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Die singende Familie

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Von: Rüdiger Soßdorf

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Blick ins Familienalbum: Der achtjährige Andreas Weber, seine heutige Schwägerin Annke Rinn (9) und Andreas’ Mutter Sigrid auf einem Wagen beim Festzug vor 50 Jahren. © pv

Chorgesang und Vereinsleben haben eine Zukunft. Jedenfalls dann, wenn es sangesbegeisterte Familien wie die Rinns aus Heuchelheim mit reicher musikalischer Vergangenheit gibt.

Schon als Dreijährige stand Alexandra Rinn bei der Heuchelheimer »Germania« das erste Mal auf der Bühne - wenngleich noch nicht singend. Das kleine Mädchen ließ sich beim Festakt zum 100-jährigen Bestehens des Vereins anno 1973 im Festzelt tapfer ein Mikrofon geben, nannte ihren Namen und sagte: »Ich suche meine Eltern…«

Die freilich waren vor Ort umgehend gefunden, war Papa Erwin Rinn († 2020) doch der Vorsitzende des Heuchelheimer Traditionsvereins mit Stammsitz im Gasthaus »Zum Treppchen«.

Bis heute ist Alexandra Rinn dem Verein aufs Engste verbunden - so wie die gesamte Familie. Als 13-Jährige etwa wurde ihr die Ehre zuteil, anlässlich des 110-jährigen Vereinsgeburtstags den Festabend mit einem Prolog zu eröffnen. »Den Text kann ich bis heute auswendig«, lacht die stets gut gelaunte Sängerin. Damals war sie noch in der (heute nicht mehr existierenden) »Germania«-Kindertanzgruppe. Mit 15, nach der Konfirmation, ging sie in den Chor, und als 1999 der junge Chor »GoSpirit« ins Leben gerufen wurde, da erhob sie auch in dessen Reihen ihre Stimme - und tut dies mit Freude bis heute. Ihre sechs Jahre ältere Schwester Annke fand Ende der 1970er Jahre über den damaligen Jugendchor zum Verein, wechselte später in den »großen« Chor und ist vor ein paar Jahren nach berufsbedingter Pause zu »GoSpirit« gestoßen.

Damit nicht genug: Bereits die Eltern der beiden singenden Mädels haben im Verein zueinander gefunden: In den 1950er Jahren brachte die damalige Theatergruppe der »Germania« den Schwank »Das Glücksmädel« auf die Bühne - mit der jungen Gertraut in der Hauptrolle. Erwin Rinn spielte deren Vater. 1961 wurde schließlich geheiratet. Da war Erwin Rinn schon längst Vorsitzender der Sänger: Fast unglaubliche 44 Jahre, von 1955 bis 1998, prägte er »Treppches« Gesangverein, wurde in Anerkennung seiner vielfältigen Verdienste danach zum Ehrenvorsitzenden ernannt. »Donnerstagabend war unseren Eltern heilig: Da ging es in die Singstunde«, erinnert sich Annke Rinn.

Womöglich zählte bereits einer der Vorfahren anno 1873 zu den Gründern des Gesangvereins im Dorf. Verbürgt ist jedenfalls, dass Erwin Rinns Großvater Ludwig Kröck als Vorsitzender im Jahre 1908 die Weihe der neue Vereinsfahne mitgestaltet hat. Damals wurde in den Haagwiesen, dem früheren Festgelände, das 35-jährige Vereinsbestehen gefeiert. Dieses buntbestickte Tuch ist heute noch die Vereinsfahne, ist ganz dekorativ im »Pokalschrank« des Vereins in Treppches-Saal zu sehen.

Dass die schöne Familientradition fortgesetzt wird, das scheint vorgezeichnet: Alexandra Rinns Mann Andreas Weber ist ebenfalls von Kindesbeinen an bei den Germanen, und die beiden Söhne Jannis (19) und Joscha (16) sind gleichfalls aktiv. Seit fünf Jahren moderiert Jannis gemeinsam mit Mama Alexandra Konzerte des Vereins. »Wo hat man sonst solch eine Chance wie im Verein, wenn man auf der Bühne stehen will?«, sagt Jannis und lacht. »Das habe ich wohl von der Mutter und dem Opa«, sieht sich der junge Mann, der gerade an der Gießener »Lio« sein Abi macht, in einer schönen Tradition.

Konzerte freilich waren in den vergangenen drei Jahren rar gesät. Die Pandemie hat zudem weiteren Tribut gefordert: Der große Chor hat den Gesangsbetrieb derzeit eingestellt. Bis heute treffen sich die ehemaligen Aktiven aber noch zu regelmäßigen Stammtischen.

Gesungen wird noch in der zwei Dutzend Aktiven zählenden Volksliedergruppe und von den rund 40 Stimmen bei »GoSpirit«. Dieser Chor hat in den Corona-Jahren noch hinzugewonnen - nicht nur ehemalige Mitglieder des großen Chores, sondern es gab auch einige komplette Zugänge.

Und vielleicht kommt ja noch der eine oder andere Sangesfreudige hinzu beim Rudelsingen am 30. April im »Treppchen«. Das ist die nächste Veranstaltung im bunten Reigen an Veranstaltungen in diesem Jahr. Es folgen zum Jahrestag der Gründung am 4. Juni ein Hoffest mit Gottesdienst, Blasmusik und Wein-Probierstand (von Freunden aus Heuchelheim/Pfalz), ein Vereinsausflug, ein Familiennachmittag und etliche Veranstaltungen mehr.

Nicht zuletzt soll im Winter anlässlich des Jubiläums ein Baum gepflanzt werden; selbstverständlich mit Unterstützung von Baumschulmeister Horst Römer (Baumschule Rinn), ebenfalls ein alter »Germane«. Ob’s eine Linde wird? Wer weiß. Eine solche gibt es im Verein dank Rinns auch schon: Erwin Rinn schrieb vor einigen Jahrzehnten das mehrfach aufgeführte Stück »Die Dorflinde erzählt…«. Das Original-Manuskript ruht wohlverwahrt in seinem Arbeitszimmer, das ein viele Regalmeter umfassendes Vereinsarchiv beherbergt. Aber das ist nochmal eine andere Geschichte…

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Singende Schwestern: Annke (l.) und Alexandra Rinn aus Heuchelheim. © Ruediger Sossdorf

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