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Detektiv im Kampf um kluge Köpfe

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Von: Stefan Schaal

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»Ich beobachte, dass die junge, nachwachsende Generation sehr kritisch ist«, sagt Vornkahl. »Zurecht. Die Unternehmen sind ja genauso kritisch.«. © DPA Deutsche Presseagentur

Der Mangel an Fachkräften ist insbesondere im Bereich der Elektro- und Informationstechnik dramatisch. Der Digitalbranchenverband Bitkom hat ermittelt, dass knapp 100 000 IT-Stellen in Deutschland unbesetzt sind. Dienstleister wie Ralf Vornkahl gewinnen zunehmend an Bedeutung. Der Pohlheimer ist ein gefragter Recruiter und Personalberater in der IT-Branche.

Schwierig und mit hohem Aufwand verbunden, sagt Ralf Vornkahl, war sein Beruf schon immer. An Fachkräften in der IT-Branche, erzählt der Pohlheimer, habe es schon Ende der 90er Jahre dramatisch gefehlt. »Damals hat es ja noch nicht so viele studierte Informatiker wie heute gegeben.« Und doch, räumt er ein, habe sich der Mangel in den vergangenen Jahren durchaus verschärft. Auch weil der Kampf um kluge Köpfe, um Informatiker und Programmierer, jede Branche betrifft. »Durch die Digitalisierung«, sagt Vornkahl, »ist so gut wie jedes Unternehmen gezwungen, Kräfte im IT-Bereich zu suchen.«

Vornkahl ist ein gefragter Mann. Der 58 Jahre alte selbständige Unternehmer ist Personalberater. Für mittelständische Unternehmen der Region sucht er geeignete IT-Fach- und Führungskräfte. Zwei Faktoren seien dabei ausschlaggebend, erklärt er: Kontakte und Algorithmen.

Algorithmen sind entscheidend, wenn Vornkahl Soziale Netzwerke wie Xing und LinkedIn durchforstet, auch über Suchmaschinen. Für eine Stelle verschickt er dann schonmal Nachrichten an bis zu 300 mögliche Kandidaten. Nur jede zehnte, in manchen Fällen auch nur jede zwanzigste Nachricht werde beantwortet, »da darf man sich nichts vormachen«, berichtet Vornkahl. Noch wichtiger seien daher ein umfangreiches Kontaktnetzwerk. Und das Wissen, an wen er sich wenden kann in seiner Detektivarbeit nach IT-Kräften. »Der Erfolg meiner Arbeit steht und fällt mit einem Netzwerk.« Hilfreich ist ihm dabei die eigene Berufserfahrung im Management der Software-Firma Oracle. Daneben ein umfangreiches Kontaktnetzwerk, beispielsweise auch zur Technischen Hochschule Mittelhessen.

Der Personalberater arbeitet ausschließlich mit festem Auftrag von Unternehmen, diese leisten in der Regel vorab eine Anzahlung. Bei erfolgreicher Vermittlung wird je nach Position und Gehalt des Mitarbeitenden eine Summe zwischen 20 und 30 Prozent des Jahresgehalts für die vermittelte Stelle vergütet. Alternativ bietet er auch an, direkt für Unternehmen als Dienstleister auf Stundenbasis tätig zu werden.

Vor allem eines, berichtet Vornkahl, habe sich in den vergangenen Jahren geändert: die Anspruchshaltung der Kandidaten. »Ich beobachte, dass die junge, nachwachsende Generation sehr kritisch ist«, sagt Vornkahl. »Zurecht«, fügt er hinzu. »Die Unternehmen sind ja genauso kritisch.« Ein Unternehmer, so erzählt Vornkahl, habe kürzlich verärgert die Frage gestellt: »Seit wann wedelt denn der Schwanz mit dem Hund?« Darum aber gehe es gar nicht, betont der Recruiter. »Die Kandidaten erwarten Gespräche auf Augenhöhe.«

Mitarbeitern sei es schon immer wichtig gewesen, »sich wohl zu fühlen, wenn sie sich acht Stunden für einen Arbeitgeber einsetzen. Neu ist nur, dass dieser Wunsch heute viel häufiger und deutlicher zum Ausdruck gebracht wird.«

Der Digitalbranchenverband Bitkom hat ermittelt, dass knapp 100 000 Stellen im IT-Bereich in Deutschland unbesetzt sind. Auch angesichts dieser Situation reiche es nicht mehr, Kandidaten einen Firmenwagen, einen Laptop oder kostenloses Obst zu bieten, betont Vornkahl. »Die wollen vor allem wissen: Wie tickt das Unternehmen? Wie sind meine Kollegen? Und werde ich ernst genommen?«

Wichtig sei den Fachkräften zunehmend, flexibel arbeiten zu können, beispielsweise im Home Office. Er habe immer wieder mit Kandidaten zu tun, »die auch bereit sind, bis zu 10 000 Euro weniger im Jahr zu verdienen, wenn die Arbeitsbedingungen stimmen.« In Hochglanzbroschüren stellen Unternehmen häufig dar, wie sie sich sozial aufgestellt sehen oder inwieweit sie sich für die Umwelt engagieren. Für Kandidaten spiele schlicht eine grundlegende Frage die hauptsächliche Rolle, sagt Vornkahl: »Wie funktioniert dort das Arbeiten?«

Konkurrenten gebe es in seinem Berufsfeld des Recruitings viele, berichtet der Pohlheimer. »IT-Fachkräfte werden zugeschossen mit Anfragen.« Umso wichtiger sei es, nur Kandidaten anzusprechen die für die Position auch in Frage kommen. Einen beträchtlichen Teil seiner Arbeit widmet Vornkahl vor diesem Hintergrund der Aufgabe, das jeweilige Unternehmen, in dessen Auftrag er agiert, näher kennenzulernen und ein möglichst klares Profil der offenen Stelle zu formulieren. Im Gespräch mit Mitarbeitern des Betriebs, mit der Personalabteilung und auch dem Vorgesetzten für die gesuchte Stelle versuche er dabei auch »die Stimmung im Unternehmen« zu ergründen - weil dies für Kandidaten eben eine maßgebliche Rolle spielt.

Zu Vornkahls Stammkunden zählen insbesondere Softwarehäuser und mittelständische Betriebe aller Branchen in der Region und dem Rhein-Main Gebiet, allerdings auch Unternehmen abseits der IT ein koreanischer Baumaschinenhersteller. Im Kontakt mit Kandidaten repräsentiert Vornkahl das jeweilige Unternehmen. Er ist damit neben seiner Detektivarbeit auf der Suche nach Kandidaten auf gewisse Weise auch ein Marketing-Manager. Gleichzeitig ist er als Coach tätig, wenn er Kandidaten vor Bewerbungsgesprächen berät.

Vor allem versteht Vornkahl indes seine Rolle als Vermittler. Auch zwischen bisweilen sehr abweichenden Erwartungshaltungen. Oft würden Mitarbeiter zwischen 28 und 35 gewünscht. »Das ist angesichts des Fachkräftemangels schwierig, denn es macht den Kreis der zur Verfügung stehenden Kandidaten nicht nur kleiner, sondern ist auch kurzsichtig in Bezug auf alle anderen Altersgruppen, die im Bereich IT in fortgeschrittenen Alter einen hohen Grad an Fachkenntnis und Willen zur Weiterentwicklung und Veränderung mitbringen.«

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Ralf Vornkahl © Stefan Schaal

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