Durch die Lauscher ins Herz
Ludwig Harigs Geschichte »Und vor uns wölbt sich das Meer« auf CD liefert eine vorzügliche journalistische Reisereportage zur Côte d’Azur, die zur Einstimmung vorab, mehr noch zum Genuss an Ort und Stelle taugt.
Köstlich, wie Ludwig Harig in seiner 1995 veröffentlichten Geschichte »Und vor uns wölbt sich das Meer« jenen Moment beschreibt, in dem die 1953 (!) in Vaters altem Mercedes 170 V Cabriolet angetretene Reise an die Côte d’Azur unverhofft zu enden drohte. »Nach einer Schrecksekunde fiel das Wort Differential, dem ein paar andere hart klingende Wörter folgten: brisé, cassé, éclaté. Der kalte Schauer lief uns über den Rücken. O nein, meinte der Patron der Reparaturwerkstatt, es bestehe überhaupt kein Grund zur Sorge.« Die zerbrochenen Teile seien leicht zu beschaffen, in zwei, drei Tagen habe er sie herbeigeholt. Was tun? Harig zog mit Freundin Brigitte und seinem Bruder Hermann auf den Campingplatz von La Napoule bei Cannes. Im »schönsten Pinienhain des Südens« lebten sie »wie die Faune und Nymphen«, sprangen im Wald umher, schwammen im Meer und kamen sich vor wie die unsterblichen Halbgötter. Zum Glück im Unglück dauerte die Reparatur bald drei Wochen. »So vergnügten wir uns an Ort und Stelle, und endlich hatten wir, was wir suchten.
(…) Kein Chateaubriand konnte so schmackhaft sein wie Steaks und Pommes vom Budengrill, kein Mouton-Rothschild so süffig wie ein algerischer Mascara aus der Literflasche!«
Akustisches Vergnügen
Was hier zitiert ist, lässt sich in keinem Buch nachlesen – aber man kann es hören: »Vor uns wölbt sich das Meer« ist die erste von elf Geschichten auf der Doppel-CD »Die Côte d’Azur von Marseille bis Menton«, einem 2014 veröffentlichten Hörbuch der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« (Audio-Dossier). Die Silberlinge mit vorzüglichen journalistischen Reisereportagen taugen zur Einstimmung vorab, mehr noch zum Genuss an Ort und Stelle.
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Die Harig-Geschichte ist herausragend. Großes Kino im Kopf. Wir schätzen uns glücklich, unsere Präsentation mit Fotografien illustrieren zu können, die uns der mittlerweile 87-jährige Schriftsteller aus Sulzbach im Saarland und seine Frau Brigitte aus dem Privatarchiv zur Verfügung stellten. Nicht ganz leicht, die Bilder zu finden, wie Brigitte Harig am Telefon sagte. Harigs Vorlass war bereits im Vorfeld des 80. Geburtstages dem Literaturarchiv Marbach zugestellt worden.
Wenn wir Harig beim Wort nehmen, den Romancier, Hörspielautor, Lyriker und »Luftkutscher«, dann sind akustische Bücher ein unbedingt sinnstiftendes Medium. Nach Harigs Überzeugung ist »Erzählen« das schönste deutsche Wort.
Die genannte Doppel-CD enthält Reportagen unter anderem über das Marseille des Schriftstellers Jean-Claude Izzo, über das Warten der Exilanten in Sanary-sur-Mèr, über Saint Tropez und das liebe Geld, über Nizza und die neue Straßenbahn und über die stilvollen (englischen) Gärten in Menton.
Puren Hörgenuss vermitteln auch die in derselben FAZ-Reihe 2013 erschienenen CDs über »Die Provence. Vom Mont Ventoux bis zur Côte Bleue« und »Die französische Atlantikküste. Vom Ärmelkanal bis zur Biskaya«. Erhältlich via oder im Buchhandel.
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Ebenfalls ein akustisches Vergnügen und – so das Motto des Audioverlages – »Urlaub im Ohr« bieten die Geophon-Tonträger. Hier liegt der Schwerpunkt weniger auf der hochwertigen journalistischen Reportage: Die Beiträge haben eher Magazin-Charakter, sind leichtere Kost und verstehen sich vielmehr als »eine sinnliche Ergänzung zum konventionellen Reiseführer«: Interviews, Klänge, Berichte und Musik lassen die Atmosphäre der Ferne lebendig werden.
Wir hatten kürzlich bei einer Reise die Produktionen »Provence« und »Côte d’Azur« mit im Gepäck und wurden nicht enttäuscht. Mal sind die Gespräche mit Alteingesessenen touristisch ausgerichtet, dann wieder landeskundlich oder kulinarisch.
Oder, wie es eine Hörerin formulierte: »Hi, coole Mischung aus Story und Facts. Hab ich auf einer Autofahrt gehört und mich prächtig unterhalten.« Denn das soll es vor allem sein.
Die Klanglandschaft ist authentisch und anregend, kann aber das individuelle Zutun nicht ersetzen. Zu Erkundungen muss man sich schon selbst aufraffen. Mehr als nur Beiwerk sind daher die höchst informativen Booklets: Was man eben gehört hat (und vergessen, dies gleich zu notieren), das kann man darin nachlesen. Vor allem nützliche Adressen und Tipps für die eigene Streifzüge vor Ort und darüber hinaus weiterführende Informationen zu Film und Literatur.
Die CDs von Geophon sind im Buchhandel und via zu erwerben. (no)
Durch die Lauscher ins Herz