Chef von elf Betrieben: Er ist einer der ungewöhnlichsten Landwirte im Kreis Gießen
Innovative Ansätze braucht die Landwirtschaft. Bauer Oliver Jung geht im Kreis Gießen mit gutem Beispiel voran.
Gießen – Der 44 Jahre alte Oliver Jung ist ein in mehrfacher Hinsicht ungewöhnlicher Bauer. So führt er elf landwirtschaftliche Betriebe im Kreis Gießen unter einem gemeinsamen Dach: der Bauernland KG. Seit vier Jahren setzt er zudem auf den Weg der regenerativen Landwirtschaft. Die Ernte sei in diesem Jahr, berichtet er, trotz des trockenen Sommers wirtschaftlich außergewöhnlich gut.
Oliver Jung hält für einen Moment inne. Die Frage, welche Hoffnungen, welche Wünsche er für die heimische Landwirtschaft hat, lässt ihn für mehrere Sekunden nach den richtigen Worten suchen. „Dass mehr Bauern über den Tellerrand schauen“, sagt er dann. „Dass sie auch mal Neues ausprobieren, wenn auch nur auf wenigen Hektar.“ Für innovative Ansätze sei es an der Zeit, fügt er hinzu. „Weil das Ende in Sicht ist.“
Kreis Gießen: Mehr Bauern könnten „über den Tellerrand schauen“
Jung, selbst Bauer, meint freilich nicht das Ende der Landwirtschaft. Sondern das Ende mancher herkömmlichen Methoden, auch chemischer Mittel. Bis Ende kommenden Jahres zum Beispiel soll das Pflanzenschutzmittel Glyphosat vom Markt verschwinden, die Bundesregierung hat das Verbot kürzlich bekräftigt.
Als der 44 Jahre alte Jung, seine Hoffnung äußert, nippt er an einer Kaffeetasse, auf der vier Buchstaben prangen: „BASF“. Das sei eben die schönste Tasse, die er habe, erklärt er. „Vertreter von BASF besuchen mich schon lange nicht mehr, weil ich weniger Bedarf habe“, sagt Jung, der seit vier Jahren auf den Weg der regenerativen Landwirtschaft setzt, um möglichst wenig an Chemie auf den Feldern zu versprühen.

Gießener Bauer: „Ich bin kein Bio-Bauer“ – nur weniger konventionell
„Ich bin kein Bio-Bauer, will das auch nicht sein“, betont Jung. Er halte als Landwirt keine Tiere, allein dadurch fehle ihm der Dünger für den in Bio-Betrieben üblichen Nährstoffkreislauf. Er verwende durchaus noch Glyphosat, sehe auch mehrere Vorteile der konventionellen Landwirtschaft. Er suche einen Zwischenweg, wolle ausprobieren und weniger konventionell arbeiten.
Jung ist ein ungewöhnlicher Landwirt im Landkreis Gießen, nicht nur aufgrund des Ansatzes der regenerativen Landwirtschaft. Er führt und bewirtschaftet einen Zusammenschluss von elf bäuerlichen Betrieben im Kreisgebiet unter einem gemeinsamen Dach der Bauernland KG. Anfangs habe man mehrere Äcker als Lohnunternehmen bewirtschaftet, berichtet Jung.
Landkreis Gießen: Bauer Jung bringt elf Betriebe unter ein Dach
Um den Verwaltungsaufwand beispielsweise aufgrund der Vielzahl an Rechnungen zu reduzieren, hätten sie 2007 den Zusammenschluss ins Leben gerufen. Thorsten Bank, der Gründer, ist 2012 gestorben, Jung, seit 2006 Geschäftspartner Banks, führt die Bauernland KG in dessen Sinne weiter.
Der Zusammenschluss ist von anfangs sieben auf heute elf Betriebe unter anderem in Leihgestern, Lich, Ettingshausen, Harbach und Freienseen angewachsen. Unter ihnen sind ältere Bauern, die keine Nachfolger gefunden haben sowie Einzelne, die Äcker einst im Nebenerwerb bewirtschaftet haben, die der Hauptberuf dann aber doch stärker in Beschlag genommen hat.
Innovation im Mittelpunkt: Bauer im Kreis Gießen auf modernen Wegen
„Ein Hauptgedanke bei der Gründung war: Wie können wir Bauern, die aufhören, noch an der Landwirtschaft teilhaben lassen?“, erklärt Jung. „Wenn sie ihr Land nur verpachten würden, bekämen sie einen festen Preis X, sonst nichts.“ In der Bauernland KG hingegen seien die Familien der Betriebe weiterhin involviert, ein- bis zweimal im Jahr tausche man sich aus.
Innovation stehe seit der Gründung im Mittelpunkt, sagt Jung. Man stelle kleineren Betrieben moderne Maschinen zur Verfügung. Mehr und mehr rücke in den vergangenen vier Jahren indes die Art der Bewirtschaftung in den Vordergrund. Zum Personal zählen neben Jung zweieinhalb weitere Stellen. Das Büro befindet sich in einem Wohngebiet in Reiskirchen. Ein Arbeitsort ist außerdem eine Werkhalle in Queckborn.
Bauer in Gießen: Dank Kompost-Tee kann er „weitestgehend auf Chemie verzichten“
Jung steigt dort eine Holztreppe nach oben, die sich um einen riesigen Behälter windet. Hier braut der gelernte Agrartechniker den Kompost-Tee aus rein organischen Mitteln zusammen. „Wir mischen in dem Behälter Wasser und in geringen Mengen guten Kompost“, sagt er. Durch Belüftung und das Ansetzen des Gemischs über 24 Stunden werden Mikroorganismen herangezüchtet.
Das Mittel komme auf den Feldern der Bauernland KG zum Einsatz, außerdem gebe er es an zwei bis drei Landwirte der Region weiter. Der Kompost-Tee rege unter anderem den Stoffwechsel der Pflanzen an. „Ich kann dadurch weitestgehend auf Chemie verzichten“, sagt Jung,
Landkreis Gießen – Regenerative Bewirtschaftung lässt Böden Wasser speichern
Ein wesentliches Ziel der regenerativen Bewirtschaftung sei, die Ackerböden vitaler, auch resistenter für trockene Sommer zu entwickeln. Es handle sich um ein komplexes System. Es gehe unter anderem darum, den Boden durch Zwischenfrüchte und Untersaaten zu fördern. „Wenn es endlich mal regnet, säe ich Raps mit acht anderen Pflanzen aus.“ Diese sollen das Wurzelwerk und den Boden unterstützen. „Das sieht erstmal wild aus. Aber ich will Vielfalt. Oberirdisch auf dem Acker. Vor allem aber unterirdisch.“
Die regenerative Bewirtschaftung trage dazu bei, dass der Boden Wasser besser aufnehmen und speichern kann. Der auf Feldern mit Mulch bereicherte Boden sei bei der Sommergerste zum Beispiel länger gegen Hitze resistent gewesen als bei benachbarten, konventionell bewirtschafteten Flächen. Abgesehen von der Sommergerste „hatten wir trotz der Hitze und Trockenheit im Juli und im August wirtschaftlich gerade die beste Ernte seit 15 Jahren.“ (Stefan Schaal)