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»Das Jagdschloss Erlenthal«

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Von: red Redaktion

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Bemooste und teils überwucherte Fundamente künden von der früheren Jagdhütte im Erlental. Überliefert sind zudem eine Postkarte aus den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, die die Hütte zeigt, sowie das Foto einer Jagdgesellschaft des Erbauers; des Unternehmers Schöneweiss aus Hagen. FOTOS: so/1, bf/2 © Ruediger Sossdorf

Das obere Erlental nahe Wißmar ist ein herrliches Fleckchen Erde. Gut nachvollziehbar, warum ein Unternehmer aus Hagen dort die Jagd pachtete und sich ein Häuschen an den Wißmarbach stellte. Heute finden sich dort nur noch die Fundamente.

Ende März 1945: Amerikanische Einheiten rücken von Westen, von Krofdorf her, auf Wißmar zu. Einige Wehrmachtsangehörige versuchen noch, eine Verteidigung des Dörfchens zu organisieren. Doch etliche der deutschen Soldaten, ohnehin schon auf dem Rückzug, setzen sich ab und verstecken sich in einer Jagdhütte im oberen Erlental. Die Gattin des damaligen Försters Kleinschmidt soll die Männer mit Lebensmitteln versorgt haben… So jedenfalls berichtet es Rolf Henrich.

Der rüstige 85-Jährige war damals ein kleiner Junge von acht Jahren. Doch zum Erlental, zum Wißmarer Forst hat er seit jeher eine besondere Beziehung. War doch Henrichs Großvater Wilhelm Lucas († 1954) ebenfalls Förster, war der Vorgänger von August Kleinschmidt.

Die Jagdhütte ist seit Kriegsende vor mehr als 70 Jahren Geschichte. Von dem Haus künden heute nur noch ein paar Fundamente im Wald, ein paar Zeilen in der Wißmarer Ortschronik - und eine Postkarte.

Rolf Henrich hat sie aufbewahrt; ebenso die Erinnerungen, die Großvater Lucas mit ihm teilte. Etwa, dass seine Frau, Rolfs Großmutter, im Forsthaus für die Jagdherren kochte und die Tochter, also des kleinen Rolfs Mutter, das Essen dann vom Forsthaus ins Jagdhaus brachte.

Niedergebrannt

Wie war das denn damals? Der Wißmarbach plätschert wie heute durchs Erlental, gespeist von etlichen weiteren kleinen Zuläufen, Reh und Hirsch stehen auf der Lichtung und versprechen der kleinen Jagdgesellschaft ein festliches Mahl. Sekt und Wein liegen bereits gekühlt im Bach… Es müssen schöne Zeiten gewesen für Jagdherr Carl Schönweiß aus Hagen. Der Unternehmer hatte Ende des 19. Jahrhunderts die Jagd bei Wißmar gepachtet. Seine Partner waren die Herren Kinkel, Mataré, Klein und Busenius. Um 1898 errichteten sie im Erlental eine Jagdhütte, nannten das Domizil »Jagdschloss Erlenthal am Sektbach«.

Auf Carl Schönweiß folgt 1901-1912 sein Jagdpartner Hugo Busenius als Pächter. Dann steigt Leo Schnabel als Pächter der Waldjagd im Wißmarer Revier ein. Der Textilfabrikant aus Gummersbach vergrößerte 1912 das »Jagdschloss« um einen Anbau. Doch schon wenige Jahre später, im Juni 1917, wurde das Häuschen ein Raub der Flammen.

Was das Feuer ausgelöst hat, das bleibt ungeklärt. Auch das im Wettenberger Gemeindearchiv überlieferte einseitige Protokoll der Untersuchung gibt keinen Aufschluss. Förster Lucas hatte den Bürgermeister Braun im Amt Atzbach telefonisch von dem Brand verständigt. Zwei Tage später begab sich der Bürgermeister in Begleitung des Försters ins obere Erlental. Das Protokoll vermerkt: »Das Jagdhaus, versichert zu 3000 Mark bei der Rheinisch-Provinzial-Feuerversicherungs-Anstalt in Düsseldorf, steht ungefähr eine Stunde vom Ort Wissmar entfernt, im Gemeindewald Wissmar. Es war in Fachwerk von Buderus’schen Schlacksteinen, zur Hälfte einstöckig, zur Hälfte zweistöckig erbaut und hatte Asphaltdach. Um das Haus herum ging ein Drahtzaun, der an der vorderen Wegeseite eine verschließbare hölzerne Tür hatte. Das Haus war bis auf die Grundmauern niedergebrannt, die teilweise noch erkennbaren Mobilien, eiserne Bettstellen, Kochherd, Küchengeräte pp lagen im Brandschutt…«

Leo Schnabel und sein Bruder sollen sich jedoch unverdrossen ans Werk gemacht haben und ließen laut Henrich das Jagdhaus an gleicher Stelle, jedoch in geänderter Form wiederaufbauen. Bis 1927 kamen sie immer wieder ins Erlental.

Abgebaut

1928 bis 1937 dann ging die Jagd an den Wetzlarer Unternehmer Ernst Leitz über. Auf diesen wiederum folgte als Jagdpächter ein gewisser van der Linde aus Neu-Isenburg, danach ab 1942 Carl Rohländer. Kurz nach Kriegsende verschwand die Hütte. Das zu Teilen aus Wellblech gebaute Häuschen wurde 1945 abgebaut, in Wißmar auf die Eisenbahn verladen und in den Raum Frankfurt geschafft. Dort soll das Material dem Bau von Notunterkünften für Flüchtlinge gedient haben, so die Überlieferung des späteren Försters Udo Kleinschmidt in der Wißmarer Ortschronik.

Mike Will, dem Betreiber der Freizeitanlage Wißmarer See, sind die Grundmauern der Hütte unweit des Hubertusweihers aus seiner Jugend ebenfalls bekannt. Will hat im Wißmarer Wald in der ersten Hälfte der 1980er Jahre seine Ausbildung zum Forstwirt absolviert. Und erinnert sich gut an das regelmäßige Frühstück nahe der Ruine, kurz bevor der Waldweg steil Richtung Wertholzplatz ansteigt. Oft deftige Kost mit roter Wurst, gelegentlich gebackenen Eiern, zumeist in Gesellschaft des Haumeisters Herbert Kraft. Ein Waldarbeiter vom alten Schlag, von dem die jungen Leute viel lernten. Denn Kraft kannte den Wißmarer Forst und dessen Geschichte, kannte viele heute in Vergessenheit geratene Plätze. Wie etwa den Reitzensteiner Hof mitsamt Mühle, der wohl dort stand, wo heute der Parkplatz am Eingang zum Erlental zu finden ist. Oder den aufgelassenen Ort Berghausen. Oder eben das »Jagdschloss Erlenthal am Sektbach…«

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