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»Etwas für die Region rausholen«

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Von: Jonas Wissner

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Nach Gesprächen auf Bürgermeister-Ebene zwischen Gießen, Fernwald und Buseck sollen bis zu sieben Windräder westlich der A 5 entstehen. Allerdings wären davon die Bürger der Uni-Stadt nicht direkt betroffen. Teils kritische Töne kommen nun aus dem Ortsbeirat Oppenrod. SYMBOLFOTO; DPA © DPA Deutsche Presseagentur

Ein Windpark ja - aber Region und Bürger müssen davon profitieren: Was die Verwaltungschefs von Buseck und Fernwald zu den Plänen sagen, die Gießens Bürgermeister am Dienstag öffentlich gemacht hat. Und wie es jetzt weitergeht.

Die Nachricht ließ aufhorchen: Der Gießener Magistrat hat am Dienstag bekannt gegeben, dass in einem Teil des Stadtwalds westlich der A 5 Windräder entstehen sollen. Angedacht ist ein interkommunales Projekt mit den Nachbargemeinden Fernwald und Buseck, die Grundsatzbeschlüsse stehen aber in allen drei Kommunen noch aus. Das Kuriose: Buseck und Fernwald wären im Gegensatz zur Uni-Stadt stärker betroffen. Zum einen stünden alle Windräder auf deren Gemarkung. Zum anderen wären sie von Gießen aus kaum sichtbar, würden aber für Teile der östlichen Nachbarkommunen einen optischen Einschnitt bedeuten.

Busecks Bürgermeister Michael Ranft und sein Fernwalder Kollege Manuel Rosenke bestätigen die Planungen auf GAZ-Anfrage. Man habe Wind von dem Vorhaben bekommen und sich besprochen, so Ranft. Dann sei es zu Gesprächen mit Gießen auf Bürgermeister-Ebene gekommen. »Wir haben gesagt: Es wäre schön, es interkommunal zu machen - wenn Oppenrod einverstanden ist«, berichtet Ranft. Wichtig sei ihm gewesen, »frühzeitig Gespräche zu führen«. Es gehe darum, einen Versuch der interkommunalen Beteiligung am möglichen Windpark zu unternehmen, statt sich »gegeneinander ausspielen zu lassen«. Rosenke betont, dass es wichtig sei, »etwas für die Region herauszuholen«. Sprich eine Bürgerbeteiligung zu ermöglichen und Pachteinnahmen für die Kommunen zu generieren.

Vorgesehen sind nach derzeitigem Stand sechs bis sieben Windräder, wobei sich ein Standort in Fernwalder Gemarkung in Privatbesitz befindet, zwei weitere im Gießener Stadtwald (Gemarkung Fernwald). Nur eine Anlage würde auf einem Areal errichtet, das der Gemeinde Fernwald gehört, zwei weitere auf Buse-cker Gebiet. Die exakten Standorte allerdings sind aktuell ebenso wenig fix wie die konkreten Ausmaße und Leistung der Anlagen, wobei Ranft von einer Höhe von mindestens 200 Metern ausgeht,

Der Busecker Rathauschef nimmt an, dass der Bau von Windrädern außerhalb des eigenen Kommunalwalds ohnehin nicht zu verhindern wäre. »Es handelt sich um eine Windvorrangfläche, der Eigentümer kann entscheiden«, wobei die gesetzlichen Abstandsregeln zu Siedlungen zu beachten seien.

Ihm schwebt nun ein Modell vor, bei dem vor allem die beteiligten Kommunen und deren Bürger profitieren. Dies erinnert an das Staufenberger Modell. Dort entstehen im Stadtwald zurzeit drei Windräder, die über die Energiegesellschaft Lumdatal (EGL) betrieben werden. Daran sind mehrere Kommunen beteiligt, auch Buseck. Außerdem können Bürger in absehbarer Zeit über die Busecker Genossenschaft »Sonnenland« Anteile zeichnen. So sollen Profite in der Region gehalten werden.

Ein ähnliches Verfahren könnte sich Ranft nun auch für die möglichen neuen Windräder vorstellen. Bereits im Januar und auch in dieser Woche habe er Gespräche mit »Sonnenland« geführt, sagt der Bürgermeister.

Will Ranft den Windenergie-Ausbau nahe Oppenrod politisch forcieren - oder wäre es ihm lieber, wenn dort keine neuen Anlagen entstünden? »Mit Blick auf die Energiekrise wäre es vorteilhaft für die Gesamtkommune«, denn so könne die Unabhängigkeit von fossilen Energieträgern und damit auch von Russland gesteigert werden, zudem eine Beteiligung Geld in die Gemeindekasse spülen, gibt er zu bedenken.

