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»Ein Roter, doch ein Sanfter«

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Von: Jonas Wissner

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Ein Genosse in dritter Generation: Erich Hof in seinem Großen-Busecker »Parteibüro«. Nicht ohne Stolz präsentiert er eine SPD-Urkunde von 1954, die seinen Großvater für 60 Jahre »bewiesene Treue und Mitarbeit« würdigt. Hofs Töchter und eine Enkelin führen die Tradition fort. FOTO: JWR © Jonas Wissner

Sein Großvater hat die SPD einst in Alten-Buseck aus der Taufe gehoben, er selbst ist seit Jahrzehnten eine treibende Kraft der Partei an der Basis. Nun zieht sich Erich Hof nach 33 Jahren aus der Busecker Gemeindevertretung zurück. Ein Porträt eines kritischen Genossen.

Es war das leise Ende einer Ära: Während der Gemeindevertretersitzung am 19. Mai schreitet Erich Hof - wie gewohnt gemessenen Schrittes - nach vorn, legt dem Parlamentsvorsitzenden Eckhard Neumann einen Zettel hin. Er wolle eine »persönliche Erklärung« abgeben, hatte Hof geschrieben. Neumann und Bürgermeister Michael Ranft schauen sich verdutzt an. Es folgt eine faustdicke Überraschung: Nach 33 Jahren legt der 77-Jährige sein Mandat nieder - vor allem, weil es mit dem Hören zunehmend schwieriger werde. Dann gibt es Glückwünsche, aber nur improvisiert.

Seine Fraktion war informiert, »aber dass die anderen sich nicht darauf einstellen konnten, sehe ich im Nachhinein als Fehler an«, blickt Hof auf diesen Moment zurück. Warum hat er nicht früher Bescheid gesagt? »Tja«, sagt Hof und lehnt sich am Küchentisch gemächlich zurück, »ich verfahre nach dem Motto: ›Mehr sein als scheinen‹.«

Der Rücktritt sei ihm »ziemlich schwergefallen«. Auch, weil er fürchte, dass die SPD-Fraktion seinen politischen Kurs - »grün-links« - etwas aus den Augen verlieren könnte. Hofs Herzensthema ist die Mobilitätswende. Regelmäßig hat er in Anfragen an die Verwaltung nachgehakt, wie der Stand von Verhandlungen mit der Bahn mit Blick auf Haltepunkte ist und wie es mit Radweg-Projekten vorangeht.

Weil er sich für mehr Schienenverkehr einsetzt, werde er oft für einen alten »Eisenbahner« gehalten, sagt Hof. Zwar war er nicht bei der Bahn beschäftigt, doch Züge haben ihn geprägt: Vor seinen 37 Jahren bei der Telekom war der Diplom-Verwaltungswirt unter anderem bei der »Bahnpost«. Hof fuhr, häufig nachts, mit Postzügen zwischen Frankfurt und Basel hin und her, kümmerte sich um Sendungen. »Ich möchte unterstreichen: Das war früher sehr umweltfreundlich, alles mit der Bahn zu befördern.« Er verschränkt die Arme, lehnt sich abermals zurück. »Das hat sich zum Schlechten gewandelt.«

Während des Gesprächs lugt ein SPD-Kuli aus Hofs linker Hemdtasche hervor. Doch der 77-Jährige würde längst nicht alles unterschreiben, wofür seine Partei in den vergangenen Jahrzehnten stand oder heute steht. Ihm gehe es vor allem auch um die »kleinen Leute«, betont er. Für manch andere Partei und während der Ära Schröder teils auch für die SPD stünden dagegen die »Interessen der Reichen und Raffer« im Vordergrund.

Einst, findet Hof, habe SPD-Kanzler Schmidt mit seiner Verteidigungspolitik der Gründung der friedensbewegten grünen Partei Vorschub geleistet. Gut 20 Jahre später habe die umstrittene Sozialpolitik von Rot-Grün der Linken mit zur Gründung verholfen. »Ich empfinde es als Manko, dass Linke und Grüne heute in der SPD kaum noch zu finden sind«, moniert er.

Mit einem Kanzler Erich Hof hätte die SPD wohl weiter links gestanden. Doch höhere Ämter, sagt er, habe er nie angestrebt, stattdessen viele Funktionen auf kommunaler Ebene übernommen (siehe Kasten). »Gründliches und solides Wirken an der SPD-Basis« - das sei ihm wichtig.

Wie tief Hof in der SPD verwurzelt ist, wird im Zimmer gegenüber der Küche spürbar. Grob eine Stunde pro Tag arbeite er hier im »Parteibüro«, sagt er. Der Computer dient als »Schreibmaschinen-Ersatz«, weniger als Tor zum Internet. Auf Plakaten grüßen Genossen von Willy Brandt bis Martin Schulz. Jahrzehnte sozialdemokratischer Geschichte liegen in der Luft.

