Die Weichen auf Kultur gestellt
Das alte Lollarer Bahnhofsgebäude hat sich zu einem Kultur-Hotspot entwickelt. Bei einem Rundgang erläutern Aktive aus dem neu gegründeten Verein, was sich in den letzten Jahren getan hat - und warum sie weitere Mitstreiter mit frischen Ideen gut gebrauchen können.
Der Lollarer Bahnhof hat sich in den vergangenen Jahren von einer Schmuddelecke zu einer modernen Bahnhaltestation gewandelt. Baulich hat sich viel getan, noch aber sind die Arbeiten nicht abgeschlossen. Bahnfahrer gelangen zurzeit an einem Zaun entlang des Eingangs zum alten Bahnhofsgebäude auf das Gleis. Während es von Weitem wirkt, als sei das Gebäude verriegelt, ist im Grunde das Gegenteil der Fall: Der denkmalgeschützte Bau ist zu einem offenen Ort der Kultur geworden. Denn mittlerweile hat hier der Verein »Kultur- und Begegnungsstätte Bahnhof Lollar« sein Domizil, mehr und mehr laufen auch Veranstaltungen an.
Stolz präsentieren drei Aktive, wie sich der Bahnhof seit der Zeit vor Corona verändert hat, vor allem durch ungezählte Arbeitsstunden in Eigenleistung. Vincent Viala, der den Vorsitz übernommen hat, sowie Mara Lynn Schuch (zweite Vorsitzende) und Rechner Klaus Zecher steigen über eine enge Wendeltreppe neben einem alten Lastenaufzug hinab in den kühlen Keller. Hinter einem Vorhang befindet sich dort ein abgedämmter Probenraum. »Hier machen wir Krach«, sagt Viala lächelnd.
Der Raum wird, wie auch die Wohnungen in oberen Stockwerken, abseits des Vereinsbetriebs privat genutzt. Mehrere Bands teilen sich ihn. Probenräume für Bands sind rar gesät, kaum verwunderlich also, dass auch dieser recht gut ausgelastet ist. Unter anderem sind hier Musiker aktiv, die wie Viala bis vor ein paar Jahren in einem Keller in Heuchelheim gejammt haben. Aus diesem Dunstkreis ist einst das »Jam-Festival« entstanden - und teils auch die Initiative für den Kulturbahnhof.
Das Gebäude ist weitläufiger, als es von außen scheint, bietet jede Menge Platz, um Veranstaltungen zu ermöglichen. So wurden Nebenräume der einstigen Bahnhofshalle teils zu »Backrooms« umfunktioniert, wo Bands vor und nach Konzerten auf Sofas entspannen können. Wo früher Gepäck ausgegeben wurde, wird womöglich noch ein Kiosk entstehen. Und in einem längeren Flur sind Aufhängungen angebracht, um Kunst zu präsentieren, ebenso Strahler, die Gemälde ins rechte Licht rücken können.
Ein paar Schritte weiter fällt ein historisches Detail ins Auge: Unter Glas erscheint ein Reichsbahn-Fahrplan von 1935. Zecher zeigt auf die Abfahrtszeiten der »Bieberlies«, wie die einstige Biebertalbahn genannt wurde. Und auch die Strecke von Lollar nach Grünberg ist hier noch verzeichnet. »Alles ist sicher und nach Bauvorschrift umgesetzt«, betont Zecher. Von Anfang an habe man sich eng mit dem Denkmalamt abgestimmt, um möglichst viel historische Bausubstanz zu erhalten. Er verweist auf die neuen WC-Räume, »früher war hier eine Kohlenkeller«. Auch an eine Toilette für Menschen mit Behinderung wurde gedacht - der Kulturbahnhof soll baulich wie konzeptionell barrierefrei zugänglich sein, ein Ort für alle. Für Homophobie, Sexismus oder Rassismus, für Ausgrenzung und Menschenfeindlichkeit jeglicher Art sei hier aber kein Platz, betonen die Aktiven einen Aspekt, der eigentlich selbstverständlich sein sollte.
In einem Nebenraum hat Zecher ein Büro eingerichtet. Er ist vielen als DGB-Kreisvorsitzender bekannt. Das Bahnhofsgebäude hat er vor einigen Jahren privat erworben - und die Freude darüber, hier mit anderen einen Raum für Kultur schaffen zu können, ist ihm anzumerken.
Während draußen ein Zug vorbeirauscht, hallen aus dem hinteren Bereich des Bahnhofs während des Besuchs Schlagzeugklänge. Dort stehen verschiedene Instrumente, Mikrofone, Mischpult, Amps und Boxen - so ziemlich alles, was Musiker zum Wohlfühlen brauchen. Hier haben auch schon gemeinsame Malaktionen stattgefunden, außerdem Konzerte, die künftig häufiger angeboten werden sollen. Laut Schuch gilt es aber noch, »die Balance zwischen Barrierefreiheit und Eintritt« zu finden. »Für den Hut zu spielen, ist cool«, aber auch Musiker bräuchten eben eine finanzielle Perspektive. Immer freitagabends sei hier gut Betrieb, erzählt Viala: Die offenen Jamsessions haben sich herumgesprochen, in Gießen und Marburg, teils bis ins Rhein-Main-Gebiet - wobei die direkte Zuganbindung Gold wert ist.
Etwas schwerer zum Laufen zu bringen als die Jamsessions war eine geeignete Organisationsform. »Wir haben gesagt: Irgendwas müssen wir machen, damit es nach Corona eine funktionierende Struktur gibt«, sagt Viala. Laut Schuch wäre für die ursprünglich angedachte Genossenschaft ein gewisses Kapital nötig gewesen. »Da hat sich ein Verein als einfacher erwiesen«, sagt sie. Nun sei die »Kultur- und Begegnungsstätte« als gemeinnützig eingetragen. Schuch: »Wir sind gerade dabei, Mitglieder zu werben und eine Vereinskasse aufzubauen.« Wer beitreten möchte, muss pro Jahr 20 Euro zahlen und sich mit mindestens 20 Stunden Mitarbeit einbringen.
Die Aktiven verstehen sich nicht als exklusiven Club, sind offen für und dankbar über Mitstreiter - etwa für die Organisation von Veranstaltungen. Viala, Schuch und Co. sind kulturell engagiert, studieren aber auch oder sind berufstätig. Alle haben auch einen Alltag jenseits des Bahnhofs. Um sich hier zu engagieren, müsse man nicht zwingend dem Verein beitreten, betonen sie. Meist am ersten Sonntag im Monat findet ab 18 Uhr ein Plenum statt - da seien Interessierte richtig, um sich mit Ideen einzubringen
Noch ist in den alten Räumen viel Luft für neue Formate, die Auslastung sei noch überschaubar, berichtet das Trio. Es gebe etwa Überlegungen für eine Kooperation mit der Kreisvolkshochschule oder dem touristischen Arbeitskreis »Gießener Lahntäler«, gerade Kontakte in Nachbarorte sollen intensiviert werden.
Auch Geburtstagsfeiern seien denkbar - »vielleicht aber auch Veranstaltungen, an die wir noch gar nicht gedacht haben«, sagt Schuch. Sie empfindet die Mitarbeit im Kulturbahnhof auch persönlich als Bereicherung: »Außer dem Spaß springt für uns dabei nichts rum. Aber es ist einfach ein gutes Gefühl, Leuten einen schönen Abend zu bieten« - und das in Zukunft vielleicht noch häufiger.