»Aber für Oppenrod wäre es natürlich ein Nachteil, es würde das Landschaftsbild massiv verändern«, sagt Ranft. »Da wird noch viel Diskussion sein.« Einen Vorgeschmack darauf gab es am Dienstagabend im Ortsbeirat Oppenrod, wo Ranft die Pläne angesprochen hat. »Ein schwieriges Thema«, berichtet Ortsvorsteherin Claire Blaschke (CDU) aus der Sitzung. »Wenn die Windräder kommen, wäre von unserem Wald nicht viel übrig«, sagt sie, denn auch für die Anlieferung von Teilen müssten Schneisen geschaffen werden. Zudem verweist sie auf möglichen Schattenwurf und Geräuschbildung.

Grundsätzlich, beschreibt Blaschke den Tenor im Ortsbeirat, sei man für den Ausbau erneuerbarer Energien offen, wolle etwas fürs Klima tun, sich nicht verweigern. »Aber wir wollen ernst- und mitgenommen werden.« Als sie aus der Zeitung erfahren habe, dass der Gießener Bürgermeister Alexander Wright die Idee vorgestellt und erwähnt habe, dass man die Windräder von Gießen aus kaum sehen werde, sei sie »empört« gewesen, so Blaschke. »Wenn es so klar formuliert wird, fühlt man sich schon ein bisschen getroffen.« Die Auswirkungen werde man stattdessen unter anderem in Oppenrod spüren.

Ganz glücklich war die Art der Präsentation durch Wright offenbar auch aus Ranfts Sicht nicht: »Es wäre schön gewesen, wenn wir einen gemeinsamen Termin gehabt hätten.« Dass der Gießener Magistrat mit den Plänen bald an die Öffentlichkeit gehen werde, habe er erwartet - doch dass dies im Rahmen einer Magistrats-Pressekonferenz geschehe, habe ihn etwas überrascht.

Von der Ortsbeiratssitzung abgesehen haben sich die Bu-secker Gremien noch nicht mit den Plänen befasst, auch im Gemeindevorstand waren sie laut Ranft bisher kein Thema. Aus seiner Sicht brauche es nun einen Grundsatzbeschluss zur Frage, »ob man es möchte oder nicht«. Die Gemeindevertretung soll sich noch vor der Sommerpause damit befassen. Für Gießen peilt der Magistrat einen solchen Parlamentsbeschluss Anfang Juni an.

In Fernwald ist im Gemeindevorstand bereits über das Vorhaben gesprochen worden. Der Kommune lägen Anfragen mehrerer Unternehmen vor, so Rosenke. Außerdem habe es im März einen konkreten Auftrag seitens der Mandatsträger gegeben, die Möglichkeit von Bürgerbeteiligungen an Windkraftanlagen zu prüfen und dazu Gespräche mit Genehmigungsbehörden und möglichen Projektierern zu führen. Die Initiative für das konkrete Vorhaben sei aber von Gießen ausgegangen.

Fernwalds Gemeindevertretung will Rosenke kommenden Dienstag informieren, in der nächsten Sitzungsrunde im Juni könnte dann der Grundsatzbeschluss fallen, um »die Legitimation für offizielle Gespräche zu haben«. Bei diesen gehe es dann darum, die Fakten abzuklopfen: Wo sollen die Windräder stehen, wie hoch werden sie sein, welche Leistung erbringen? Wie könnte ein Pachtvertrag aussehen, wie eine Bürgerbeteiligung? Erst wenn ihm konkrete Antworten auf diese und andere Fragen vorliegen, will er in die Ortsbeiräte und eine Bürgerinformationsveranstaltung gehen. An Letzterer führt für Rosenke kein Weg vorbei. »Das geht gar nicht ohne. Wir müssen ins Gespräch kommen«, sagt er. Eine breite Akzeptanz der Bürger sei enorm wichtig.

Vor vier Jahren war die Beteiligung Fernwalds an einem geplanten Windpark unter anderem daran gescheitert. Mit großer Mehrheit hatte das Parlament sich im Mai 2018 gegen den Abschluss eines Pachtvertrags mit den Investoren des Windparks Höhlerberg ausgesprochen. Zu stark war der Gegenwind aus der Gesellschaft gewesen. Zu laut, nicht schön anzusehen und schlecht für die Immobilienpreise lauteten damals die Argumente. Zudem wurden seitens der Politik ein schlechter Pachtvertrag und die fehlende Möglichkeit einer Bürgerbeteiligung kritisiert.

Inzwischen allerdings hat sich die politische Großwetterlage geändert: Der Ausbau der Erneuerbaren soll stärker forciert werden, nicht zuletzt mit Blick auf die Unabhängigkeit von Russland. Wann die Energiewende westlich der A5 konkrete Formen annimmt, ist aktuell aber offen.

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