»Das Wunder von Mainzlar«: RHI-Werk wird doch weiterbetrieben

Die geplante Schließung des RHI-Werks in Mainzlar (Kreis Gießen) wurde abgewehrt: Die »Schamott« bleibt erhalten. Die Produktion soll ausgeweitet werden.
Mainzlar – Nun ist es offiziell: Statt der Stilllegung zum Jahresende bleibt die »Schamott« in Mainzlar als Industriestandort erhalten. RHI Magnesita investiert gut sieben Millionen Euro in das Werk, erweitert die Produktion und wirbt um Personal. Eine letzte Hürde gilt es allerdings noch zu nehmen.
Die Euphorie ist Michael Schwarz deutlich anzumerken: Nach »jahrelangem, hartem Kampf« sei das »Wunder von Mainzlar« nun erreicht, sagt der Betriebsratsvorsitzende, »so etwas gab es in Deutschland noch nicht«.
Nach Beschluss der Schließung: RHI-Werk in Mainzlar wird doch weiterbetrieben
Seit Montagnachmittag herrscht Gewissheit: Das Mainzlarer Werk von RHI Magnesita, bekannt als »Schamott«, wird auch in Zukunft weiterbetrieben, nachdem 2021 die Werksschließung zum Ende des laufenden Jahres schon beschlossen worden war. Zudem soll der traditionsreiche Standort modernisiert werden. »Wir - die Belegschaft, das Management und der Betriebsrat - haben es geschafft, eine für alle Beteiligten positive Einigung zu erreichen«, heißt es nun in einer gemeinsamen Mitteilung. Dies beinhalte eine Standortgarantie für fünf Jahre, eine »rasche« Investition von über sieben Millionen Euro - »und das Versprechen, das Werk so aufzustellen, dass es in Zukunft flexibler auf Kundennachfragen reagieren kann«, äußert sich Constantin Beelitz, der im Wiener Weltkonzern federführend für Europa zuständig ist. Am gestrigen Montag wurde die Belegschaft vor Ort nachmittags über die Unterzeichnung des Interessenausgleichs informiert, wie Schwarz mitteilt.
Künftig soll die Produktion in Mainzlar auf breitere Füße gestellt werden: So würden neben Magnesitprodukten, die hauptsächlich für die globale Glasindustrie hergestellt werden, auch dolomitische Produkte in das Portfolio mitaufgenommen, erläutert RHI Magnesita. Man werde die Produktion »diversifizieren« und auch neue Kunden bedienen, so Beelitz. Die neue Produktlinie solle schon Anfang 2024 an den Start gehen. Die beiden Mainzlarer Tunnelöfen werden dafür umgerüstet und Anlagen modernisiert.
RHI-Werk in Mainzlar: „Wer hier arbeitet, trifft auf echten Team-Spirit“
Von ursprünglich etwa 130 Mitarbeitern sind laut dem Konzern aktuell noch gut 80 in Mainzlar beschäftigt - und auf einen Großteil von ihnen setzt das Unternehmen nun. Laut Betriebsratschef Schwarz haben, Stand Montag, 44 Beschäftigte bekundet, dauerhaft bleiben zu wollen, die Verträge würden bis Ende August unterzeichnet. 17 weitere seien bereit, um ein Jahr zu verlängern. Wer die »Schamott« verlässt, kann nun den 2021 verhandelten Sozialplan in Anspruch nehmen. Für jene, die bleiben, gibt es laut Schwarz eine dreistufige Motivationsprämie - »damit überzeugen wir die Mannschaft«.
