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Der Tag der Entscheidung

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Von: Ursula Sommerlad

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Viele Reiskirchener sehnen die Entlastung ihrer Ortsdurchfahrt herbei. Ob die Klage gegen die Südumgehung Erfolg hat, entscheidet sich am 5. Oktober. © Ursula Sommerlad

Alle Augen richten sich auf den 5. Oktober. An diesem Tag wird der Zweite Senat des Hessischen Verwaltungs- gerichtshofs in Kassel verkünden, ob die Klagen gegen die Reiskirchener Südumgehung Erfolg hatten.

Die Vorsitzende Richterin Dr. Karin Sens-Dieterich sprach Klartext: »Die Überprüfungsbefugnis des Gerichts ist eingeschränkt. Es ist nicht unsere Aufgabe, zu entscheiden, welche Trasse die bessere ist.« Aber genau über diese Frage wird in Reiskirchen seit Jahrzehnten gestritten. Nun saßen sich Befürworter und Gegner der vor bald sechs Jahren planfestgestellten Südumgehung im Sitzungssaal 1 des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs in Kassel gegenüber.

Der VCD Landesverband und Carmen Grieb, Betreiberin des »Sonnenhofs« in Lindenstruth, wollen, dass der Beschluss aufgehoben oder hilfsweise für rechtswidrig und nicht vollziehbar erklärt wird. Das Hessische Wirtschafts- und Verkehrsministerium möchte ihn bestätigt sehen. Und Bürgermeister Dietmar Kromm hat nach dem zweitägigen Verhandlungsmarathon nur einen Wunsch: »Dass das Ergebnis der Bürgerentscheide umgesetzt wird.« Die Entscheidung soll am 5. Oktober verkündet werden.

Dass sich die mündliche Verhandlung über zwei Tage erstrecken würde, war im Vorfeld absehbar gewesen. Allein die beiden Klagen füllen zusammen 13 Bände. Hinzu kommen 26 Ordner Behördenakten und der Planfeststellungsbeschluss. Am Dienstag hatten Fragen des Artenschutzes und die Existenzfähigkeit des »Sonnenhofs« im Mittelpunkt gestanden. Am Mittwoch ging es um die fachplanerische Alternativenprüfung. Hatten die Behörden richtig gelegen, als sie der Südumgehung den Vorzug gaben?

Die Gründe dafür rief die Vorsitzende Richterin in Erinnerung. Beim Arten- und Biotopschutz, bei Landschaftsbild und Erholungsfunktion lag die Nordumgehung vorne. Bei Wasser, Klima und Boden wurden leichte Vorteile für die Südumgehung gesehen. Letztere punktete aber vor allem unter Aspekten der Wirtschaftlichkeit und der Verkehrsentlastung. Aber stimmen die vorgelegten Zahlen? Wulf Hahn, der Sachbeistand der beiden Kläger, zog das vehement in Zweifel.

Dem Planfeststellungsbeschluss lagen Berechnungen zugrunde, nach denen die Nordumgehung um 42 Prozent teurer sei. Nicht nur, weil sie einen Kilometer länger ist, sondern auch, weil sie neun Brückenbauwerke benötigt und die Südumgehung nur fünf. Die Gegner argumentieren, dass sich eine nördliche Variante auch weniger aufwendig realisieren lasse. »Man kann die Baustreckendifferenz auf 200 bis 300 Meter reduzieren«, sagte Hahn. Bei den Experten von Hessen Mobil stießen seine Vorschläge für eine geänderte Anschlussstelle auf heftige Widerrede. Ihr Verdikt: nicht regelkonform.

Auch bei der Einschätzung der Entlastungsfunktion gingen die Meinungen auseinander. Die Kläger berufen sich auf eine Untersuchung aus dem Jahr 2018, wonach sich die beiden Trassen in diesem Punkt nicht wesentlich unterscheiden. Die Verkehrsplaner führen allerdings ins Feld, dass die Südumgehung neben der Entlastung der Ortsdurchfahrt auch dazu geeignet sei, Verkehrsflüsse aus den südlichen Ortsteilen von Reiskirchen zu bündeln. Und die Prognosen gehen davon aus, dass die Autofahrer sie besser akzeptieren werden als die längere und hügeligere Nordtrasse. Die würde, so die Befürchtungen von Bürgermeister Kromm, zudem die im Norden von Reiskirchen geplanten Siedlungsgebiete durchschneiden. »Wir hätten dort eine neue Ortsdurchfahrt.«

Wulf Hahn sieht das völlig anders. Die neuen Wohn- und Gewerbegebiete im Norden verursachten ein Plus von 4500 Fahrzeugen täglich, für die die Südumgehung nichts bringt. »Das gleicht die Entlastung fast vollständig aus.« Immerhin in einem Punkt waren sich alle Beteiligten einig. Der Verkehr auf der B49 hat nicht in dem Maße zugenommen, wie noch 2004 angenommen. Konstant 19 000 Fahrzeuge in der Ortsdurchfahrt von Reiskirchen: Das war die Zahl, die Dagmar Holst, bei Hessen Mobil zuständig für Verkehrsuntersuchungen und Prognosen, am Rande der mündlichen Verhandlung nannte.

Egal welche Entscheidung das Gericht am 5. Oktober verkündet, eines hat die Klage gegen die Südumgehung bereits bewirkt. Auf den Schutz von Fledermäusen und Zaun- eidechsen entlang der Trasse, sollte sie denn je gebaut werden, soll größeres Augenmerk gelegt werden. Das haben die Vertreter des Wirtschafts- und Verkehrsministeriums verbindlich zugesagt.

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