1. Gießener Allgemeine
  2. Kreis Gießen

»Es ist uns ernst«

Erstellt:

Von: Jonas Wissner

Kommentare

jwr_Schamott18_110822_4c_2
Etliche Mitarbeiter der Mainzlarer »Schamott« - hier ein Foto aus der Formerei - wollen auf Dauer im Werk bleiben, manche überlegen noch. © Jonas Wissner

Aufatmen bei der Belegschaft der »Schamott«: Das Werk von RHI Magnesita wird auch in Zukunft betrieben - und für gut sieben Millionen Euro modernisiert. Was wird sich in der Produktion konkret ändern? Und warum ist die Reaktivierung des Bahnanschlusses für den Standort wichtig? Eine Werksbesichtigung in Mainzlar mit exklusiven Einblicken.

Die brütende Hitze macht auch vor dem Werkstor der Mainzlarer »Schamott« nicht halt. Und wer hier beispielsweise in direkter Nachbarschaft zum 150 Meter langen Tunnelofen arbeitet, der im Inneren Temperaturen bis zu knapp 1800 Grad Celsius erreichen kann, ist im Hochsommer eigentlich nicht zu beneiden. Doch hier beklagt sich zurzeit niemand. Die Stimmung in der Belegschaft wirkt gelöst, von Aufbruch geprägt, das ist vielen anzumerken.

Seit vergangener Woche ist es offiziell: RHI Magnesita schließt den Mainzlarer Standort nicht, wie einst geplant, zum Jahresende. Vielmehr gibt es nun eine Fünf-Jahres-Garantie, mindestens 7,2 Millionen Euro sollen in die Modernisierung der »Schamott« gesteckt, die Produktion erweitert, neue Mitarbeiter eingestellt werden. Was das für den Betrieb vor Ort konkret bedeutet und welche Herausforderungen damit einhergehen, haben Vertreter von Unternehmen und Belegschaft nun bei einem Gespräch mit der GAZ und einer Werksführung erläutert.

Bislang werden in Mainzlar feuerfeste Produkte aus Magnesit hergestellt - ein Rohstoff, der weltweit unter anderem in China und der Türkei, aber etwa auch in Österreich gewonnen wird. Zerkleinert und mit Beimischungen wird der Stoff in vor Ort gefertigte Formen gepresst, getrocknet und im Ofen gebrannt. Die in Mainzlar produzierten Topfgittersteine finden vor allem in der Glasindustrie Verwendung. Ab Anfang 2024 soll eine weitere Linie mit Produkten aus Dolomit hinzukommen, einer der beiden Tunnelöfen ist zurzeit außer Betrieb und wird dafür vorbereitet.

Auch die Abhängigkeit von Gas ist für den Konzern ein Thema. Laut Werksleiterin Birgit Bellgardt-Dolc werden die Öfen mit Erdgas betrieben, im Stammland Österreich laufe aber bereits ein Modellprojekt, um auf Propangas umzustellen. Mainzlar solle folgen. Ein Vorteil ist laut Produktionsleiter Michael Schneider, dass Dolomit und Magnesit aus eigenen Werken kämen, der Rohstoff-Nachschub gesichert sei. RHI will nun stärker auf Nähe zu Kunden setzen, insofern spreche auch die zentrale Lage für die »Schamott«. Die Produktion in Europa soll gestärkt werden.

Um den Wandel zu meistern, wird nun händeringend zusätzliches Personal gesucht. Es geht um etwa 40 Stellen in vielen Bereichen, auch die Ausbildung soll wieder gestärkt werden. Aktuell liegen laut Schneider 25 Bewerbungen vor. »Wir bieten unbefristete Jobs«, ergänzt Tim Steenvoorden, Vorstand der RHI Magnesita Deutschland AG, »es ist uns ernst.«

»Man kommt hier in eine kleine Familie rein«, wirbt Schneider, »jeder kennt jeden.« Das Wort Familie fällt bei diesem Besuch mehrfach. Auch Adam Janoszka verwendet es, um zu beschreiben, was ihm Belegschaft und Werk bedeuten. Als Bereichsleiter ist er unter anderem für den Ofenbetrieb zuständig - und nicht der Einzige aus seiner Familie, der hier arbeitet. Viele sind in zweiter oder dritter Generation dabei. »Als ich hier angefangen habe, dachte ich: Das Betriebsklima ist einmalig!«, sagt Janoszka.