Außerdem werden laut dem Konzern mit Blick auf die Erweiterung der Produktion etwa 40 zusätzliche Kolleginnen und Kollegen gebraucht, um die man jetzt wirbt. »Wir bieten neben einem unbefristeten Dienstvertrag auch einen sehr guten Tarifvertrag, Entwicklungsmöglichkeiten und vieles mehr«, so Tim Steenvoorden, Vorstand von RHI Magnesita in Deutschland. Auch wolle man wieder verschiedene Ausbildungsplätze anbieten. Fest stehe: »Wer hier arbeitet, trifft auf echten Team-Spirit und eine Belegschaft, die zusammenhält.«
Wie stark die Belegschaft unter dem Damoklesschwert der drohenden Schließung zusammengehalten hat, davon kann Schwarz ein Lied singen. »Die gesamte Belegschaft und nicht nur ein Team haben bei diesem Erfolg gemeinsam mitgeholfen«, blickt er auf die etwa zwei Jahre währenden Bemühungen um den Standorterhalt zurück, die auch von mehrfach neuen Zeitpunkten für die angepeilte Schließung geprägt waren.
„Wunder von Mainzlar“: Große Unterstützung durch Gewerkschaft und Betriebsrat
Ferner hat laut Schwarz die »große Unterstützung« - etwa von Gewerkschaftsseite, aber auch durch die Politik »über Partei- und örtliche Grenzen hinaus« - zum »Wunder« beigetragen. Zudem habe der Betriebsrat nie aufgegeben. Sehr zufrieden zeigt er sich auch mit der »Absicherung des Sozialplans inklusive einer sehr guten Motivationsprämie« und der Standortgarantie für fünf Jahre. Es gebe nun »keine Schließungsgedanken mehr«. Schwarz freut sich unterm Strich über einen »großartigen Erfolg für die Belegschaft, aber auch die gesamte Region«. Den Erhalt von Werk und Arbeitsplätzen begrüßen auch die Gewerkschaften. »Dies zeigt deutlich, wie wichtig und einflussreich Betriebsräte und starke Gewerkschaften sind«, heißt es in einem Statement der IG Bergbau, Chemie, Energie.
Die Einschätzung des DGB: »Der Erfolg in Mainzlar war kein Selbstläufer, sondern das Resultat eines gemeinsamen Kampfes für den Erhalt des Standorts und der Arbeitsplätze.« Der DGB zollt den Kollegen vor Ort Respekt. »Mainzlar zeigt: Arbeitnehmer müssen sich nicht alles gefallen lassen. Man kann sich wehren«, ist in dem Statement zu lesen. Angesichts »umfassender Umbrüche in der Arbeitswelt« brauche es mehr betriebliche Mitbestimmung und Tarifbindung sowie »eine Ausweitung der Kompetenzen von Betriebsräten«.
Letztlich hat wohl auch eine geänderte Strategie des Konzerns eine Rolle für den Standorterhalt gespielt: Man setze - auch vor dem Hintergrund unter Druck geratener globaler Lieferketten, etwa im Zuge der Pandemie - nun vermehrt auf das Konzept »local for local«, heißt es aus der RHI-Zentrale. Die Nähe zu Kunden gewinne an Bedeutung, auch das spreche für die »Schamott«.
Probleme beim Neustart des RHI-Werks in Mainzlar
Nach wie vor gibt es aber einen möglicher Stolperstein für den Neustart: die laut RHI dringend nötige Reaktivierung des Bahnabschnitts von Lollar bis Mainzlar. Das Werk sei, so das Unternehmen, geografisch »optimal« gelegen, dies ermögliche es, »nachhaltig« auf kurzem Weg zu liefern. »Erheblicher Schwerverkehr - über 70 Lkw-Fahrten pro Woche zum und vom Werk Mainzlar« - sei mit Blick auf Nachhaltigkeit aber »keine Option«.
RHI-Vertreter Beelitz: »Wir haben bis dato vonseiten aller beteiligten Behörden und der Politik sowie der Hessischen Landesbahn positive Signale erhalten, die uns zuversichtlich stimmen, dass auch dieses Vorhaben 2023 umgesetzt werden kann.« Die offiziellen Zusagen, auf die Belegschaft und Konzern nun hoffen, stünden allerdings noch immer aus.