Ein Loch im grünen Grunde
Heute ist Papier leicht zu bekommen. Einst war es kostbar und wurde in Handarbeit hergestellt. Bei Ober-Bessingen an der Wetter befand sich eine Papiermühle, um die sich zahlreiche Geschichten ranken. Die letzte Spur des verschwundenen Gebäudes ist ein Kellergewölbe.
Am Wetterufer auf halber Strecke zwischen Münster und Ober-Bessingen steht ein Monolith. »Standort der Papiermühle« ist darauf zu lesen. Dies stimmt allerdings nur ungefähr, denn das Mühlengebäude stand ein ganzes Stück entfernt, ist jedoch mittlerweile beinahe komplett verschwunden.
Es ranken sich viele Geschichten um die Papiermühle. Die Ahnen des Henkel-Konzerns sollen dort gelebt, später dann das »Steinchesweibchen« hier sein Unwesen getrieben haben.
Fest steht, dass die Papiermühle erst nach dem Dreißigjährigen Krieg entstand. Zuvor hatte sich ausgangs der Steines-Schlucht eine Waldschmiede mit Hammerwerk befunden, die jedoch die Kriegswirren nicht überstanden. Dies berichtete vor fünf Jahren der Laubacher Heimatforscher Dr. Ulrich Kammer bei einem Vortrag.
Henkel-Ahnen aus der Rabenau
Irgendwann danach muss die Papiermühle errichtet worden sein. Aktenkundlich belegt ist, dass Johann Georg Illig sie zur Zeit des Siebenjährigen Kriegs (1756 bis 1763) von seinem Vater übernahm. Er hatte vier Söhne, die die Mühle gemeinsam weiterbetrieben.
Eine Papiermühle war damals ein einträgliches Geschäft. Nur mit der Konzession des jeweiligen Landesherren durfte sie errichtet werden. Zudem war eine jährliche Gebühr für die Wassernutzung zu zahlen. Ein wichtiger Rohstoff für die Papierherstellung waren alte Lumpen. Auch für das Sammeln dieses Vorprodukts wurden von den Fürsten Konzessionen vergeben.
Die Lumpen wurden gereinigt, fein zerkleinert und zu einem groben Brei zermalmt. Aus der Bütte wurde mit Siebdraht, der auf einen Rahmen gespannt war, schließlich das Papier geschöpft. Dabei wurde auch das Wasserzeichen erzeugt, welches die Herkunft des Papiers anzeigte - ein Markenzeichen.
Kammer hat herausgefunden, dass Ober-Bessinger Papier mit verschnörkelten Formen der Buchstaben HMK, PCK, ILK und IGI gekennzeichnet wurde - je nachdem, wer gerade die Mühle besaß. Das Papier von der Wetter soll international begehrt gewesen und selbst bis nach Budapest gehandelt worden sein.
International bekannt ist der Henkel-Konzern. In Ober-Bessingen hielt sich lange Zeit das Gerücht, dass die Ahnen des Firmengründers von der Papiermühle stammen würden. Diese Zeitung recherchierte vor einigen Jahren und stellte fest, dass es zwar verwandtschaftliche Beziehungen gibt. Die Oma des Firmengründers Friedrich Karl Henkel, Wilhelmina Jüngst geb. Dornemann, wurde tatsächlich in einer mittelhessischen Papiermühle geboren. Diese steht jedoch an der Lumda in der Rabenau. Dornemanns Oma war die Schwester von Johann Heinrich Illig, dessen Nachfahren die Ober-Bessinger Mühle übernahmen. Eine direkte Verbindung zu den Henkels gibt es also nicht.
Die Industrialisierung machte den Papiermühlen im 19. Jahrhundert zunehmend zu schaffen. Die handgeschöpften Papiere wurden aufgrund ihrer Qualität zwar gelobt - aber die meisten Mühlen von der Massenproduktion verdrängt. Mancher Müller nahm sich deshalb sogar das Leben, wie alte Berichte zeigen.
1856 ging mit Friedrich Jakob Dornemann an der Wetter der letzte Papiermacher seiner Arbeit nach. Als er eines natürliche Todes starb, endete der Betrieb. Seine Witwe Katharina Schmidt lebte als »Papiermüllersche« weiter in dem dem Verfall preisgegebenen Mühlenkomplex. 1905 gab es Pläne zweier Geschäftsleute, hier ein Wasserkraftwerk zu errichten. Die 1907 gebaute Fernwasserleitung Lauter-Bad Nauheim reduzierte jedoch den Pegelstand der Lauter und Wetter deutlich und grub den Mühlen entlang des Bachs das Wasser ab. Die Mühlenbesitzer erhielten eine Entschädigung, das Elektrizitätskraftwerk war damit aber gescheitert.
Bei der Flurbereinigung 1916 ging das Grundstück in den Besitz der Gemeinde über, 1920 pachtete das Basaltwerk Gießen das Areal und eröffnete einen Steinbruch, der bis 1953 betrieben wurde. Das gewonnene Material wurde über die Bahnstrecke Lich-Grünberg abtransportiert.
Die Mühlengebäude verschwanden spätestens bei diesem Abbau, da das Areal als Abraumhalde genutzt wurde. Nur ein Keller überstand diese wilde Zeit. Vor zwei Jahren wurde er freigelegt, ist mittlerweile jedoch wieder vom Unterholz verschluckt und der Weg dorthin unpassierbar geworden. Ob er einmal touristisch genutzt wird - der Lutherweg läuft nur wenige hundert Meter entfernt - oder ein Fledermausquartier wird, ist noch unklar.