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»Ein gewohnheitsmäßiger Lügner«: Prozess um „Mord ohne Leiche“ geht in Verlängerung

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Von: Ursula Sommerlad

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Auf das Urteil im Prozess um den „Mord ohne Leiche“ muss weiter gewartet werden. (Symbolfoto)
Auf das Urteil im Prozess um den „Mord ohne Leiche“ muss weiter gewartet werden. (Symbolfoto) © Christoph Hardt/Imago

Eigentlich hätte im Prozess um den „Mord ohne Leiche“ ein Urteil fallen sollen. Doch die Beweisaufnahme dauert an.

Gießen – 20. Mai 2022: An diesem Tag sollte der Prozess um einen »Mord ohne Leiche« zu Ende gehen. So jedenfalls sah die Planung der Fünften Großen Strafkammer Anfang des Jahres aus. Doch die Beweisaufnahme dauert an. Und so wurde am Freitag im Externen Sitzungssaal des Gießener Landgerichts am Stolzenmorgen kein Urteil gesprochen. Stattdessen erhob die Nebenklage in einer Stellungnahme schwere Vorwürfe gegen den älteren der beiden Angeklagten. Die Eltern des Mordopfers bezichtigen den 45 Jahre alten Olaf C., ein notorischer Lügner zu sein.

Dem Studienrat aus Hanau wird vorgeworfen, am 17. November 2016 gemeinsam mit dem zweiten Angeklagten Robert S. den damals 39 Jahre alten Daniel M. auf einer Hofreite bei Hungen erschossen zu haben. Die Leiche wurde bis heute nicht gefunden. Beide Angeklagten schieben sich gegenseitig die Schuld zu.

Prozess um „Mord ohne Leiche“ in Gießen: Nebenkläger glauben Olaf C. kein Wort

Olaf C. hat vor Gericht stets seine Unschuld beteuert. Robert S. habe geschossen, ihn anschließend zur Säuberung des Tatorts gezwungen und ihn dann jahrelang so unter Druck gesetzt, dass er um sein Leben gefürchtet habe.

Die Nebenkläger glauben Olaf C., der ein Schulfreund ihres getöteten Sohnes war, kein Wort. Als schlagenden Beweis für dessen Lügen werten sie das Verhalten des Lehrers nach der Tat, als die Familie verzweifelt nach dem vermissten Daniel suchte. Auch Olaf C. wurde damals von der Polizei befragt und äußerte bei dieser Gelegenheit Vermutungen über einen möglichen Suizid. Aus Sicht der betagten Eltern ist die Sache klar: Das war ein Vertuschung oder der Versuch einer Manipulation. Schließlich habe der Angeklagte zu diesem Zeitpunkt gewusst, dass der Vermisste sich keineswegs selbst umgebracht habe.

Überhaupt habe der Pädagoge seit Beginn der Suche nach Daniel immer wieder falsche Spuren gelegt. So treffe es nicht zu, dass ihr Sohn die Absicht gehabt habe, einen Swingerclub zu eröffnen. »Daniel hatte dies weder angestrebt, noch hätte er die dafür notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung gehabt. Sein Kontobestand war für andere Zwecke reserviert. Sein berufliches Interesse lag auf einer anderen Ebene.« So die Erklärung der Eltern, die deren Anwalt Alexander Hauer verlas. Der Vater verneint zudem eine Freundschaft zwischen seinem Sohn und dem zweiten Angeklagten Robert S., dem angeblichen Kompagnon beim Swingerclub-Projekt. Dessen Name sei in den gemeinsamen Gesprächen nie gefallen.

Prozess um „Mord ohne Leiche“: SMS-Botschaften klingen harmlos

Die Vorsitzende Richterin Regine Enders-Kunze verlas in der Verhandlung am Freitag zudem zahlreiche SMS, die die Ermittler aus dem Mobiltelefon von Robert S. ausgelesen haben. Die ersten Nachrichten stammen von Anfang 2018, die letzten wurden im April 2020 ausgetauscht. Wenig später ging Olaf C. zur Polizei und berichtete von der mittlerweile dreieinhalb Jahre zurückliegenden Ermordung seines langjährigen Freundes Daniel. Als Täter benannte er Robert S. und damit jenen Mann, mit dem er über die ganzen Jahre 2018 und 2019 regelmäßig Kontakt hielt.

Die Botschaften, die die beiden Männer per Handy austauschten, könnten kaum harmloser klingen. Man gratuliert sich zum Geburtstag und wünscht sich an Silvester Glück zum neuen Jahr. Man verabredete sich regelmäßig und tauschte sich über den Gesundheitszustand, Autoreparaturen oder Urlaube aus (»Las Vegas war so geil«).

Erst 2020 scheint sich das Verhältnis der beiden Kumpel einzutrüben. »Ich durchschaue Dich seit Jahren, aber ich bin groß im Verzeihen«, schreibt Olaf C. einmal. »Lass uns an die guten alten Tage anknüpfen oder uns friedlich unsere separaten Wege gehen.«

Gießen: Prozess um „Mord ohne Leiche“ wird fortgesetzt

Die Kurznachrichten aus dem April 2020 schließlich deuten auf Spannungen hin. C. weicht mehrfach einem von Robert S. gewünschtem Treffen aus. Und er warnt: »Uneingeladen wirst Du nicht bei mir auftauchen, sonst werte ich das als Angriff.« Stattdessen schlägt er vor, »uns sicher zu treffen und dann fair auseinander zu gehen.« Die Antwort von Robert S. ist kurz und bündig: »Vergiss’ es.«

Oberstaatsanwalt Thomas Hauburger legte Wert darauf, dass die Kurznachrichten dem psychiatrischen Sachverständigen Dr. Rolf Speier zur Kenntnis gegeben werden, der am Freitag nicht anwesend war. Der Prozess wird fortgesetzt. (us)

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