laufe der vergangenen Jahre bei diesem Thema ein Umdenken stattgefunden, wie Jugendpfleger Martin Eichler erklärt: Seit 2014 würden die Ferienspiele von der Diakonie ausgerichtet, die auch Träger der Lollarer Jugendpflege und damit formal Eichlers Arbeitgeber ist. Bis 2017 habe die Stadt pro Sommer 6000 Euro in die Spiele investiert, damit sich zwei Hilfskräfte um Anmeldung, Koordination, Flyer-Gestaltung und mehr kümmern konnten. 2018 wurden diese Mittel laut dem Jugendpfleger erstmals nicht mehr zur Verfügung gestellt, zugleich die Jugendpflege-Stelle auf 75 Prozent gekürzt, »das war schwierig«.

Den Hauptgrund dafür, die Ferienspiele einzudampfen, sieht Eichler aber in der gesunkenen Nachfrage: Von 2014 bis 2018 seien die Anmeldungen für Veranstaltungen um fast ein Drittel zurückgegangen - »bei gleichem Aufwand«, wie er betont. »Da stellt sich die Frage: Ergibt das so noch Sinn?«

Eichler führt das sinkende Interesse an den Ferienspielen auch auf gesellschaftlichen Wandel zurück: Sie seien vor Jahrzehnten aufgelegt worden, »als die Gestaltung von Freizeit noch eine andere war«. In Zeiten von Nachmittagsbetreuung in Schulen seien Kinder und Jugendliche »sehr eingespannt«, meint der Jugendpfleger. »Sie sind oft froh, wenn sie in den Ferien mal Ruhe haben.«

Davon abgesehen merkten auch Vereine, dass es teils schwieriger werde, Jugendliche dauerhaft zu gewinnen. »Das Thema Verbindlichkeit ist schwierig, das sehen wir auch bei Angeboten im Jugend- und Beratungszentrum.« Nicht selten zeigten sich Jugendliche anfangs interessiert - »stellen dann aber fest: Ich habe doch keine Lust dazu.« Die Corona-Zeit habe diesen Effekt noch einmal verstärkt. Das erschwere auch die Ferienspiele-Planung.

In seinen Augen ist es wichtiger denn je, etwa im Rahmen der abgespeckten Ferienspiele »niedrigschwellige Angebote« zu machen. Manchen tue es gut, »einfach mal in der Pampa zu sein, wo man keinen Handyempfang hat«. Dagegen träfen Kreativ- und musikalische Angebote eher auf Vorbehalte, auch seien motorische Fähigkeiten bei Kindern mittlerweile teils weniger ausgeprägt. Ein Stück weit hänge das wohl auch mit »verstärktem Medienkonsum« zusammmen, vermutet Eichler. Nicht zuletzt sei »Frustrationstoleranz« gerade im Kontext der Pandemie-Einschränkungen ein großes Thema.

Gerade für Jugendliche sei nun der Bedarf »riesig«, sich einfach ungezwungen mit Gleichaltrigen zu treffen. Doch es fehle an »Erfahrungsräumen«, wo junge Menschen sich ausprobieren können, sagt der Jugendpfleger. »Im öffentlichen Raum ist für Jugendliche wenig vorgesehen.«

Nach wie vor gibt es in Lollar den »Sommerspaß« als kleinere Form der Ferienspiele (siehe Kasten). Flyer würden etwa weiter in den Schulen verteilt. »Wir schließen niemanden aus, können aber auch nicht Hunderte Kinder bedienen«, sagt Eichler. 2017 seien in Lollar noch 35 Ferienspiele-Veranstaltungen angeboten worden, 2018 gut ein Dutzend, in diesem Sommer wohl etwa 20.

Die Kapazitäten seien nun eingeschränkter, der Fokus habe sich verschoben: »Wir schauen: Welche Kinder haben es nötig, weil zum Beispiel die Eltern sich keinen Urlaub leisten können?« Gerade für sie seien regelmäßig in den Ferien angebotene Freizeitfahrten ein Highlight.

Dass die Stadt sich laut Eichler 2019 als offizieller Ausrichter von den Ferienspielen zurückgezogen hat, wirke sich auch auf Vereine aus: Sie müssten nun als Veranstalter auch Haftpflichtversicherungen eingehen, was sich wohl nicht für jeden Verein lohne.

Auf andere Kommunen seien die Erkenntnisse aus Lollar so vielleicht nicht übertragbar, denn hier sei die Lage besonders. »Es ist eine Frage des Klientels vor Ort. In der ›bürgerlichen Mitte‹ klappen klassische Ferienspiele noch besser«, aber in Lollar gebe es teils anderen Alltagsbedarf. »Im Kreis-Armutsbericht steht Lollar bei armutsgefährdeten Kindern oben«, sagt Eichler. Und durch starken Zuzug, etwa aus Bulgarien, hätten viele Kinder hier »andere Startvoraussetzungen«. Für das Team des Jugend- und Beratungszentrums sei das eine Herausforderung. »Wir sind eine kleine Stadt, haben aber durchaus Großstadt-Probleme«, fasst Eichler zusammen. »Wir schauen häufig, was Städte wie Frankfurt, Bochum, Dortmund machen, wo es eine ähnliche Bevölkerungsstruktur gibt.«

Kürzlich hat Eichler im Lollarer Ortsbeirat die Abkehr von den »klassischen« Ferienspielen samt vieler Angebote von Vereinen und Drittanbietern erläutert. »Es gibt bei Ferienspielen zwei Teile«, sagt er. »Das, was man im Programm sieht - und wahnsinnig viel Aufwand im Hintergrund«, etwa dann, wenn Beiträge nicht gezahlt werden.

Der Jugendpfleger hielte wenig davon, wieder zur alten Form zurückzukehren. »Was wollen wir damit erreichen? Ein aufgeblähtes Angebot von 40, 50 Veranstaltungen würde ja nichts an der Nachfrage ändern. Wir hätten einfach viel mehr Arbeit - und daran mangelt es uns hier nicht.«

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