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Ein Schloss, ein Fluss und ein Riesenchaos

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Von: Burkhard Bräuning

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Die Brücke führt in die Hungener Schweiz. Und Ulla Sommerlad kennt den Weg. © Burkhard Braeuning

Wieder Ortstermin mit Ulla, diesmal ohne Suse. In Allerherrgottsfrüh treffen wir uns auf dem Marktplatz in Hungen. Wir wollen in die Hungener Schweiz - und Ulla soll erzählen, wie die Stadt so ist.

Ulla lässt sich nicht lange bitten: »Hungen hatte lange das Image eines hässlichen Entleins, hat sich aber in den letzten Jahren sehr gut entwickelt, richtig fein gemacht. Das sagen auch Leute, die in Hungen wohnen. Man muss nur ein bisschen genauer hinschauen, um die schönen Plätze zu entdecken, aber sie sind da, und sie sind wirklich besonders.« Wir fangen gleich damit an, laufen rüber zum Schloss, kommen auf dem Weg dahin an der Stadtkirche und am Pfarrhaus vorbei. Das ist doch schon mal ein sehr schönes Ensemble. Und schon sind wir auf dem Schlossgelände. Toll! Wirklich toll! Wenn man im Kreis wohnt, weiß man ein bisschen was über das Schloss. Aber Ulla kennt Details und die Website des »Freundeskreises Schloss Hungen« liefert weitere Informationen. 1974 bot Hans Georg Graf von Oppersdorff das baufällige Schloss dem Gießener Professor Adolf Hampel, der bereits mit seiner Frau Renate Hampel-Freese und Familie im Torbaugebäude wohnte, als Geschenk an. Eine Gruppe von interessierten Personen gründete eine Eigentümergemeinschaft, die bald mit der Sanierung, Restaurierung und Instandsetzung der Schlossanlage begann. Ein lobenswertes Projekt! Heute leben mehr als 40 Personen in den 23 Eigentumswohnungen im Schloss. Sie nutzen die zusätzlichen Gemeinschaftsräume, das Außengelände und den Schlossgarten auf dem Anwesen. Der Freundeskreis bietet zudem kulturelle Veranstaltungen im Blauen Saal und Ausstellungen im »Pferdestall« an. Der Garten ist jedermann offen.

»Im Obergeschoss des Schlosses hat man übrigens einen herrlichen Blick über die Stadt«, sagt Ulla. Aber man kann da nicht so einfach rauf.« Schade, aber verständlich. Wir hätten so schöne Fotos machen können. »Wo gehen wir jetzt hin?« »In die Hungener Schweiz«, sagte Ulla. Hungener Schweiz? Berge sind keine zu sehen. Aber die Aue ist lieblich, vielleicht deshalb der Name. Und schon tauchen wir ein in dichtes Grün. Bäume, Sträucher und Brennnesseln säumen den Weg, links von uns fließt die Horloff träge dahin. Sie kann auch anders. Die Menschen in Hungen und vor allem in den südlichen Ortsteilen wissen das. Hochwasser an der Horloff ist ein Dauerthema.

Wir laufen Richtung Süden. Und Ulla erzählt: »Die Umstrukturierung und Sanierung der Innenstadt hat in Hungen erst in den 1990er Jahren begonnen. Bei einem meiner ersten Termine in der Stadt ging es um die Sanierung der Grundschule am Zwenger. Später, als die Hauptstraßen der Innenstadt aufgerissen wurden, wurde das zu einem Drama für die Geschäftswelt. Über zwei Jahre wurde gebaut. Das lag auch daran, dass die Denkmalschutzbehörde einen Baustopp verhängt hatte. Die Folgen des Projekts: Riesenchaos, Lärm, keine Bürgersteige. Ulla: »Es war der pure Horror.« Nicht alle Geschäfte haben das überlebt. Und das hängt der Stadt heute noch nach.

Zweites großes Thema war die Umgehungsstaße im Süden. Auch hier wurde ewig gebaut, unter anderem, weil mehrere große Brücken errichtet werden mussten. Schon das Genehmigungsverfahren hatte lange gedauert. Die Bewohner des Römerviertels fürchteten den Lärm und man verbaute ihnen den schönen Blick in die Natur. Letztlich wurde das Projekt aber umgesetzt.

Ein Desaster auf ganzer Linie war für viele der Beteiligten die Einführung der wiederkehrenden Straßenbeiträge, die erst von Teilen der Bevölkerung befürwortet und dann wieder gestoppt wurden, weil manche erkannt hatten, dass das teuer für sie wird. Die Bürgerinitiative, die sich gebildet hatte, holte bei der Kommunalwahl 22,9 Prozent der Stimmen.

Auch in Hungen wird Kultur großgeschrieben, auch hier gibt es Menschen, die etwas aus ihrer Stadt machen wollen. Und auch in den Stadtteilen gibt es viele Initiativen. Zuletzt wurde die wertvolle Arbeit von Ehrenamtlichen aber mit Füßen getreten: das Naturschutzzentrum im Bahnhof in Trais-Horloff wurde nach einem Einbruch total verwüstet.

Und es gäbe noch sooo viel zu erzählen. Über die Frontenbildung zwischen den Grünen und den Bauern. Der Konflikt wird bis ins Parlament getragen. Hungen hat noch einen Stadtschäfer, das Schäferfest, und eine Käsescheue - Stoff für ganze Zeitungsseiten. Nur das noch: Einmal war Hungen bundesweit in den Schlagzeilen. Das war 1987, da war Ulla noch nicht in der Stadt unterwegs. Die Nachricht, dass verstrahltes Molkepulver bei der Molkerei Moha in Hungen entseucht werden sollte, trieb die Bürger auf die Barrikaden. Es wurde ein langer Kampf, der letztlich gewonnen wurde.

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