Sichtlich stolz nimmt Hof eine Urkunde von der Wand. Sie wurde 1954 ausgestellt, attestiert dem Genossen Kaspar Hof 60 Jahre »bewiesene Treue und Mitarbeit«. 1894 hatte Hofs Großvater die SPD Alten-Buseck mitgegründet. Dessen Sohn Wilhelm Hof war Rechner des SPD-Ortsvereins, als 1933 die Nazis die Macht übernahmen. »Während der NS-Zeit hat er die SPD-Kasse vergraben und nicht wieder rausgerückt«, erzählt sein Sohn verschmitzt lächelnd. Zum Glück sei sein Vater von Verfolgung der Faschisten weitgehend verschont geblieben.

Sohn Erich trat allmählich in diese Fußstapfen. Dass er die mittlere Reife an der Roten Schule in Wieseck erworben hat, ist allerdings kein Bekenntnis - sie war nicht etwa eine linke Kaderschmiede, sondern erhielt ihren Namen der roten Backsteinwände wegen. Als Jugendlicher ging Hof in seinem Heimatort Alten-Buseck von Haus zu Haus, holte einmal im Monat die Mitgliedsbeiträge in bar ab. So lernte er viele Genossen kennen - und hatte auch schon früh Kontakt mit anderen späteren Kommunalpolitikern: »Mit Erhard Reinl habe ich als Kind des Öfteren im Sandkasten gespielt.«

Die Bundesrepublik war noch jung, die Spuren des Krieges allgegenwärtig. »Ich habe Gießen als kleines Kind noch in Trümmern gesehen«, sagt Hof mit bitterem Gesichtsausdruck. »Das war ein bleibender Eindruck.« Als Dreizehnjähriger habe er in der Südanlage am Wegesrand gestanden, als Gießen wieder Garnisonsstadt wurde und Soldaten der neu gegründeten Bundeswehr marschierten. »Da gab es leidenschaftlichen Protest einiger älterer Männer, sie waren zum Teil kriegsgeschädigt.« Erinnerungen, die sich tief eingebrannt haben.

Das Motiv des »Nie wieder« geriet für Hof neben der familiären SPD-Tradition zur Triebfeder, sich zu engagieren - und zu protestieren: Mit ruhiger, bedächtiger Stimme, aber leuchtenden Augen berichtet er von Ostermärschen in Gießen und einer Groß-Demo in Bonn Anfang der 80er gegen den NATO-Doppelbeschluss.

1989, im Jahr des Mauerfalls, zog Hof erstmals in die Bu-secker Gemeindevertretung ein. Im Grunde habe sich das Prozedere dort über die Jahre nicht groß gewandelt - wobei die »große Politik« früher noch stärker außen vor geblieben sei. Ein generelles Manko sieht Hof in der aus seiner Sicht mangelnden Umsetzung von Beschlüssen. Damit dauere es oft lang, doch das könne man keinem Einzelnen vorwerfen - die Kapazitäten in der Verwaltung seien eben begrenzt.

Vor vielen Jahren ist Hof nach Großen-Buseck umgezogen, führt seit 1975 mit kurzen Unterbrechungen den dortigen SPD-Ortsbezirk. Mit allem, was dazugehört: Hände schütteln, Ehrungen vornehmen, Kranken- und Geburtstagsbesuche absolvieren - »ja, das ist ganz wesentlich«, findet er. »Da lasse ich mich von niemandem übertreffen.«

Bezeichnend ist Hofs Antwort auf die Frage nach seinen Hobbys: Er zückt ein A4-Blatt, zählt seine Ehrenämter und Mitgliedschaften auf - von der AWO über die Gewerkschaft bis zum Elternbund Hessen und dem Fahrgastverband Pro Bahn und Bus. Andere würden vielleicht eher privates Vergnügen nennen, Fußball oder Gartenarbeit zum Beispiel. »Gesellschaftliches Engagement ist mein Haupt-Hobby«, sagt Hof. Aus manchem Mund würde das eitel klingen. Bei ihm wirkt es ehrlich.

Ein ganz privates Hobby fällt ihm doch noch ein: »Ich mache über 80 Prozent meiner Bewegungen mit dem Fahrrad«, das halte ihn fit. »Und mit der Familie sind wir immer mit der Bahn in Urlaub gefahren.« Hof und seine Ehefrau gehen der diamanten Hochzeit entgegen. Er hat drei Kinder, beide Töchter engagieren sich ebenfalls in der SPD, eine davon in der Busecker Fraktion. Und Hof ist stolz darauf, dass auch seine älteste Enkelin inzwischen Genossin ist - in fünfter Generation.

Zurück zu seinem Abschied vom Parlament: »Ein Roter, doch ein Sanfter verabschiedet sich von euch«, hatte er sich im Mai ans Plenum gewandt. Da ist was dran. Zwar sei »die Ruhe, die ich nach außen vermittle, innerhalb teils nicht gegeben«. Aber: »Hitzige Emotionen hochkochen - das ist nicht meine Art.« Das überlässt er anderen. Wie es im Parlament läuft, will Hof künftig als Zuschauer verfolgen. Seinen Sitz im Ortsbeirat möchte er bis 2026 behalten. Genosse Erich tritt kürzer, aber nicht ab. Die »Kleinarbeit« im »Parteibüro« gegenüber der Küche geht weiter.

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