»Dunkler Punkt« ins Licht gerückt

Einst diente das Haus »Anger 10« in Großen-Buseck als Synagoge, 1938 wurde es geplündert und verwüstet, später als Unterkunft für Vertriebene genutzt. Nun ist das Gebäude saniert worden - als Ort der Begegnung und Mahnung zugleich.
Dieses Gebäude sei ein »dunkler Punkt in der Geschichte Busecks«, sagte Bürgermeister Dirk Haas bei der Einweihung am Freitag. »Vielen war bewusst, dass hier Unrecht geschehen ist« - doch es habe lange gedauert, bis endlich daran erinnert werde.
Die frühere Synagoge im Großen-Busecker Ortskern (Anger 10) ist nach weitgehenden Sanierungsarbeiten nun als ein Ort der Begegnung der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Haas begrüßte als Vorsitzender des Vereins »Freundeskreis Anger 10« in diesen »Räumlichkeiten, die eine lange Tradition haben und Buseck in Zukunft wieder prägen werden«. Umrahmt wurde die Veranstaltung von Dr. Ulrich Eskens mit Klezmer-Klängen auf der Klarinette.
In den letzten Jahren, berichtete Haas, habe sich nach langem Vorlauf eine Gruppe von Aktiven auf den Weg gemacht, den Erhalt des Gebäudes zu sichern. Rund eine Viertelmillion Euro sei in die Sanierung geflossen, etwa zu zwei Dritteln aus Fördermitteln von Bund und Land, den Rest habe die Gemeinde bereit gestellt.
Ferner habe man viel ehrenamtliche Arbeit in die Sanierung gesteckt. »Die Türen fehlen noch, die Sockelleisten sollten längst geliefert sein«, doch das Gros der Arbeiten sei abgeschlossen. Man wolle die Geschichte dieses besonderen Ortes weiter aufarbeiten, ihn auch für Veranstaltungen wie Lesungen etablieren.
Haas erinnerte auch an die Nutzung in der Nachkriegszeit, als Vertriebene hier auf engstem Raum einquartiert worden seien: »Über 30 Menschen haben hier in Kleinstwohnungen gelebt«, die letzte Bewohnerin sei hochbetagt vor einigen Jahren ausgezogen. Haas: »Ich habe mich eigentlich ein bisschen geschämt, dass man hier unter diesen Umständen seitens der Gemeinde Leute untergebracht hat.«
Dieser Ort fordere Respekt, Akzeptanz und Toleranz gegenüber Menschen unterschiedlicher Herkunft und Religion ein, sagte Kristine Tromsdorf, »ein ganz wichtiger Ort für das kollektive Erinnern«. Sie ist eine der Vorsitzenden der Ernst-Ludwig-Chambré-Stiftung zu Lich, die sich der Erinnerung an das hessische Judentum verschrieben hat.
Seit dem 16. Jahrhundert hätten Juden in Großen-Buseck gelebt. Einst habe sich die Synagoge in der Nähe befunden, 1844 habe die jüdische Gemeinde das Haus Anger 10 erworben, »aus der Scheune musste ein Sakralbau entstehen«.
Wie vielerorts seien in der »Reichspogromnacht« im November 1938 die Innenräume völlig zerstört, das Inventar verbrannt worden. SA-Männer aus Buseck, so Tromsdorf, hätten damals andernorts gewütet, Auswärtige wiederum im Anger 10. »So konnte man immer sagen: Es waren keine Busecker.« In der Nachkriegsgesellschaft habe zunächst »kein Interesse« bestanden, an die NS-Zeit zu erinnern. Das »Verdrängen der Zeugnisse jüdischen Leben« habe überall stattgefunden. Tromsdorf weiter: »Das Nicht-Fragestellen hat der Geschichtsklitterung Tür und Tor geöffnet.«
Nun sei es eine große Herausforderung, das Erinnern weiter hochzuhalten, auch wenn es bald keine Holocaust-Opfer als Zeitzeugen mehr gebe. Dafür sei dieser Ort »geradezu prädestiniert«. Leider nähmen antisemitische Grundeinstellungen wieder zu, auch an diesem Ort werde es möglicherweise Hakenkreuz-Schmierereien geben. Tromsdorfs Mahnung: »Eine aufgeklärte, offene und tolerante Gesellschaft ist keine Selbstverständlichkeit.«
Ähnlich war der Tenor von Landrätin Anita Schneider in ihrem Grußwort: Für die Etappen der Ausgrenzung jüdischer Mitbürger im NS-Staat bis hin zur Ermordung gelte: »Das konnte man doch nicht übersehen!« Heute, sagte Schneider, müsse jeder Einzelne Verantwortung für die Demokratie übernehmen.
Martha Kuhl-Greif, eine der Vorreiterinnen für die Sichtbarmachung dieses Orts, informierte über die neue Ausstellung im früheren Sakralraum unter dem Titel »Menschenbewegungen - Flucht und Vertreibung - Anger 10«, die das Schicksal der einst hier untergebrachten Vertriebenen und insgesamt Fluchtbewegungen nach dem Zweiten Weltkrieg in den Fokus nimmt.
»Das Haus war eine halbe Ruine, die man am liebsten vergessen hätte, sie verschwand aber nicht«, blickte Kuhl-Greif zurück. »Mit Fremden umzugehen«, sagte sie weiter, »fällt uns immer noch schwer - wir müssen es üben, alle miteinander.«
Besonderer Dank der Aktiven galt Kuhl-Greif, aber gerade auch Haas, der im Hintergrund viel für die Sanierung des Hauses getan habe. Der Anfang ist gemacht, nun gilt es, diesen besonderen Ort der Erinnerung und Mahnung gegen das Vergessen dauerhaft mit Leben zu füllen.