Ein Sommer, der nicht verwöhnt
Wer am Wochenende das Gießener Land durchstreifte, dem wird es aufgefallen sein: Die Erntesaison nähert sich der Hochphase. Allerdings setzten kräftige Schauer am Sonntagmittag dem Einbringen der Frucht ein jähes Ende. Also hieß es aufs Neue: Warten auf sonnige Tage. »Nur nicht nervös werden«, lautet da der Rat des Bauernverbandes.
Dass die Ernte 21 dem Stop-and-Go-Verkehr am Frankfurter Westkreuz ähnelt, bestätigt Manfred Paul, Vorsitzender des Kreisbauernverbandes Gießen/Wetzlar/Dill. »Es läuft alles sehr schleppend, Und so wie es aussieht, ist es damit auch noch nicht fertig«, sagt Paul, um mit dem gleichen Atemzug anzufügen, dies sei nun mal wieder ein normaler Sommer.
Die letzten drei Jahre seien die Kollegen verwöhnt worden: Trockenheit, pure Sonne, um zehn mit dem Mähdrescher raus, wie der Nachbar Feierabend statt in der Dunkelheit noch auf dem Mähdrescher. In dieser Erntesaison allerdings, da immer wieder von Niederschlägen ausgebremst, könnten Nachtschichten wieder angesagt sein.
Erst zwei, drei Wochen später als üblich konnten hierzulande viele Landwirte damit beginnen, die Frucht vom Feld zu holen. Starkregen Anfang Juli hatte die Böden aufgeweicht, vielerorts hatte der Wind die Wintergerste - nach der Hitzeperiode im Juni zu früh abgereift - großflächig umgedrückt. Ertragsminderungen waren die Folge. Paul macht an dieser Stelle allerdings auf die regionalen Unterschiede aufmerksam: In seiner Heimat rund um Villingen habe man zum Glück keine »Lager«, also gefallene Bestände gehabt. Das aber sei eine Ausnahme.
Häufiger Regen: Mais profitiert
Am heftigsten vom zu feuchten Sommer betroffen seien die Bio-Betriebe. Auf ihren Getreidefeldern komme der Grünwuchs durch, drücke die Frucht zusätzlich runter. »Da wird irgendwann nichts mehr zu ernten sein.« Insgesamt aber zeigt sich Paul optimistisch, dürfe man doch trotz aller Wechselhaftigkeit des Wetters mit den Erträgen an Wintergerste doch zufrieden sein.
An nachfolgende Kulturarten warten nun Sommergerste und Winterweizen auf die Drescher. »Beide haben etwas geblendet«, erinnert der Verbandssprecher an die Hoffnungen auf eine Rekordernte, geweckt durch die guten Vegetationsbedingungen im Frühjahr. Am Ende zu viel Feuchtigkeit, zu wenig Sonne und Wärme, dazu noch der Hitzestau im Juni aber verhinderte, dass die Körner ihr Endgewicht erreichten. Doch warnt Paul auch bei diesen Kulturen vor Übertreibungen, rechnet er doch mit einer normalen Ernte in einem wieder mal normalen Sommer.
Beim Weizen allerdings hätte es ohne die bei der feuchten Witterung gebotene Pilzbekämpfung »ganz traurig« ausgesehen. »Dann hätte vieles nur noch für die Biogas-Anlage getaugt.«
Paul macht nun auf ein grundsätzliches Problem des feuchten Sommers, für Bio- wie konventionelle Betriebe, aufmerksam: »Nicht trockenes Getreide wird minderwertig abgerechnet.« Da eine maschinelle Trocknung teuer ist, rät er Kollegen vor allem eines: »Die Nerven behalten und auf gutes Wetter warten. Mein Vater hat schon gesagt: ›Stehen geblieben ist noch nie was.‹«
»Etwas geschwächelt« hat 2021 der Raps. Für die im Gießener Land auf vielen Hundert Hektar angebaute Ölsaat war es eher suboptimal. Doch wird laut dem Kreisverbandssprecher auch hier der grüne Bereich, heißt ein Ertrag von 3,5 Tonnen je Hektar, erreicht. Alles andere als schwach kommt dagegen der Silo-Mais daher. »Warm und Wasser, das ist sein Ding. Teilweise steht er 3,50 Meter hoch.«
Zupass kommt der häufige Regen ebenso der Hirse und den Rüben. Zwar sei ob der fehlenden Sonne der Zuckergehalt wohl niedriger, aber die Menge werde das ausgleichen, meinte Paul. Für den ängstlichen Blick auf den Regenradar ist es hier eh noch zu früh - erst Mitte Oktober schließlich steht bei den süßen Hackfrüchtchen die Ernte an.