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Ein guter Freund - und ein Mörder?

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Von: Ursula Sommerlad

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Wer hat Daniel M. an einem dunklen Abend auf einer Hofreite bei Hungen erschossen? Diese Frage versucht die 5. Große Strafkammer seit bald elf Monaten zu klären. Jetzt rückt der Urteilsspruch näher.

In ihrer Sturm-und-Drang-Zeit in den 90er Jahren waren die beiden Männer enge Freunde. Man ging gemeinsam aus, man sprach über alles Mögliche. »Wir waren recht dick«, sagt Andreas B. rückblickend über seinen Jugendfreund Olaf. Dass der einen Mord begangen haben könnte, kann sich der 48-Jährige immer noch nicht vorstellen. Doch wegen genau dieses Vorwurfs steht Olaf C. seit April 2020 vor dem Gießener Landgericht. Gemeinsam mit seinem einstigen Studienfreund Robert S. soll er laut Anklage im November 2016 den damals 39-jährigen Daniel M. entführt und auf einer Hofreite bei Hungen umgebracht haben. Die Leiche wurde nie gefunden. Dass Daniel erschossen wurde, sagen alle beide. Doch sie schieben sich gegenseitig die Schuld in die Schuhe. Wer also ist der Täter? Der Gymnasiallehrer Olaf C.? Der selbstständige IT-Experte Robert S.? Oder haben die beiden die Tat gemeinschaftlich begangen? In einem langwierigen Indizienprozess versucht die 5. Große Strafkammer unter Vorsitz von Regine Enders-Kunze seit bald elf Monaten, Licht ins Dunkel zu bringen. Mit einem Urteil wird im Mai gerechnet.

Als Zeuge Andreas B. im Internet von den Mordvorwürfen gegen seinen Freund las, saß der bereits in Haft. Ohnehin war der Kontakt lose geworden, seit B. eine Familie gegründet hatte. Zwei-, dreimal im Jahr habe man telefoniert, sagte der Zeuge am Mittwoch vor Gericht. Dennoch will er nicht erstaunt gewesen sein, als Olaf nach mehr als einem Jahrzehnt irgendwann im Frühsommmer 2020 an seiner Arbeitsstätte aufkreuzte. Über dies und das habe man geplaudert, auch über das mysteriöse Verschwinden des gemeinsamen Bekannten Daniel mehr als drei Jahren zuvor. Olaf habe gesagt, darüber wisse er nichts Näheres, erinnerte sich der Zeuge.

Doch das entsprach nicht der Wahrheit. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich C. schon gegenüber der Polizei offenbart. Er hatte von den tödlichen Schüssen im November 2016 berichtet und auch von den Drohungen, die der jetzige Mitangeklagte Robert S. gegen ihn und seine Familie ausgesprochen habe.

Von dieser Bedrohung hat er auch seinem Freund bei dem seltenen Besuch erzählt. Das Gespräch sei aber nicht 7in die Tiefe gegangen, sagt B. Allerdings habe Olaf einen kriminellen Coup erwähnt, an dem er sich nicht beteiligen wollte, weswegen Robert sauer auf ihn gewesen sei.

Von der Persönlichkeit seines Freundes zeichnete er ein positives Bild. Vorsichtig sei er, aber nicht ängstlich, fürsorglich und respektvoll gegenüber den Eltern, aber kein Muttersöhnchen, außerdem ein verlässlicher Mensch, der sich, wenn es brenzlig wird, vor seine Freunde stellt.

Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger und die Verteidigung von Robert S. mussten schon tiefer bohren, um aus dem Zeugen mehr herauszuholen. Ob es nicht merkwürdig anmute, dass ein Gymnasiallehrer in einen kriminellen Coup eingebunden werden sollte? B.s Antwort auf diese Frage Hauburgers blieb vage. Auch zu zwei längeren Telefonaten mit dem Angeklagten C. im Sommer 2020 äußerte er sich erst, nachdem ihm der Inhalt vorgehalten wurde. Die Polizei hatte diese Gespräche abgehört. Von einem bekannten Killer aus Ex-Jugoslawien war da die Rede, und mit Blick auf die Bedrohung durch Robert S. empfahl B. dem alten Freund: »Das kann ja nicht die nächsten 50 Jahre so weitergehen. Die einzige Möglichkeit ist, ihn abzuknallen.« Als Aufruf zum Mord wollte der Zeuge diesen Spruch nicht verstanden wissen. Was man eben so dahinsage…

Die Angeklagten unterlagen nicht nur der Telefonüberwachung. Robert S. wurde auch im Auto abgehört. Inwieweit er sich darüber bewusst war, wird von den Verteidigern der beiden Tatverdächtigen unterschiedlich bewertet. Einige der aufgenommenen Gespräche wurden im Gerichtssaal ganz oder in Teilen vorgespielt, so auch ein Telefonat zwischen Olaf C. und einem engen Freund namens Marco. Letzterer äußerte sich schwer enttäuscht über den Umstand, dass Olaf so lange über die Tat geschwiegen habe. Er hätte besser gleich »zu den Bullen« gehen sollen, befand Marco. Dann hätte die Tat vielleicht aufgeklärt werden können.

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