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Der Ärztliche Bereitschaftsdienst in Lich wird geschlossen: Dies sei „ein Riesenfehler“

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Von: Ursula Sommerlad

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Dieses Bild hat bald Seltenheitswert. Ab kommenden Montag bleiben die Türen des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Lich für immer geschlossen. © Ursula Sommerlad

Über die Schließung des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Lich sind viele unzufrieden. Es könnte passieren, dass das Krankenhaus dadurch überlastet wird.

Lich – Viele haben sich für den Erhalt des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes am Standort Lich eingesetzt. Alle sind mit ihren Bemühungen gescheitert. Auch auf Kompromissvorschläge wollte sich die Kassenärztliche Vereinigung Hessen nicht einlassen.

Die Eingangstür ist an diesem heißen Mittwochnachmittag weit geöffnet. Draußen hängt ein Schild mit den Öffnungszeiten. Drinnen spricht ein Patient am Empfangstresen vor. Er wird einer der letzten sein, der den Ärztlichen Bereitschaftsdienst (ÄBD) in Lich in Anspruch nehmen kann.

Schließung des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Lich: Grund sei Frequenzierung

Vom kommenden Montag (20. Juni) an bleibt der Standort in den Räumen der Asklepios-Klinik, der letzte seiner Art außerhalb von Gießen, für immer geschlossen. So hat es die Kassenärztliche Vereinigung Hessen (KVH) mit Verweis auf geringe Frequentierung beschlossen. Eine Entscheidung, die bei den Verantwortlichen aus Politik, Kommunen und nicht zuletzt der Asklepios-Klinik auf Unverständnis stößt. Klinik-Geschäftsführer Fabian Mäser rechnet mit einer spürbaren Verschlechterung der medizinischen Versorgung in der Region.

Im Interview beantwortet der ärztliche Direktor einer Klinik in Lich bei Gießen, wie sie einer möglichen Corona-Welle im Sommer entgegenwirken und die Lage einschätzen.

Zwischen Alsfeld, Nidda, Bad Nauheim und Gießen entstehe ein „luftleerer Raum“, sagte er am Mittwoch (15. Juni) in einer Pressekonferenz. Die Folge: Rettungsdienste und die Zentrale Notaufnahme des Licher Krankenhauses würden künftig noch mehr als bisher von Patienten in Anspruch genommen, die eigentlich in der ambulanten Versorgung richtiger aufgehoben wären.

Es wurde versucht, die Schließung des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Lich zu verhindern

Landrätin Anita Schneider schilderte die Bemühungen, die KVH von ihren Plänen abzubringen und verwies nicht zuletzt auf ein Gespräch, das sie und Mäser mit dem KV-Vorstand geführt haben.

Die Zahlen aus dem Jahr 2019, die dabei präsentiert wurden, haben die Landrätin und den Klinik-Chef nicht überzeugt. Sie machten sich für eine neuerliche Evaluierung stark, um auch die Auswirkungen der Pandemie einschätzen zu können. Um der KVH entgegenzukommen, habe man Kompromissvorschläge unterbreitet. Sie reichten von Zugeständnissen bei der Miete über reduzierte Öffnungszeiten bis zu personeller Unterstützung durch die Klinik. Doch die KVH blieb bei ihrem Nein.

Sozialministerium hilft nicht: Schließung des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Lich ist ungewollt

Auch vom Hessischen Sozialministerium, das der Landkreis eingeschaltet hatte, kam keine Hilfe. Der Ärztliche Bereitschaftsdienst falle unter die Selbstverwaltung, hieß es aus Wiesbaden. Zudem verwies die Behörde auf geringe Nutzerzahlen am ÄBD-Standort Lich zwischen November 2021 und Januar 2022. „Diese Zahlen liegen uns nicht vor“, merkte die Landrätin in der Pressekonferenz dazu an.

Sie rechnet für die Zukunft mit steigenden Zahlen im Rettungsdienst. „Das ist die Erfahrung, die wir nach der letzten Schließungswelle gemacht haben“, sagte sie mit Blick auf das Jahr 2017. Damals hatte die Kassenärztliche Vereinigung bereits die Bereitschaftspraxen in Grünberg, Linden und Lollar aufgegeben.

Schließung des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Lich: Mögliche Schwierigkeiten in Notaufnahmen

Auch Dr. Daniela Heß, die Leiterin der Zentralen Notaufnahme an der Asklepios-Klinik, befürchtet negative Auswirkungen für ihr Team und dessen Patienten. Bereits jetzt sei lediglich bei 35 Prozent der Menschen, die in der Notaufnahme vorstellig werden, eine stationäre Aufnahme erforderlich. Alle anderen seien in ambulanten Strukturen besser aufgehoben. Heß befürchtet, dass der Anteil von Patienten, die beispielsweise mit Rückenschmerzen oder einem verletzten Zeh im Krankenhaus Hilfe suchen, nach der Schließung des ÄBD weiter steigen wird. „Damit werden die Ressourcen in der Notaufnahme für jene Patienten, die sie wirklich brauchen, weiter beschnitten.“

Deutliche Kritik wurde in der Pressekonferenz an der Kommunikation der Kassenärztlichen Vereinigung laut. „Die Bürgermeister der betroffenen Kommunen haben von der Schließung aus der Zeitung erfahren“, bemerkte der SPD-Bundestagsabgeordnete Felix Döring. Er zieht in Zweifel, ob die KVH nach dem Wegfall des Licher Standorts die für die ambulante Versorgung geforderten Standards noch einhalten kann. Eine 50-minütige Autofahrt zum Bereitschaftsdienst in Gießen falle nicht mehr unter den Begriff „zumutbar“.

„Einstimmige Unzufriedenheit“ über Schließung des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes in Lich

Frustriert zeigten sich die Bürgermeister der betroffenen Kommunen. „Die Menschen im ländlichen Raum sind die Leidtragenden“, konstatierte Dr. Julien Neubert (Lich). „Wir investieren vor Ort in die Verbesserung der Versorgungsstrukturen und dann passiert so etwas.“ Sein Reiskirchener Kollege Dietmar Kromm kommentierte: „Die KV macht einen Riesenfehler.“

Auch der Sozialausschuss des Kreistages nahm von Landrätin Anita Schneider am Mittwoch (15. Juni) den Bericht über die erfolglosen Bemühungen zum Erhalt des ÄBD entgegen – und verzichtete angesichts der derzeit nicht zu ändernden Situation auf eine weitere Aussprache dazu. Der stellvertretende Ausschussvorsitzende Arne Krause fasste es in zwei Worten zusammen: „Einstimmige Unzufriedenheit!“ (Ursula Sommerlad)

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