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Die stumpfe Wunderwaffe

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Von: Patrick Dehnhardt

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Ein Luftfilter allein macht noch keinen Corona-Schutz: Wenn der Nachbar hustet, nützt das mehrere Meter entfernt aufgestellte Gerät nur wenig. Der Landkreis Gießen setzt darum auf Belüftungsanlagen mit Frischluftzufuhr, die auch nach der Pandemie für mehr Sauerstoff in den Klassenräumen sorgen sollen. SYMBOLFOTO: DPA © DPA Deutsche Presseagentur

Luftreiniger gelten allgemein als eine der Wunderwaffen im Kampf gegen die Ausbreitung des Coronavirus. Sie sollen etwa in Klassenräumen für saubere Luft sorgen. Das Umweltbundesamt sieht die Geräte jedoch mit Skepsis. Der Landkreis Gießen setzt die Geräte kaum in Schulen ein.

In den zwei Jahren seit Beginn der Pandemie wurde immer wieder gefordert, Luftreiniger in Klassenräumen aufzustellen, um so das Lüften zu ersparen. Eltern erhoffen sich dadurch für ihre Kinder mehr Schutz vor einer Ansteckung mit dem Coronavirus. Teilweise wurden die Geräte auch gekauft. Die Stadt Gießen hat etwa 650 000 Euro für mobile Luftreiniger ausgegeben. Diese sollen bis zu 99,9 Prozent der Virenlast aus der Luft holen. Ein Schulleiter freute sich bei der Übergabe vor einigen Monaten: »Die Geräte geben ein gutes Gefühl.«

Genau dieses Gefühl der Sicherheit ist jedoch trügerisch. Kürzlich diskutierten bei einem europaweiten Forum zum Thema Staubbelastung auf Baustellen Experten über Schutzmaßnahmen. Gesundheitsexpertin Ann-Beth Antonsson Lundberg warnte davor, sich allein auf Luftreiniger zu verlassen: »Es entsteht ein falscher Eindruck der Sicherheit.« Die Geräte würden zwar die Luft reinigen. Jedoch sei die Belastung an der Stelle am höchsten, wo die Verschmutzung auftritt. Daher kann ein viele Meter entfernt aufgestellter Luftreiniger keinen Menschen wirkungsvoll schützen, der direkt neben jener Quelle steht.

Diese Erkenntnis für Baustellenstaub lässt sich auf den Corona-Schutz übertragen. Denn für die Wirkungsweise ist es zunächst einmal egal, ob Staub oder Viren aus der Luft gefiltert werden. Das Bundesumweltamt schreibt auf seiner Internetseite: »Die Effizienz hängt neben der Technik auch von den Aufstellbedingungen vor Ort, der Luftverteilung im Raum ab.« Das Problem lässt sich einfach darstellen: Wer direkt neben einem Raucher sitzt, der nimmt den Zigarettenrauch auch dann wahr, wenn sechs Meter entfernt ein Luftreiniger den Qualm nach den Rauch aus der Luft filtert.

Das Bundesumweltamt schreibt, dass die Luftreiniger kein Ersatz für regelmäßige Lüftungsmaßnahmen seien, da »mobile Luftreinigungsgeräte unter anderem kein anfallendes Kohlendioxid und keinen Wasserdampf aus der Raumluft entfernen«.

Beim Landkreis Gießen kennt man diese Einordnung - und hat daher kaum in die Geräte investiert. »Luftfilteranlagen sind an den Schulen im Landkreis nur in wenigen Fällen im Einsatz«, teilt die Pressestelle auf Anfrage dieser Zeitung mit.

Das Schulamt setzt im Kampf gegen die Pandemie auf die Strategie des Landes, also regelmäßiges Testen und eine Maskenpflicht im Unterricht. »Zu den umfangreichen Hygienemaßnahmen des Landeskreises an den Schulen zählt unter anderem auch die tägliche Corona-Sonderreinigung aller Kontaktflächen«, teilt die Pressestelle weiter mit. »Eine Luftfilteranlage allein ist kein Mittel, die diese genannten Vorkehrungen ersetzt.«

Die teuren Geräte (5000 bis 10 000 Euro) können das regelmäßige Lüften der Klassenräume unterstützen, jedoch nicht ersetzen. Am Öffnen der Fenster führe so oder so kein Weg vorbei. »Grundsätzlich gilt, dass eine möglichst hohe Frischluftzufuhr im Rahmen des Stoß- und Querlüftens die effektivste Methode ist, um potenziell virustragende Aerosole aus den Klassenräumen zu entfernen«, schreibt Kreissprecher Dirk Wingender.

Der Kreis als Schulträger habe sich daher in den vergangenen Monaten darum gekümmert, schlecht belüftbare Klassenräume technisch umzurüsten. Mittlerweile seien alle betroffenen Räume entsprechend ausgestattet worden.

Um die Situation generell zu verbessern, würden Lüftungsanlagen mit Frischluftzufuhr und Abluftventilatorensysteme eingebaut. »Letzteres hat der Landkreis Gießen im Rahmen eines Pilotprojekts als einer von wenigen hessischen Landkreisen in Kooperation mit der Technischen Hochschule Mittelhessen, die eine entsprechende Studie vorgenommen hat, begleitet«, berichtet die Pressestelle.

Die Abluftventilatorensysteme könnten in wenigen Minuten die komplette Luft eines Klassenraums austauschen, ohne dabei einen Luftzug zu verursachen. Ein CO2-Sensor setzt diese automatisch in Gang, wenn ein voreingestellter Wert überschritten wird. Dann werden automatisch die Fenster gekippt. Gleichzeitig wird die »verbrauchte und möglicherweise virenbelastete Luft« durch den Ventilator aus dem Raum befördert.

»Über das gekippte Fenster strömt frische Luft wie über eine Rampe in den Klassenraum an die Decke und zieht über die Köpfe der Schüler hinweg durch den Raum, sodass es nicht zu unangenehmer Zugluft kommt«, beschreibt der Pressesprecher. Von der verbesserten Belüftung würden die Schülerinnen und Schüler auch nach der Pandemie profitieren.

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