Doch wie hat er die letzten zwei Jahre erlebt, in denen insgesamt sechs Schließungsdaten im Raum standen, Hoffen auf und Bangen um den Standorterhalt sich abwechselten? »Als es darum ging, dass wir vielleicht schließen, war das sehr traurig, bedrückend«, sagt er. »Jetzt die Wende - das ist Wahnsinn! Es ist noch nicht so richtig bei mir angekommen.«

Wie etliche Kollegen, hatte auch der ausgebildete Keramikmeister sich bereits nach anderen Jobs umgeschaut - nun ist er froh, bleiben zu können. Doch nicht alle werden hier weitermachen: Von noch etwa 80 Beschäftigten werden wohl 45 bleiben, 17 zumindest verlängern, um neue Kräfte einzuarbeiten. Bis Ende August haben sie Bedenkzeit - und das Unternehmen hofft, manche noch überzeugen zu können. Vielfach wird die Qualität der Arbeit und die Motivation des Teams vor Ort gelobt.

In den weitläufigen Hallen der verschiedenen Bereiche des Werks muss man teils genau hinschauen, um einen Menschen zu erblicken. Von den Tunnelöfen über die Abgasreinigung bis hin zur Palettierung der Endprodukte - vieles läuft hier längst automatisiert.

Aktuell werden die Rohstoffe für die »Schamott« per Lkw angeliefert, die feuerfesten Produkte verlassen das Werk ebenfalls über die Straße. Erst vor ein paar Jahren war der hiesige Gleisanschluss stillgelegt worden. Doch inzwischen hat ein Umdenken eingesetzt, wie Steenvoorden unterstreicht: »Der Trend geht klar Richtung Bahn.« Laut dem Produktionsleiter werden sich die anzuliefernden Rohstoffmengen massiv erhöhen, »dann müssen wir auf die Schiene«.

Aus Sicht des Unternehmens sei die Wiederinbetriebnahme der gut vier Kilometer langen Gleisverbindung von Lollar hierher dringend notwendig, sagt Steenvoorden - auch mit Blick auf Nachhaltigkeit, da sei RHI Magnesita »Vorreiter« in der Feuerfest-Industrie. Die Signale aus der Landespolitik seien positiv, ein Gespräch mit der Leitung der Hessischen Landesbahn gut verlaufen - und man sei dankbar für Unterstützung, etwa von Landrätin Anita Schneider und Staufenbergs Bürgermeister Peter Gefeller. »Aber wir brauchen es offiziell, wir warten jetzt ganz klar auf die Politik.« Steenvoorden weiter: »Ab Anfang 2024 muss es über das Gleis gehen.« Für Ende August sei nun ein Gespräch zwischen Land und Kommune angedacht.

Merklich stolz deutet Produktionsleiter Schneider in den Lokschuppen am Ende des schlummernden Gleises nahe der Lkw-Verladestelle. Eine Diesel-Lok kommt zum Vorschein. »Wir haben hier Leute, die sie fahren dürfen«, sogar ein ausgebildeter Eisenbahn-Betriebsleiter zähle zur Belegschaft. Schneiders Botschaft: »Wir sind vorbereitet!« Doch für das inaktive Gleis der Lumdatalbahn (siehe Text unten) jenseits des Zaunes seien eben andere verantwortlich.

Nach dem langen Hin und Her um die Schließung richtet sich der Blick nun nach vorn. »Wir lassen die Vergangenheit ruhen, arbeiten zukunftsorientiert«, sagt Produktionsleiter Schneider. »Zurückschauen ist nur ein Zeitfresser.«

Auch interessant

Kommentare